Blick über die Kreuzung zwischen Landstraßer Hauptstraße und Rennweg mit dem Gebäude des BVT
ORF.at/Roland Winkler
Spionageaffäre

Schuldzuweisungen und neue Erkenntnisse

Am Rande der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates zur Spionageaffäre rund um den Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott und Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek hat es am Dienstag gegenseitige Schuldzuweisungen gehagelt: ÖVP und Grüne schossen sich erneut auf FPÖ-Chef Herbert Kickl ein – die FPÖ nahm die ÖVP ins Visier. Unterdessen berichteten mehrere Medien, darunter ORF, „Falter“ und „Standard“, über neue Erkenntnisse in der Spionagecausa.

ORF-„Report“ und „Standard“ berichteten etwa von Chats zwischen Marsalek und dem mutmaßlichen Anführer eines bulgarischen Spionagenetzwerkes, Orlin Russew, aus dem Jahr 2022. Die Chats legen laut „Standard“ nahe, dass neben Handys von Spitzenbeamten und einem Laptop sowie USB-Sticks des Journalisten Christo Grosew 2022 auch mindestens ein weiterer Geheimlaptop von Wien nach Moskau geschmuggelt worden sei.

Russews Handlanger hätten den Laptop, der sich in der Wohnung eines Familienmitglieds von Ott befunden haben soll, im November 2022 übernommen, so die Zeitung. Laut „Standard“ und ORF-„Report“ handelt es sich dabei um einen SINA-Laptop (SINA steht für: Sichere Inter-Netzwerk Architektur).

„Report“ über neue Erkenntnisse

Der ORF-„Report“ berichtet über neue Erkenntnisse in der Spionageaffäre rund um den Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott und Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek.

Chat: „Der Iran wird ein glücklicher Käufer sein“

„In Chats ist sogar die Rede davon, dass man ‚one of the laptops‘ in Wien abholen solle, also ‚einen der Laptops‘ – im Plural. Mutmaßlich war Ott also im Besitz mehrerer Sina-Geräte“, schreibt der „Standard“. Den Berichten zufolge waren Marsalek und Russew besorgt, dass besagter Laptop mit einem Tracker ausgestattet sein könnte. „Der Iran wird ein glücklicher Käufer sein“, schrieb Marsalek schließlich in einem Chat laut „Report“.

Wie die APA erfuhr, soll Ott 2022 die Wohnung seines Ex-Schwiegersohns in Wien zur Übergabe von widerrechtlich in seinen Besitz gelangten Diensthandys von Spitzenbeamten des Innenministeriums und eines SINA-Laptops mit geheimen, hochsensiblen nachrichtendienstlichen Daten eines EU-Staates an Vertreter des russischen Geheimdienstes genutzt haben, ohne dass der Ex-Schwiegersohn davon wusste.

„Falter“ berichtet von Warnungen

Laut der Wochenzeitung „Falter“ hatte es intern im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) wiederholt Warnungen vor russischen Infiltrationen gegeben. So warnte bereits 2016 – noch unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) – ein für Spionage zuständiger Beamter seine Vorgesetzten, dass der russische Nachrichtendienst seine Aktivitäten in Österreich und der EU „in einem enormen Ausmaß“ intensiviert habe und mit den bestehenden Ressourcen in Österreich kaum eine Basisbearbeitung der hohen Zahl an Fällen erfolgen könne.

Zwei Jahre später – unter Kickl – warnten BVT-Beamte abermals, dass es verstärkte Anwerbeversuche von russischem nachrichtendienstlichem Personal in Österreich gebe, und beklagten, dass die Spionageabwehr gegenüber Russland „mit nur drei Mitarbeitern zu bewältigen“ sei. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte dazu in der ZIB2 am Abend, dass es eine Personaloffensive auch für die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) – die Nachfolgeorganisation des BVT – gegeben habe und nun für russische Spionage „ausreichend Personal zur Verfügung steht“.

Karner: „Vorwürfe wiegen schwer“

Der Nationale Sicherheitsrat hat sich am Dienstag mit der Spionagecausa rund um den festgenommenen Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott beschäftigt. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) forderte in der ZIB2 die Aufklärung der Vorwürfe.

Auch eine andere Tangente wurde am Dienstag publik: Laut Ö1 zugespielten Chats war der Chef der österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft, Florian Stermann, eine Art Infodrehscheibe – unter anderen zwischen Marsalek und Ex-FPÖ-Klubchef Johann Gudenus. Auf Nachfrage hieß es von der FPÖ, diese Chats hätten damals Kickl selbst nie erreicht. Sie seien dann aber im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss Thema gewesen. Die FPÖ betonte, Stermann sei ein Vertrauter von Ex-ÖVP-Innenminister Ernst Strasser.

Karner fordert „lückenlose Aufklärung“

Nach der Sitzung des Sicherheitsrats drangen hingegen keine neuen Details nach außen. Vor Beginn des Gremiums erklärte Karner, es würden schwerwiegende Vorwürfe im Raum stehen. Es müsse eine „lückenlose“ Aufklärung sichergestellt werden.

Erneut forderte Karner die Ausdehnung der Befugnisse der Ermittlungsbehörden um die „Telefonie über Messengerdienste, die nicht überwacht werden können“. Die Grünen lehnen das ab. Kritik übte er an Kickl. Unter Innenminister Kickl sei der Staatsschutz „zertrümmert“ worden und habe eine Zeitlang über keine internationalen Kontakte mehr verfügt, wiederholte Karner.

Kogler: FPÖ bei Verrat „vorne mit dabei“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verwies ebenso darauf, dass die Hausdurchsuchung im BVT unter dem damaligen Innenminister Kickl stattgefunden hatte. „Ich lasse mir nicht länger erklären, dass ausgerechnet die FPÖ die Heimat schützen will, und gleichzeitig sind sie beim größten Verrat an Russland nicht nur irgendwo hintendran, sondern vorne mit dabei“, so Kogler.

FPÖ-Abgeordneter Christian Hafenecker wies die Vorwürfe zurück. Die Einberufung des Sicherheitsrates sah er in erster Linie als Vehikel der anderen Fraktionen, um der FPÖ „zu schaden“. „Es ist so, dass die FPÖ seit Monaten stabil auf Platz eins in den Umfrage liegt, gleichzeitig verliert die Bundesregierung immer mehr an Bedeutung.“ So gesehen müsse man „kein Stratege“ sein, um zu merken, was „Sinn und Zweck dieses heutigen Schauspieles“ sei.

Auch mutmaßte Hafenecker, dass die Vertraulichkeit im Sicherheitsrat aufgehoben werden könnte. „Die ÖVP hat über 20 Jahre das Innenministerium geleitet. Es wird der ÖVP nicht glücken, all diese Unglaublichkeiten uns Freiheitlichen und Herbert Kickl umzuhängen“, sagte er.

Sicherheitsrat als „Inszenierungsbühne“

Eher „reduzierte“ Erwartungen an die Sitzung äußerte SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner: Man habe gesehen, dass sich der Sicherheitsrat „zu einer Inszenierungsbühne entwickelt – wenn man sieht, wie sich ÖVP und FPÖ gegenseitig mit Schlamm beschmutzen und die politische Verantwortung wegschieben“. Auch er erinnerte an die langen Jahre der ÖVP im Innenressort. Einwallner will, dass die Kontrollkommission der DSN eingeschaltet wird. Die Kommission war Ende 2023 eingerichtet worden.

Für die Einbestellung der Kommission braucht die SPÖ zumindest die Stimmen von NEOS im Unterausschuss „Innere Angelegenheiten“, hieß es aus dem SPÖ-Klub auf APA-Anfrage. NEOS signalisierte Zustimmung, ebenso der Grüne David Stögmüller. Zwar etwas zurückhaltender, aber prinzipiell auch bereit, zeigte sich diesbezüglich nach der Sitzung Hafenecker. NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper forderte im „Report“ auch die Einsetzung eines U-Ausschusses zur Causa. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zeigte sich dafür offen.

Erstmals hatte sich zuvor am Dienstag auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zur Affäre geäußert. Der Fall zeige, dass „Mächte außerhalb der Europäischen Union“ nicht nur durch Spionage Einfluss zu nehmen versuchen, sondern auch indem sie Stimmungen erzeugen, sagte er. Der Nationale Sicherheitsrat ist ein Beratungsgremium der Bundesregierung in Angelegenheiten der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.