Person trägt einen Hund durch das Hochwasser
APA/AFP/Evgeniy Lukyanov
Flucht vor Flut

Kein Ende der Evakuierungen in Ural-Region

Die Hochwasserkatastrophe in der Grenzregion zwischen Russland und Kasachstan weitet sich aus. Am Mittwoch berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TASS, dass der über die Ufer getretene Ural in der russischen Großstadt Orenburg bereits Hunderte Häuser überflutet hat. Weiter flußabwärts in Kasachstan wurden laut Regierungsangaben bereits mehr als 96.000 Menschen in Sicherheit gebracht.

Dienstagabend war der Ural in Orenburg über die kritische Marke von 9,3 Metern getreten. In den Stunden darauf stieg der Pegel noch einmal um 50 Zentimeter. Mehrere Gebiete in der 550.000-Einwohner-Stadt standen bereits unter Wasser, es wird erwartet, dass sich die Flut noch weiter ausbreitet. Der Orenburger Gouverneur Denis Pasler forderte die Menschen auf, sich in sichere Teile der Stadt zu retten.

In der Stadt, aber auch in den umliegenden Gebieten, gilt der Ausnahmezustand. Entlang des Ural stehen mehr als 10.000 Gebäude unter Wasser. Mehr als 8.000 Menschen mussten in der russischen Region bereits ihre Häuser verlassen. Russische Staatsmedien sprechen von einer „Jahrhundertflut mit apokalyptischen Ausmaßen“.

Einsatzkräfte tragen eine Frau zu einem Fahrzeug
APA/AFP/Evgeniy Lukyanov
Seit Tagen laufen in den betroffenen Gebieten Evakuierungen

Große Flächen unter Wasser

Besonders betroffen ist die Stadt Orsk im Gebiet Orenburg, wo es bereits am Wochenende zu Dammbrüchen gekommen war. Auf Videos und Bildern war zu sehen, dass teils nur noch Dächer aus dem Wasser ragten. Aber auch benachbarte Regionen klagen über steigendes Hochwasser.

Im Bereich des längsten europäischen Flusses, der Wolga, sei die Lage zum Teil akut, warnte das russische Katastrophenschutzministerium. Gleiches gelte für den Westen Sibiriens, wo in drei bis fünf Tagen mit dem Wasserhöchststand zu rechnen sei. In Tjumen in Westsibirien wurde der Notstand ausgerufen.

Rund 200 Kilometer weiter südlich im westsibirischen Kurgan machten sich Helfer daran, einen Damm zu verstärken, nachdem der Pegel des Flusses Tobol innerhalb kurzer Zeit um 23 Zentimeter gestiegen war. 4.500 Menschen wurden in Sicherheit gebracht, wie die Lokalregierung mitteilte. Auf Fotos und Videos war zu sehen, dass von Häusern nur noch Dächer aus dem Wasser ragten. Menschen ließen sich mit Rettungsbooten in Sicherheit bringen.

Weitere Evakuierungen in überfluteter Ural-Region

Nach der Flutkatastrophe in der russischen Grenzregion zu Kasachstan dauern die Evakuierungen weiter an. Tausende Menschen mussten bereits ihre Häuser verlassen, für sie wurden Notunterkünfte eingerichtet.

Ebenfalls angespannt blieb am Mittwoch auch die Lage im angrenzenden Kasachstan. Die Zahl der Menschen, die inzwischen in Sicherheit gebracht wurden, beläuft sich laut Regierungsangaben auf fast 100.000. Präsident Kassym-Schomart Tokajew sagte, die Überschwemmungen seien wahrscheinlich die schlimmsten seit 80 Jahren.

überflutetes Gebiet in Sorochinsk, Russland
Reuters/Maxar Technologies
Auch andere Flüsse in der Region, wie hier die Samara, stiegen über ihre Ufer

Schneeschmelze heuer besonders stark

Hinter den Fluten steht vor allem die rasche Schneeschmelze in weiten Teilen des Ural-Gebirges und Sibiriens. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vermuten, dass die Schneeschmelze in diesem Jahr besonders heftig ausgefallen ist. Auch in der Ural-Region lag die Durchschnittstemperatur zuletzt deutlich über dem langjährigen Mittel. Die Wissenschaftler machen dafür – neben dem globalen Wetterphänomen „El Nino“ – auch die vom Menschen verursachte Erderwärmung verantwortlich.

Putin reist nicht in Katastrophengebiet

Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow ließ am Dienstag wissen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht in die betroffenen Gebiete reisen werde. Er werde aber ständig informiert. „Putin ist, auch wenn er nicht an Ort und Stelle ist, in dieser Angelegenheit ständig präsent.“ Peskow betonte: „Er befasst sich den ganzen Tag über mit diesen Fragen.“

mehrere Einsatzkräfte auf Booten im Wasser
Reuters/Reuters Tv
Die Stadt Orsk ist vom Hochwasser besonders stark betroffen

Putin ordnete laut dem Kreml zudem einen größeren Einsatz von Polizeipatrouillen an, die Plünderungen verhindern sollen. Am Montag hatten Einwohner in Orsk Putin um Hilfe gebeten und den örtlichen Behörden Versagen vorgeworfen. Eine Gruppe von etwa hundert Demonstrantinnen und Demonstranten versammelte sich vor dem Rathaus in Orsk, wie das kremlkritische Portal Ostoroschno, Nowosti berichtete. Sie riefen „Schande! Schande!“ und warfen den Behörden Versagen vor.

So kritisierten sie, dass der Damm, für den nach offiziellen Angaben viel Geld ausgegeben wurde, dem Hochwasser nicht standgehalten habe. Der Bürgermeister und der Gouverneur der Region trafen sich schließlich zu Gesprächen mit einer Delegation der empörten Bürgerinnen und Bürger. Auch eine Untersuchung wurde eingeleitet. Laut den Anklagebehörden wird wegen Vernachlässigung der Wartung des 2010 errichteten Dammes ermittelt.

Kritik an Regierung

Julia Nawalnaja, Witwe des in Haft ums Leben gekommenen Putin-Kritikers Alexej Nawalny, nahm die Katastrophe zum Anlass für scharfe Kritik an der Regierung. „In Russland gibt es eine Katastrophe nach der anderen“, sagte sie. Die Machthaber seien wie immer nicht vorbereitet.

„Im Winter sind sie nicht auf Frost und Schneefall vorbereitet, im Sommer nicht auf die Waldbrände, im Frühjahr nicht auf das Hochwasser“, sagte sie. Es stünden mehr als 10.000 Häuser und mehr als 18.000 bewohnte Grundstücke unter Wasser. „Aber Putins Beamte beeilen sich nicht, den Menschen zu helfen.“ Sie seien nur mit sich selbst beschäftigt.

Nachdem Putin lange öffentlich Zweifel am menschengemachten Klimawandel geäußert hatte, hatte er die Regierung in den vergangenen Jahren angewiesen, die Vorkehrungen für den Fall von Extremwetterereignissen zu verstärken. Russland erlebte in jüngster Zeit mehrfach schwere Überschwemmungen und Waldbrände.