Blüten eines Birnbaumes
ORF/Anna-Marleen Marchetti
Kulturpflanzen

Frühe Blüte als neue Normalität

Birne, Marille, Raps: Viele Kulturpflanzen blühen heuer besonders früh. Verantwortlich dafür sind die bisher überdurchschnittlichen Temperaturen. Am Wochenende wird es in Österreich wieder sehr warm. Der Landwirtschaft bereitet die Lage Kopfzerbrechen. 2024 ist laut Fachleuten ein außergewöhnliches Jahr – allerdings setzt die Blüte aufgrund der fortschreitenden Klimaveränderung schon seit Jahren immer früher ein.

In der Wachau (Niederösterreich) blühten vielerorts bereits Mitte März die Marillenbäume – „zwei bis drei Wochen früher, als das üblicherweise zu erwarten ist“, sagt Ferdinand Lembacher, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, gegenüber ORF.at. Weiter westlich im Mostviertel setzte die Blüte der rund 300.000 Birnbäume schon Ende März ein, ebenso bei den Apfelbäumen. Auch der Raps sei heuer mindestens zwei Wochen früher mit der Blüte dran, sagt Lembacher.

Klimatisch wurden 2024 bereits einige Höchstwerte verzeichnet. Februar und März waren jeweils die bisher wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen vor knapp 260 Jahren. Am 7. April wurden im steirischen Bruck an der Mur über 30 Grad Celsius gemessen – der bisher früheste Hitzetag in der Messgeschichte.

Blühendes Rapsfeld
ORF/Günther Rosenberger
Die Rapsfelder leuchten bereits in Gelb

Langjähriger Trend

2024 sei ein „außergewöhnliches Jahr“, sagt Lembacher mit Verweis auf die gefallenen Temperaturrekorde. „Die gesamte Vegetation ist heuer früher dran.“ Jahre mit früher Blüte sei man aber bereits „tendenziell gewohnt, weil sie fast schon zur Normalität werden“. Ein Blick auf Daten der GeoSphere Austria bestätigt den Befund.

Liniendiagramm des Temperaturmittels im Frühling und dem Blühbeginn des Schwarzen Holunders von 1760 bis 2023
GeoSphere Austria/ORF

Besonders eindrücklich lasse sich die Temperaturempfindlichkeit der Pflanzen etwa beim Schwarzen Holunder ablesen, erklärt Helfried Scheifinger, Phänologe bei der GeoSphere Austria. Bei der Fruchtreife beträgt die Verschiebung rund zehn Tage pro Grad Celsius.

Erfasst werden die Phänologiedaten auch mit Hilfe des Beobachtungsprogramms Phenowatch und der Naturkalender-App
der GeoSphere Austria. Dort können Freiwillige ihre Beobachtungen einmelden.

Streudiagramm zum Beginn der Blüte des schwarzen Holunders und zur durchschnittlichen Frühlingstemperatur von 1920 bis 2023. Die späteste Blüte gab es am 7. Juni 1955 bei einer Durchschnittstemperatur von 7,6 °C, die früheste Blüte am 3. Mai 2018 bei 12,7 °C.
GeoSphere Austria/ORF

Eine direkte Gegenüberstellung der Temperatur- und Blütedaten zeigt jedenfalls klar den Zusammenhang: So hat der Schwarze Holunder 1955 am 7. Juni bei einer Frühlingstemperatur von rund 7,6 Grad Celsius begonnen zu blühen – und 2018 hingegen schon am 3. Mai bei rund 12,7 Grad Celsius.

Zwar habe sich der Blühbeginn in den letzten Jahren aufgrund kühler Phasen im April und Mai ein wenig zu späteren Terminen verschoben. „Aber es wird sehr spannend zu sehen, wie das heuer ablaufen wird“, so Scheifinger.

Angst vor Schädlingen und Frost

Profitiert vom milden Winter und den anhaltend hohen Temperaturen haben die Spargelbäuerinnen und -bauern im niederösterreichischen Marchfeld und der Region Stockerau. Die Erntemengen seien „außergewöhnlich für die Jahreszeit“, hieß es – mehr dazu in noe.ORF.at. Weniger gut ist die Stimmung bei den Winzerinnen und Winzern. „Ob frühreife Sorten wie Bouvier oder Frühroter Veltliner jemals wiederkommen werden? Ich denke nicht“, sagte der Wiener Weinbauer Michael Edlmoser der ZIB2.

Bei der Landwirtschaftskammer sieht man die Lage „eher mit Sorge als mit Freude“, sagt Generalsekretär Lembacher gegenüber ORF.at. Das betrifft einerseits die Sorge vor einem Temperatursturz. Die Frostgefahr bestehe bis Mitte Mai. „Schon eine kalte Nacht kann massive Schäden anrichten“, sagt Lembacher. „Auch die befruchtete Blüte ist frostempfindlich, sogar eher empfindlicher als die Blüte selbst.“

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Infografik zur Entwicklung von Dürreereignissen nach Grad der Erderwärmung
IPCC
Infografik zur Entwicklung von Dürreereignissen nach Grad der Erderwärmung
IPCC
Infografik zur Entwicklung von Dürreereignissen nach Grad der Erderwärmung
IPCC

Anderseits haben die hohen Temperaturen nicht nur die Entwicklung der Pflanzen, sondern auch jene der Schädlinge beschleunigt. Rüben- und Rapsstängelrüssler seien bereits aktiv. „Andere Bodeninsekten und Saatfliegen sind ebenfalls bereits erwacht“, sagt Lembacher. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie Ernteschäden anrichten. Daher gelte es, die Populationen unter Kontrolle zu halten.

Saisonverlauf schwer einschätzbar

Ein Zusammenhang zwischen der frühen Blüte und hohen Erträgen lässt sich laut Lembacher nicht herstellen. Bei manchen Kulturen sei der Reifeprozess stärker von der Tageslänge als vom Startzeitpunkt der Vegetation abhängig.

Zudem gebe noch viele Unsicherheitsfaktoren wie Niederschlagsereignisse, Temperaturverlauf und Sonneneinstrahlung. „Jetzt schon eine Vorschätzung für Auswirkungen auf die Ernte zu machen, wäre aus meiner Sicht nicht seriös“, sagt der Pflanzenbauspezialist.

Wadsak: Hohe Temperaturen schwierig für Landwirtschaft

Die sommerlichen Temperaturen bedrohen die Landwirtschaft und setzen beliebten Weinsorten in Österreich zu. Grüner Veltliner werde aufgrund des menschengemachten Klimawandels zum Beispiel bald ein guter süddeutscher Wein, analysierte ORF-Klimaexperte Marcus Wadsak in der ZIB2.

Ähnliches gilt ganz allgemein für die Temperaturentwicklung im Sommer. 30 Grad im April bedeuten nicht automatisch 40 Grad im Juli oder August. „Wir können in Österreich Prognosen für eine, maximal zwei Wochen machen. Wie der Sommer wird, wissen wir, wenn er kommt“, sagte ORF-Meteorologe Marcus Wadsak am Montag in der ZIB2, „aber durch den menschengemachten Klimawandel ist auch sehr wahrscheinlich, dass dieser Sommer und das ganze Jahr in Österreich überdurchschnittlich warm sein wird.“

Neue Pflanzenarten

Die Klimaveränderung ermöglicht den Anbau von Obst- und Gemüsesorten in Lagen, die bisher nicht dafür geeignet waren, und den Einsatz von Pflanzenarten, denen es in Österreich schlichtweg zu kalt war. Der Landwirt Michael Windberger baut im steirischen Schladming auf 960 Meter Seehöhe 40 verschiedene Obst- und Gemüsesorten an – im Sommer sogar Honigmelonen.

Sommer im April

„Die Landwirtschaft sollte den Klimawandel nicht nur als Herausforderung sehen, sondern auch als Chance“, sagen Mathias und Klara Welleschitz. Die Geschwister setzen auf Oliven, als Ergänzung zu ihrem klassischen Ackerbau in Groißenbrunn in Niederösterreich. Die Durchschnittstemperaturen steigen in Österreich verglichen mit dem Rest Europas besonders stark.

Dass in der Höhenlage unweit der Skigebiete Planai und Reiteralm überhaupt Gemüse „im gewerblichen Stil“ angebaut werden könne, sei dem Klimawandel zu „danken“, sagte Widerbauer dem ORF-Magazin „Thema“. Vor 20, 30 Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Selbiges gilt für den Olivenhain, den die Geschwister Klara und Mathias Welleschitz in Groißenbrunn (Niederösterreich) bewirtschaften. 135 Bäume wurden gepflanzt, vorläufig zu Testzwecken. In ein paar Jahren hoffe man auf eine Ernte, sagte Klara Wellschitz zu „Thema“, „aber es ist mir auch wichtig, dass wir Leute damit erreichen, dass der Klimawandel auch in Österreich schon angekommen ist“.

Kälteperioden verschwinden nicht gänzlich

Dass es in Österreich mittelfristig in größerem Ausmaß zu einer Umstellung weg von Apfel, Birne und Marille zu Oliven oder ähnlichen Kulturen kommt, sieht Landwirtschaftskammer-Generalsekretär Lembacher nicht. „Nur weil es im Durchschnitt wärmer wird, heißt das nicht, dass es in einzelnen Perioden extrem kalt werden kann.“ Bereits ein kalter Winter mit zweistelligen Minusgraden könnte zur Gefahr für die Kulturen werden.