Blick auf Levante-Strand in Spanien
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Spanien

Hungerstreik gegen eskalierenden Tourismus

Kristallklares Meer, kilometerlange Sandstrände, Sonne und Sangria – nicht ohne Grund gilt Spanien als eines der weltweit beliebtesten Reiseländer. Die Folgen für die lokale Bevölkerung werden jedoch immer verheerender. Einheimische haben nun zu Großdemos gegen den eskalierenden Massentourismus aufgerufen. Doch sie gehen dieser Tage nicht nur auf die Straße, sondern auch in Hungerstreik.

Im vergangenen Jahr besuchten mit über 85 Millionen so viele Touristinnen und Touristen wie noch nie zuvor das Land. Laut der Tourismusforschungs- und Beratungsagentur IPK war Spanien mit einem weltweiten Anteil von zehn Prozent somit das am stärksten frequentierte Reiseziel überhaupt. Am beliebtesten sind Katalonien und dessen Hauptstadt Barcelona, die Balearen und die Kanarischen Inseln. Genau dort hat man aber längst genug von touristischen Eskapaden.

An die 20 Bürgerinitiativen haben sich hier zur Organisation „Canarias se agota“ (dt.: „Die Kanaren haben genug“) zusammengeschlossen und gehen gemeinsam auf die Barrikaden. Am Dienstag gab es bereits einen Protest vor dem Parlament in der Hauptstadt Madrid. Für Donnerstag wurde der Start eines Hungerstreiks von circa zehn Aktivisten und Aktivistinnen vor der Kirche La Concepcion in La Laguna im Norden Teneriffas angekündigt – „unbefristet“, wie eine Aktivistin im Video sagt.

„Einer der größten Proteste in der Geschichte der Region“

Am 20. April soll es auf den Inseln zudem Großdemos geben. Die Organisatoren stellen „einen der größten Proteste in der Geschichte der Region“ in Aussicht. Auf den Plakaten der Aktivisten und Aktivistinnen steht geschrieben, dass es eine „ökologische und soziale“ Regeneration des Archipels brauche. Generell sage man Ja zu Tourismus, aber nicht in der Form, in der er gerade stattfinde. Das Limit sei erreicht, so der Tenor.

Die Liste der Forderungen an die Politik ist dementsprechend lang. Man verlangt einen Baustopp für Hotels und Golfplätze, die Einführung einer Übernachtungssteuer und eine bessere Regulierung der Ferienwohnungen. Gefordert wird auch eine Diversifizierung der Wirtschaft mit einer stärkeren Förderung von Industrie und Landwirtschaft, um nicht mehr so stark vom Tourismus abhängig zu sein.

Fahrradfahrer im Vordergrund, Schrift „Your trip, our misery“ auf dem Gebäude im Hintergrund
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„Deine Reise, unser Elend“ wie in Barcelonas Stadtzentrum zu lesen ist

Steigende Armut bei lokaler Bevölkerung

Denn letztlich profitieren vom Tourismusboom nur wenige. Unter den 17 Autonomen Gemeinschaften Spaniens, die Bundesländern entsprechen, sind die Kanaren die zweitärmsten. Auch der Aktivist Ruben Perez spricht gegenüber Vozpopuli von einer sich verschlechternden Lebensqualität der heimischen Bevölkerung: „Mehr Menschen als je zuvor müssen auf der Straße leben.“ Die Arbeit im Tourismus sei nicht nur hart, sondern auch schlecht bezahlt. Und den niedrigen Löhnen stünden hohe Lebenshaltungskosten gegenüber.

Der kanarische Regionalpräsident Fernando Clavijo zeigte sich um Schadensbegrenzung bemüht. Der vom Tourismus erzeugte Reichtum müsse besser verteilt werden, forderte er jüngst. Schließlich profitiere die Branche ja von der Natur, „die allen gehört“. Clavijo „begrüßte“ diese Woche die Debatte und stellte Maßnahmen in Aussicht. Aber er warnte auch vor Aktionen gegen Touristen und Touristinnen.

Für den spanischen Tourismusminister Jordi Hereu sind die 85,1 Millionen Touristen und Touristinnen unterdessen ein „außergewöhnlicher Ausgangspunkt, um weiterzuarbeiten und die Qualität der spanischen Tourismusindustrie 2024 noch zu verbessern“, wie er Anfang Februar bekräftigte.

Umzug ins Auto oder Zelt

Die Situation auf den Balearen ist ähnlich herausfordernd. Auf Ibiza etwa leben rund 160.000 Menschen – im Kontrast zu vier Millionen Besucherinnen und Besuchern im Jahr 2023. Allein im vergangenen Jahr seien die Wohnkosten hier um bis zu 50 Prozent gestiegen. Aufgrund dessen müssten Einheimische laut BBC mittlerweile sogar schon in ihren Autos leben. „Auf Ibiza ist das Wohnen sehr teuer, und es wird immer teurer“, sagt der Koch Cesar Nebrera.

„Und die Kosten für die Miete stehen in keinem Verhältnis zu dem, was man verdient. So zu leben ist also eine Alternative. Es ist weniger komfortabel, aber es erlaubt mir, weiterhin auf der Insel zu leben“, wird Nebrera zitiert.

Nebera ist bei Weitem nicht der einzige ohne festen Wohnsitz. Vergangenes Jahr habe etwa der Berufsverband der Zivilschutzpolizei bekanntgegeben, dass „drei oder vier“ ihrer Beamten in Fahrzeugen auf der Insel leben würden. Andere Einheimische würden in Zelten oder in sehr einfachen Gemeinschaftsunterkünften hausen, heißt es bei der BBC weiter.

Blick über Ferienhaussiedlungen
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Mit den steigenden Tourismuszahlen stiegen auch die Wohnpreise – für die lokale Bevölkerung oft nicht mehr erschwinglich

Mietergewerkschaft: Slums auf Ibiza

Das bestätigt auch Daniel Granda, Sprecher der Mietergewerkschaft von Ibiza und Formentera. Fälle wie diese würden zunehmen. „Viele Menschen landen in ziemlich miserablen Verhältnissen, und wir sehen überall auf der Insel Slums“, sagt er. Einheimische hätten zunehmend das Gefühl, von den Touristen und Touristinnen von der Insel vertrieben zu werden.

Das Problem: Auf dem Festland sei Wohnraum zwar erschwinglicher, doch Arbeit schwer zu finden. Klar sei aber auch: Es müsse sich etwas ändern, denn ansonsten drohe die Immobilienkrise paradoxerweise jene Tourismusbranche zu untergraben, die so für den Anstieg der Mieten verantwortlich sei. Doch egal ob Barcelona, Mallorca, Ibiza oder Teneriffa – bis jetzt scheint noch keine Destination einen nachhaltigen Ausweg aus dem Tourismusdilemma gefunden zu haben.