Lena Schilling
ORF
Schilling vor EU-Wahl

„Klimakrise trifft die, die wenig Geld haben“

In der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag hat sich die Spitzenkandidatin der Grünen für die EU-Wahl, Lena Schilling, dafür ausgesprochen, die Klimakrise als soziale Frage anzugehen. „Die Klimakrise trifft die, die am wenigsten Geld haben“, beklagte Schilling. Hier gelte es anzusetzen, etwa damit, Zugsfahren deutlich billiger zu machen und die Reichen zur Kassa zu bitten.

„Mobilität darf keine Frage von Einkommen sein“, so Schilling. Vielmehr sollte man jene zahlen lassen, die die Klimakrise auch mehr verursachen würden, etwa reiche Menschen mit Privatjets. Diese, so könne sie sich vorstellen, könnten stark besteuert oder sogar verboten werden.

Die 23-Jährige sprach sich dafür aus, einen Bahnbilligtarif für Verbindungen zwischen den Hauptstädten der EU einzuführen. Maximal zehn Cent pro Kilometer sollten dabei fällig werden, wenn es nach den Grünen geht. Eine Zugsfahrt zum „Europatarif“ wäre dann etwa zwischen Wien und Berlin (680 Kilometer) um 68 Euro zu haben. „Der Zug muss die günstigere Alternative sein“, so Schilling.

Grüne gegen „vermeintliche Billigairlines“

Zugsfahrten sollten billiger und berechenbarer werden als Flüge mit „vermeintlichen Billigairlines“ mit undurchsichtigen Zusatzgebühren. Letztere seien auf kurzen Strecken besonders schlecht für das Klima, hielten die Grünen bereits in einem Papier, das der APA vorliegt, fest. Die Differenz des „Europatarifs“ zu den Marktpreisen soll den Eisenbahnunternehmen nach den Vorstellungen der Grünen aus EU-Mitteln zurückerstattet werden, damit diese die internationalen Verbindungen weiter ausbauen können.

Maßnahmen für den Klimaschutz

Beim Klimaschutz dürfe man nicht bei jenen ansetzen, die sowieso schon wenig hätten, so Schilling.

Der neue Tarif soll aus Sicht der Grünen zu einem verlässlichen Standardpreis werden, der jederzeit zugänglich sein soll. Er soll sich damit etwa von Sparschiene-Angeboten der ÖBB unterscheiden, die zwar sehr günstig, aber streng limitiert seien.

Schilling selbst ist bekannt dafür, mit dem Zug zu politischen Ereignissen zu reisen, so etwa auch die mindestens zwölf Stunden nach Brüssel. Auch künftig wolle sie weite Strecken mit der Bahn zurücklegen. „Ich werde mir größte Mühe geben“, sagte die Grünen-Politikerin. Das Flugzeug habe sie selbst jedenfalls schon mehrere Jahre nicht mehr als Verkehrsmittel genutzt.

CO2-Ausstoß: Verkehrssektor im Fokus

Was den Ausstoß von klimaschädlichem CO2 betrifft, habe der Verkehrssektor nach wie vor den größten Aufholbedarf in der EU, so Schilling. Während die Emissionen in allen anderen Bereichen – Industrie, Landwirtschaft, Gebäude etc. – sänken, seien sie im Verkehrsbereich zwischen 1990 und 2019 um 33,5 Prozent gestiegen, sagte sie unter Berufung auf Daten des EU-Parlaments.

„Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass man klimafreundlich von A nach B kommt“, meinte sie. Dafür sei neben günstigen Tickets auch der weitere Ausbau nationaler und internationaler Zugsverbindungen sowie Investitionen in moderne Züge notwendig.

Gaza-Krieg: Schilling distanziert sich von Thunberg

Schilling hat ihre Wurzeln im Klimaaktivismus von „Fridays for Future“, mit der Gründerin dieser Bewegung, Greta Thunberg, geht sie allerdings nicht in allem konform. So ließ Thunberg zuletzt etwa mit deutlichen Äußerungen aufhorchen, die sie geopolitisch eher auf der Seite Palästinas als auf jener Israels in puncto Nahost-Konflikt verorteten. „Ich bin nicht auf der Seite von Greta Thunberg“, so Schilling. „Ich distanziere mich von diesen Aussagen.“ Es sei aber auch klar, dass Klimaaktivistinnen und -aktivisten von „Fridays for Future“ in 150 Ländern nicht alle einer Meinung seien könnten.

Grüne Position zum Nahost-Konflikt

In der Klimabewegung gab es Unstimmigkeiten rund um den Nahost-Konflikt. Lena Schilling legt ihre Position dar.

Schilling zeigte sich mit Israel solidarisch. „Es ist klar, dass Israel Selbstverteidigungsrecht hat“, sagte die grüne EU-Spitzenkandidatin. „Wir wollen aber auch, dass den Palästinensern geholfen wird, aber wir wollen nicht die Hamas unterstützen.“ Wie man sehe, sei das eine „extrem schwierige und komplexe Situation“, so Schilling.

„Politik findet auf der Straße statt“

Die junge Klimaaktivistin wird weitgehend als politische Quereinsteigerin gesehen. Sie selbst sieht das allerdings weniger so, denn Politik werde nicht nur in Parlamenten gemacht, so die grüne Spitzenkandidatin in der „Pressestunde“. „Politik findet auf der Straße statt, in der Familie – nicht nur im Parlament“, sagte Schilling. „Mit dieser Perspektive will ich ins EU-Parlament gehen.“

Klimaaktivisten in der Kritik

Die Klebeaktionen für den Klimaschutz, um den Verkehr auf den Straßen aufzuhalten, sorgten für herbe Kritik.

Diese Entscheidung finden nicht alle ihrer Kolleginnen und Kollegen im Aktivismus gut. Jedoch: Sie sei jahrelang für ihre Anliegen auf die Straße gegangen, nun wolle sie diese auch parlamentarisch vertreten, verteidigte Schilling ihren Rollenwechsel. Sie werde ihre Ideale nicht aufgeben, gleichzeitig aber auch um Kompromisse kämpfen, „und Kompromisse tun immer weh“, sagte sie zu Kritik aus Reihen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten.

Auf der Straße fanden zuletzt immer wieder Klebeaktionen statt, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Diese störten jedoch auch viele Autofahrerinnen und Autofahrer und sorgten politisch und gesellschaftlich für scharfe Kritik. Schilling meinte dazu auf gut Wienerisch, dass sie „im Herzen“ Aktivistin sei, aber „man sollte den Menschen im Frühverkehr nicht ‚am Oasch‘ (sic!) gehen“.

Norwegen-Fauxpas vielleicht nicht „letzter Fehler“

Auf ihre Jugend und ihren Fauxpas gegenüber ORF-Satiriker Peter Klien angesprochen, bei dem sie am Tag ihrer Kür für die Grünen Norwegen in der EU verortet hatte, meinte Schilling: „Ich kann es nicht versprechen, aber es kann sein, dass es nicht mein letzter Fehler gewesen sein wird.“ Sie vertiefe sich schon länger in EU-Themen und habe die letzten Monate damit verbracht, mit Experten zu sprechen und an Briefings teilzunehmen.

Zu Vorwürfen mangelnder Durchsetzungskraft der Grünen in Österreichs Bundesregierung verwies Schilling auf die Handlungen des großen Koalitionspartners. Es sei die ÖVP, die „in vielen Bereichen gebremst hat“. Und dass Österreich etwa so schwer aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas herauskomme, liege an unter dem früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abgeschlossenen „Knebelverträgen“.

EU-Asyl- und Migrationspakt: „Wo sollen die Leute hin?“

Dass die Grünen gegen die Mehrzahl der Punkte des EU-Asyl- und Migrationspakts gestimmt haben, verteidigte die Spitzenkandidatin. Menschen in großen Lagern an den Außengrenzen der Union unterzubringen, werde nicht die Lösung sein. Auch vom Ertrinken der Menschen im Mittelmeer stehe nichts im Pakt. Es brauche einen geordneten Verteilungsmechanismus, schnelle faire Verfahren, Menschlichkeit und die Möglichkeit zu geordneter Migration.

Schilling zu EU-Asyl- und Migrationspakt

Schilling sprach sich unter anderem für einen geordneten Verteilungsmechanismus von Flüchtlingen aus.

Zur Frage, ob Klimaflüchtlinge ein Recht auf Asyl bekommen sollten, blieb Schilling vage. Man müsse sich mit dem Thema jedenfalls auseinandersetzen und die Klimakrise nachhaltig bekämpfen, damit die Menschen nicht gezwungen seien, ihr Zuhause verlassen zu müssen. Denn: „Wenn Inseln untergehen, wo sollen die Leute hin?“

„500.000 Stimmen für den Klimaschutz“

Sie wolle ihre Wurzeln nicht vergessen, aus dem Grund wolle sie auch weiter in Wien, aber auch in Brüssel leben. „Nach fünf Jahren werde ich evaluieren, wie ich weitermache“, sagte die Politikwissenschaftsstudentin. Ihr Studium will sie abschließen, bisher arbeitete sie als Tanzlehrerin für Modern Contemporary. So wie sich der moderne Balletttanzstil auszeichnet, möchte Schilling auch EU-Politik machen: „Ein bisschen modern, ein bisschen Ernsthaftigkeit, ein bisschen Feuer.“

Bei der EU-Wahl am 9. Juni peilt sie „500.000 Stimmen für den Klimaschutz“ an. Bei der EU-Wahl 2019 hatten die Grünen 532.193 Stimmen erreicht, was 14,1 Prozent Stimmanteil bedeutete. Zunächst verfügten die heimischen Grünen damit über zwei Mandate, nach der Erhöhung der Österreich zustehenden Sitze von 18 auf 19 dann über drei. Diese Zahl zu halten hatten die Grünen zuletzt als Ziel genannt.