Menschen in einer Straße in Innsbruck
ORF.at/Christian Öser
Innsbruck

Stichwahl ist „reine Mobilisierungsfrage“

Bei den Gemeinderatswahlen in Innsbruck am Sonntag haben die Grünen unter Georg Willi den ersten Platz für sich behaupten können. Knapp dahinter auf den zweiten Platz kam Ja – Jetzt Innsbruck unter dem Ex-ÖVP-Politiker Johannes Anzengruber. Willi und Anzengruber sind es auch, die in zwei Wochen in einer Stichwahl um das Bürgermeisteramt rittern. Über den Ausgang lässt sich nur spekulieren, der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sieht jedoch eine „reine Mobilisierungsfrage“.

Eine Stichwahl sei eine „völlig neue Wahl“, sagte Filzmaier gegenüber ORF.at. Viele unterschiedliche Komponenten müssten dabei berücksichtigt werden, „Schlussrechnungen sind schlicht unmöglich“. Nichtwählerinnen und Nichtwähler könnten zur Wahl gehen, Personen, die im ersten Wahlgang gewählt haben, könnten zu Hause bleiben.

Die Hauptfrage, die sich Filzmaier zufolge stellt, ist: „Wer geht hin?“ Erfahrungsgemäß seien Stichwahlen zudem von einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung geprägt. Auch aufgrund des knappen Ergebnisses zwischen dem bisherigen Bürgermeister Willi (22,9 Prozent) und Anzengruber (19,4 Prozent) sei eine Vorhersage des Siegers „höchst spekulativ“, so Filzmaier.

Eine Grafik zeigt das vorläufige Ergebnis der Innsbrucker Bürgermeisterwahl
Grafik: APA/ORF; Quelle: Stadt Innsbruck

Tursky unterstützt Anzengruber

Zudem stellt sich auch die Frage, welche Wählerinnen und Wähler der anderen Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten bzw. Parteien für Willi bzw. Anzengruber stimmen würden. „In der Theorie schielt Willi naturgemäß auf Wählerinnen und Wähler der SPÖ und ihrer Spitzenkandidatin Elisabeth Mayr“, so der Politikwissenschaftler. Anzengruber würde als „letztlich doch bürgerlicher Kandidat auf das Wählerklientel der FPÖ und dessen Spitzenkandidaten Markus Lassenberger setzen“.

Hannes Anzengruber
APA/EXPA/Johann Groder
Der Ex-ÖVP-Politiker Johannes Anzengruber erreichte aus dem Stand heraus acht Mandate mit seiner Liste Ja – Jetzt Innsbruck

Doch auch aus seiner ehemaligen politischen Heimat ÖVP erhielt Anzengruber Unterstützung. Der bei der Wahl recht erfolglose Ex-Staatssekretär Florian Tursky (ÖVP), der bei der Bürgermeisterwahl lediglich auf 10,4 Prozent der Stimmen kam, gab am Montag eine Wahlempfehlung für Anzengruber ab. Die Entscheidung kam durchaus überraschend, da Anzengruber nach einem Disput mit der ÖVP im letzten Jahr aus dieser ausgeschlossen worden war. „Mit einem alten Bürgermeister kann ein neues Innsbruck nicht möglich sein“, begründete Tursky jedoch seine Unterstützung für Anzengruber.

Kandidaten sehen offenes Rennen

Willi und Anzengruber sahen nach der Wahl jeweils beide ein offenes Rennen für die Stichwahl in zwei Wochen. Willi bezifferte am Montag seine Chance auf eine Wiederwahl „fifty-fifty“. Und auch Anzengruber ortete ein Rennen mit ungewissem Ausgang.

Für Willi sei die Verteidigung des Bürgermeistersessels zudem ein „wichtiges Symbol“, da man damit zeigen könne, dass man einen Bürgermeister in einer Landeshauptstadt stelle, betonte Filzmaier im Hinblick auf schwache Umfrageergebnisse der Grünen im Bund. Der Politikwissenschaftler ortete beim grünen Bürgermeister jedoch auch ein gewisses „Dilemma“.

Einerseits seien Willi und Anzengruber politische Gegner, die gegeneinander in der Stichwahl antreten und sich daher „voneinander – wenn auch nur sachlich – abgrenzen“ müssten. Andererseits müssten sie jedoch in der Stadtregierung sowie im Gemeinderat „Allianzen schmieden“. Solange die Stichwahl aber nicht geschlagen sei, sei alles nur „Spekulation“.

Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi
APA/EXPA/Johann Groder
Der amtierende Bürgermeister Georg Willi (Grüne) konnte Platz eins verteidigen

Ja – Jetzt Innsbruck „klarer Gewinner“

Neben der Wahl um das Amt des Stadtoberhauptes wurde auch der zukünftige Innsbrucker Gemeinderat gewählt. Dabei konnten die Grünen zwar den ersten Platz verteidigen und acht Mandate erreichen, prozentuell gesehen sei ein Minus von fünf Prozent jedoch schon ein „erheblicher Verlust“, so Filzmaier. Anders sei das bei Anzengruber, dessen Liste als zweitstärkste Fraktion durchs Ziel ging und mit ebenfalls acht Mandaten, die auf Anhieb erreicht wurden, als „klarer Gewinner“ darstehe.

Die FPÖ hingegen musste ein Minus gegenüber der letzten Wahl 2018 hinnehmen. Laut Filzmaier seien diese Verluste „nicht unbedingt zu erwarten“ gewesen. Die SPÖ wiederum konnte sich um ein paar Prozentpunkte verbessern. Angesichts des „katastrophalen Ausgangsniveaus“ sieht Filzmaier hier allerdings auch noch „Luft nach oben“. NEOS scheiterte an der Vierprozenthürde und flog aus dem Gemeinderat.

Eine Grafik zeigt das vorläufige Ergebnis der Innsbrucker Gemeinderatswahl
Grafik: APA/ORF; Quelle: Stadt Innsbruck

„Rückenwind aus Salzburg“ für KPÖ

Große Freude kam hingegen bei der KPÖ auf, die mit 6,7 Prozent den Einzug in den Gemeinderat deutlich geschafft hat. Filzmaier ortet dabei einen „wichtigen Erfolg“, da man in Innsbruck anders als in Salzburg nicht auf eine bekannte Spitzenkandidatin setzen konnte. Man konnte jedoch auch „vom Rückenwind aus Salzburg“ profitieren.

Einerseits sei das auf eine „extrem überdurchschnittliche Präsenz in den Medien“ zurückzuführen, und andererseits sei das Thema leistbares Wohnen auch in Innsbruck präsent. Der Erfolg mache durchaus Hoffnung, auch bei weiteren Wahlen zu reüssieren, jedoch sei die Nationalratswahl noch zu weit entfernt, um Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Freud und Leid nach der Innsbruck-Wahl

Zur Innsbruck-Wahl am Sonntag sind 13 Listen angetreten. Wie schon in Salzburg erlebt die ÖVP auch hier ein Debakel. Die FPÖ steigt schwächer aus als erwartet.

Tursky großer Verlierer

Der große Wahlverlierer ist hingegen das Neue Innsbruck. Das bürgerliche Bündnis unter Tursky hatte bei der Gemeinderatswahl rund 21 Prozent verloren. Und auch beim Kampf um das Bürgermeisteramt hatte der Ex-Staatssekretär nichts mitzureden. Filzmaier zufolge müsse sich die ÖVP vor allem auf der Stadtebene neu aufstellen und dort nahezu um ihre „Existenz kämpfen“.

Mit Eisenstadt gebe es nur mehr eine Landeshauptstadt, die von der ÖVP gehalten wird. Mögliche Ambitionen Turskys, als Nachfolger von Landeshauptmann Anton Mattle in die Tiroler Landespolitik zu wechseln, schienen mit dem Wahlergebnis von Sonntag dahin, so der Politologe.

Auswirkungen auf den Bund

Aus dem Innsbrucker Wahlergebnis seriöse Prognosen für die Nationalratswahl im Herbst aufstellen könne man nicht, meinte Filzmaier. Alle Wahlberechtigten in Innsbruck machen weniger als 1,5 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung aus. Jedoch könnten bei manchen durchaus „interne Zweifel“ nach dem Ergebnis vom Sonntag aufkommen.

Auch Politikberater Thomas Hofer sieht die Situation für die ÖVP als „alles andere als angenehm“, wie er gegenüber der APA sagte. Gleichzeitig betonte Hofer aber auch – wie Meinungsforscher Peter Hajek –, dass die Wahl in Innsbruck aufgrund der Abspaltungen im bürgerlichen Lager „etwas Eigenes“ gewesen sei.

Hohe Wahlbeteiligung „nicht überraschend“

Mit rund 60 Prozent gab es auch seit Langem wieder eine recht hohe Wahlbeteiligung in Innsbruck. Filzmaier sieht darin jedoch „keine Überraschung“. Politische Konflikte würden die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß erhöhen.

„Es herrscht ein Gefühl von ‚auf meine Stimme kommt es an‘.“ Der Anstieg von 50 auf 60 Prozent sei dem Politikwissenschaftler zufolge zwar erfreulich, jedoch wäre ein höherer Wert immer wünschenswert.