Jugendlicher kauft Brot in Gaza
APA/AFP
Israel vs. Hamas

Gaza-Krieg im Schatten des Iran-Angriffs

International ist derzeit alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet, ob eine weitere Eskalation des Konflikts zwischen dem Iran und Israel verhindert werden kann. Parallel geht freilich der Krieg im Gazastreifen weiter – und vor allem das Leiden der Zivilbevölkerung und der dort weiter in Geiselhaft befindlichen entführten Israelis.

Die Vereinten Nationen ringen weiterhin darum, eine Hungersnot im Gazastreifen zu verhindern. Obwohl es bei der Koordination mit Israel gewisse Verbesserungen gegeben habe, seien Hilfslieferungen in das Palästinensergebiet noch immer mit Schwierigkeiten verbunden, sagte Andrea De Domenico, Leiter des UNO-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), am Dienstag in New York. So komme es an den Kontrollpunkten zu erheblichen Verzögerungen.

In der vergangenen Woche seien 41 Prozent der UNO-Anfragen zur Lieferung von Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens abgelehnt worden. „Wir beschäftigen uns mit diesem Tanz, bei dem wir einen Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück oder zwei Schritte nach vorne und einen Schritt zurück machen.“

„Dadurch bleiben wir im Grunde immer am selben Punkt“, sagte De Domenico. „Für jede neue Chance, die wir bekommen, gibt es eine neue Herausforderung, die wir bewältigen müssen.“

Bäcker backt Brot in Bäckerei
Reuters/Mahmoud Issa
Eine Bäckerei in Gaza-Stadt, die nach Monaten des Krieges wieder instand gesetzt wurde

„Geht um viel mehr als Mehl“

Das Problem seien nicht nur die Lebensmittel, eine Hungersnot sei viel komplexer. „Es geht um viel mehr als nur darum, Mehl einzuführen“, betonte De Domenico. „Wasser, sanitäre Einrichtungen und Gesundheit sind von grundlegender Bedeutung für die Eindämmung der Hungersnot.“ Zuletzt habe die Zahl an Lastkraftwagen, die Hilfsgüter in den Gazastreifen brachten, stetig zugenommen.

Am Mittwoch meldete die israelische Armee, dass erstmals Hilfsgüter über den Hafen von Aschdod abgewickelt worden seien. Acht Transporter mit Mehl seien dort kontrolliert und dann über den Grenzübergang Kerem Schalom in den Gazastreifen gebracht worden.

Bitte um 2,6 Milliarden Euro

Die UNO beklagt seit Langem, dass es Schwierigkeiten gibt, Hilfsgüter in den abgeriegelten Gazastreifen mit seinen 2,3 Millionen Menschen zu bringen und zu verteilen. Am Mittwoch startete die UNO einen neuen Aufruf, mit dem sie von Staaten insgesamt 2,8 Milliarden Dollar (2,6 Mrd. Euro) an Hilfe einsammeln will.

Tausende Palästinenser auf dem Weg nach Norden
Reuters/Ramadan Abed
Tausende Menschen versuchten, vom Süden wieder in den Norden zu gelangen, und wurden von der Armee daran gehindert

Militärstreifen riegelt Norden ab

Seit rund zwei Wochen sind die großen Kampfeinsätze Israels eingestellt, und ein Gros der Truppen wurde an die Grenze zurückbeordert. Nur ein Streifen, der Gaza etwa in der Mitte entlang des Wadi Gaza teilt, ist von der Armee besetzt. Sie verhindert so die Rückkehr Geflüchteter in den Norden, etwa nach Gaza-Stadt.

Gerüchte, man könne durch die israelische Sperre in den Norden gelangen, hatten am Wochenende dazu geführt, dass sich Tausende Menschen auf den Weg machten und dann von der Armee – teils mit Warnschüssen – zurückgewiesen wurden.

Das Gros der Zivilbevölkerung ist damit im Süden gefangen. Dort droht aber Israel mit einer Bodenoffensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten. Wegen des iranischen Angriffs dürfte sich diese nun verzögern. Laut israelischen Medienberichten wollte die Armee eigentlich am Montag die Bevölkerung mit Flugblättern zum Verlassen der Stadt auffordern. Die USA sehen eine Offensive in Rafah kritisch und fordern, dass jedenfalls die Zivilbevölkerung geschützt werden muss.

Unterbringung Hunderttausender unklar

Gerechnet wird damit, dass Israel mit verschiedenen Mitteln versuchen wird, möglichst viele zum Verlassen der Stadt zu bringen. Unklar ist bisher aber, wo die mehr als eine Million Menschen untergebracht werden sollen. Zuletzt schrieb die israelische Regierung den Auftrag für Zehntausende Zelte aus. Israel will Rafah erobern, da es dort die Hamas-Führung – allen voran Jahja Sinwar und Mohammed Deif – und viele der israelischen Geiseln vermutet.

Menschen tragen tragen Packungen
Reuters/Ramadan Abed
Millionen sind von den spärlichen Hilfslieferungen abhängig

Kommandoaktionen im Norden

Im Norden gibt es unterdessen permanent Kommandoeinsätze, bei denen laut israelischen Angaben gegen Hamas-Trupps vorgegangen wird. So zog sich die Armee offenbar nach einem solchen Einsatz am Dienstag nach Angaben von Einwohnern aus der Ortschaft Beit Hanun im Nordosten wieder zurück. Israelische Militäreinsätze in dem Gebiet hätten schwere Zerstörungen hinterlassen, berichteten Augenzeugen. Dutzende Männer seien dort festgenommen und in israelische Gefängnisse zum Verhör gebracht worden.

Die Hamas versucht der verbliebenen Bevölkerung im Norden durch Präsenz ihrer Kämpfer und der eigenen „Polizei“ zu zeigen, dass sie weiter im Gazastreifen herrscht. Genau das wiederum versucht die israelische Armee zu unterbinden.

Keine Bewegung bei Geiselverhandlungen

Ohne Aussicht auf Fortschritte scheinen derzeit die seit Monaten andauernden indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und einen Geiseldeal zwischen der Terrororganisation und Israel. Die Hamas lehnte zuletzt ein israelisches Angebot ab und verschärfte die eigenen Bedingungen für eine Zustimmung. Israelischen Medien zufolge sei das eine Folge von unter internationalem Druck erfolgten israelischen Zugeständnissen – insbesondere der Zulassung von mehr Hilfslieferungen.

Das, der generell deutlich gestiegene internationale Druck auf Israel und die weitgehende Einstellung der Kampfhandlungen hätten Sinwar zur Einnahme einer härteren Position bewogen. Ob der iranische Angriff und die davon ausgelöste erneute Solidarisierung des Westens mit Israel daran etwas ändert, ist noch unklar.

Israelische Familienangehörige halten Fotos von Geiseln
APA/AFP/Daniel Leal
Angehörige israelischer Geiseln kämpfen seit dem 7. Oktober für die Freilassung ihrer Liebsten

Für viele nicht mehr Toppriorität

Allerdings hat auch Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu immer wieder die Position in den Verhandlungen geändert und möglicherweise mehrmals eine Einigung verhindert. Umfragen zeigen zudem, dass einer Mehrheit der Israelis die Zerstörung der Hamas mittlerweile wichtiger ist als die Rückkehr der Geiseln. Praktisch alle Regierungsmitglieder – egal welche Position sie im Einzelnen vertreten – nennen bei den Prioritäten zuerst den Sieg gegen die Hamas und erst dann die Befreiung der Geiseln.

Von den 133 noch in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln sind nach israelischen Geheimdienstinformationen 34 bereits tot. Inoffiziell wird die Zahl der toten Geiseln aber viel höher geschätzt.