Boeing-Ingenieur Sam Salehpour
APA/AFP/Drew Angerer
Anhörung im US-Senat

Whistleblower wirft Boeing Baufehler vor

Ein Boeing-Ingenieur, der sich als Whistleblower an die US-Flugaufsicht (FAA) gewandt hat, hat am Mittwoch bei einem Auftritt vor einem Unterausschuss des US-Senats seine schwere Kritik an der Produktion des Langstreckenflugzeugs 787 „Dreamliner“ bekräftigt. Sam Salehpour sagte, dass Boeing Fehler bei der Verbindung von Rumpfteilen zugelassen habe – und diese Fehler seien „eine Frage von Leben und Tod“. Während der Konzern die Vorwürfe zurückweist, fordert der Ingenieur die Stilllegung des Modells.

Das Flugzeug könnte auseinanderfallen und „zu Boden stürzen“, sagte der Boeing-Ingenieur im Sender NBC News im Vorfeld der Anhörung. Die Vorwürfe des Whistleblowers waren in der vergangenen Woche durch einen Bericht der „New York Times“ („NYT“) publik geworden. Er beschuldigt den US-Konzern, seine wiederholten schwerwiegenden Warnungen zur Sicherheit und Qualitätskontrolle beim Zusammenbau der Modelle 777 und 787 ignoriert zu haben.

Im Senatsunterausschuss verwies er darauf, dass laut Boeing-Unterlagen jene Abstände zwischen den Rumpfteilen geschlossen werden müssen, die größer als 0,005 Zoll (0,127 Millimeter) sind. Doch seien bei mehr als 1.000 „Dreamlinern“ die größeren Lücken an zwei Stellen nicht geschlossen worden, so der Informant. Boeing verweise oft darauf, dass 0,005 Zoll nur die Breite eines Haares seien, doch könnte eine solche Ungenauigkeit potenziell tödlich sein.

„Mir wurde gesagt, ich soll die Klappe halten“

Auch prangerte der Ingenieur ein neues Produktionsverfahren beim Langstreckenflugzeug Boeing 777 an, bei dem es schwieriger sei, einzelne Rumpfteile anzupassen. Auf die direkte Frage eines Senators, ob nun aus seiner Sicht die 787 und die 777 unsicher seien, beschränkte sich der Whistleblower allerdings auf die Feststellung, dass Vorgaben missachtet worden seien.

Der Whistleblower ging zugleich mit der Boeing-Unternehmenskultur hart ins Gericht. „Mir wurde gesagt, ich soll die Klappe halten“ – und er sei auch bedroht worden, nachdem er seine Bedenken vorgebracht habe.

Boeing 787 Dreamliner wird zusammengebaut
APA/AFP/Juliette Michel
Eine 787 „Dreamliner“ bei der Fertigung im Boeing-Werk im US-Bundesstaat South Carolina

Boeing widerspricht vehement

Bei der Anhörung treten keine Vertreter des Unternehmens auf. Zuvor widersprach Boeing der Darstellung vehement. Chefingenieur Steve Chisholm verweist darauf, dass 671 Maschinen des Typs ihre Inspektionen nach sechs Betriebsjahren absolviert hätten und bei keinem Flugzeug Probleme festgestellt worden seien. Auch eine 787, bei der von 2010 bis 2015 die Belastung von 165.000 Flügen simuliert worden sei, habe keine Anzeichen von Materialermüdung am Rumpf gezeigt. Die FAA habe die Ergebnisse der Untersuchungen abgesegnet.

Boeing-Managerin Lisa Fahl betonte zugleich, dass der Konzern bei der Entwicklung der 787 extrem vorsichtig gewesen sei. Die Vorgabe für die Spaltmaße sei strikter festgesetzt worden, weil es das erste Flugzeug mit einem Rumpf aus Verbundmaterialien gewesen sei. Mit mehr Daten habe man aber herausgefunden, dass auch größere Abstände zulässig seien. Auch bei der 777 hätten neue Produktionsmethoden nicht zu Problemen geführt, beteuert Boeing unter Verweis auf Inspektionsdaten.

Rumpffragment in der Luft herausgebrochen

Bei dem Zwischenfall Anfang Jänner, der Boeing viele unliebsame Schlagzeilen einbrachte, brach bei einer 737-9 Max von Alaska Airlines kurz nach dem Start im Steigflug ein Rumpffragment heraus. Die mehr als 170 Menschen an Bord kamen glimpflich davon, allerdings waren die beiden Sitze in der Nähe des Lochs im Rumpf auch durch einen glücklichen Zufall leer geblieben. Außerdem befand sich das Flugzeug noch in relativ geringer Höhe.

Beschädigte Boeing 737-9 MAX
Reuters/NTSB
Das Bild des herausgebrochenen Teils einer 737-9 Max von Alaska Airlines ging um die Welt

Die Unfallermittlungsbehörde NTSB geht nach bisherigen Untersuchungen davon aus, dass vier Befestigungsbolzen an dem herausgebrochenen Rumpfteil fehlten. Alle anderen Maschinen des Typs wurden zunächst für mehrere Wochen stillgelegt, durften aber nach Inspektionen wieder fliegen.

„Vom Aktienkurs besessene Führungskräfte“

Mitglieder des Unterausschusses forderten von Boeing am Mittwoch verbesserte Sicherheitspraktiken. Der Konzern müsse mehr tun, um seine Sicherheitskultur zu verbessern, hieß es. „Ich persönlich denke, dass Boeings jüngste Produktionsprobleme nur das Symptom eines viel tieferen Problems sind“, sagte die Senatorin Tammy Duckworth und sprach in diesem Zusammenhang von ihrer Ansicht nach „vom Aktienkurs besessenen Führungskräften“.

Die Vorsitzende des Gremiums, Maria Cantwell, erwartet nach eigenen Angaben, dass der US-Flugzeughersteller einen ernsthaften Plan als Reaktion auf eine Frist der US-Luftfahrtbehörde vorlegt. Diese hatte Ende Februar gefordert, dass der Konzern innerhalb von 90 Tagen einen überzeugenden Plan zur Lösung seiner „systematischen Qualitätssicherungsprobleme“ vorlegt.

Folgen für US-Fluggesellschaften

Die Boeing-Probleme treffen auch die US-Fluggesellschaften. So kostete der Ausfall mehrerer Dutzend Maschinen der 737-9 Max im Flugplan im Jänner United Airlines rund 200 Mio. Dollar (188 Mio. Euro). Die Fluggesellschaft verbuchte deswegen im vergangenen Quartal einen Verlust von 124 Mio. Dollar.

Außerdem bedeutet der ausbleibende Produktionsausbau bei Boeing, dass die Airline weniger neue Maschinen als geplant bekommen wird. United will sich nun 2026 und 2027 bei Leasinggesellschaften 35 Maschinen des Boeing-Rivalen Airbus buchen. Die Flugzeuge des Typs A321neo konkurrieren mit der 737.