Charles Michael und Enrice Letta bei einer Pressekonferenz
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EU-Reformvorschlag

Mehr Markt, weniger Regulierung

Der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat im Auftrag der europäischen Regierungen Vorschläge erarbeitet, die die EU wettbewerbsfähiger machen sollen. Der Binnenmarkt soll um Bereiche wie Innovation, vor allem aber um die national geregelten Finanzmärkte erweitert werden. Die Vorschläge stoßen prinzipiell auf Zustimmung, über die Umsetzung muss aber erst verhandelt werden. Das dürfte vielfach strittig sein und dauern.

Einigkeit bestand Donnerstagfrüh vor Beginn der Gespräche und Verhandlungen in Brüssel darüber, dass die Reform der Union notwendig sei und dränge. Die EU gerate gegenüber ihren Konkurrenten zunehmend ins Hintertreffen, sagte Letta nach der Verteilung seines Reformberichts.

Er wiederholte seinen zentralen Vorstoß, drei Bereiche in den Binnenmarkt zu integrieren, die jetzt national geregelt sind: Telekommunikation, Energie und Finanzen. Eine gemeinsame Regelung der Finanzmärkte mit einer gemeinsamen Aufsicht ist für viele der Schlüssel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Differenzen treten schnell zutage

Doch oft machte schon der zweite Satz die Unterschiede unter den führenden Politikern und Politikerinnen der EU klar. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas wandte sich gegen eine Harmonisierung der Steuern, ebenso der irische Ministerpräsident Simon Harris. Estland und Irland ziehen mit ihrer günstigen Steuerpraxis Unternehmen an. Er wolle „eine Kapitalmarktunion, die die Interessen der Mitgliedsländer respektiert“, formulierte es Harris.

Frankreich drängt vehement auf die Entwicklung einer Kapitalmarktunion mit einer strengen zentralen Aufsicht. Letta hatte am Donnerstag einen Vorschlag zur Güte parat: Man möge den Begriff Kapitalmarktunion einfach nicht mehr verwenden, meinte er.

Enrico Letta, Petteri Orpo,  Ursula von der Leyen und Mark Rutte beim EU-Gipfel
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Enrico Letta (l.), Präsident des Institut Jacques Delors und Ex-Regierungschef

Die Aufnahme gemeinsamer Schulden trennt die Regierungschefs und Regierungschefinnen im Moment am weitesten. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußerte sich ablehnend: Österreich zahle nach wie vor hohe Zinsen für die seinerzeitige Schuldenaufnahme in der Zeit der Pandemie, merkte der Kanzler an. Deutschland und die Niederlande sind ebenfalls dagegen.

Andere Politiker und Politikerinnen bringen die Möglichkeit immer wieder ins Spiel, ob für die steigenden Verteidigungsausgaben oder den kostspieligen Übergang zur Entwicklung einer grünen und digitalen Wirtschaft. Im Rat gebe es eine Debatte, meinte Ratspräsident Charles Michel fast lakonisch, „manche sind dafür, manche dagegen“.

Gruppenfoto von den Teilnehmern des EU-Gipfels
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Einig sind die Präsidentinnen, Kanzler und Regierungsspitzen nur im Prinzip

EU will Investitionen mobilisieren

Dass die nationalen Regeln die Investitionsbereitschaft und benachteiligen die Unternehmen in der EU hemmen, davon sind alle überzeugt. Kapital und Geld gibt es genug, aber im Vergleich zu den USA wird es nur zu einem kleinen Teil investiert – oder dort, wo es ertragreicher ist, zum Beispiel in den USA.

Einheitliche Regeln forderte Letta in seinem Reformbericht auch für den Energiemarkt und den Bereich Telekommunikation. Er ergänzte den Vorschlag um die Forderung nach Förderung und Aufbau von „nationalen Champions“, großen Leitbetrieben in Schlüsselbereichen wie der Telekommunikation – etwas, das bisher in der EU häufig auf Argwohn und Widerstand stieß, weil der Verdacht einer wettbewerbsverzerrenden Situation bestand.

Ein zukunftsweisendes Prinzip, das alle Politiker und Politikerinnen ohne Zögern gutheißen und das in dem Reformbericht prominent vorkommt, zielt auf den Abbau von Bürokratie. Nutznießer sollen vor allem kleine und mittlere Betriebe sein. Schnell wird aber auch das nicht geschehen.