„Gorch Fock“ Segelschulschiff der Deutschen Marine
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„Gorch Fock“-Prozess

Skandal um Schiff in vielen Episoden

Die deutsche „Gorch Fock“ sorgt seit Jahren für Schlagzeilen wie kaum ein anderes Schiff auf der Welt: mit tragischen Unfällen, Berichten über Exzesse an Bord, vor allem aber der endlosen Geschichte ihrer Instandsetzung, mit der Dutzende Millionen Euro versenkt wurden. Die Frage, wie das passieren konnte, ist Gegenstand eines Prozesses, anberaumt auf 38 Tage, am Montag wird wieder verhandelt. Die Causa füllt mittlerweile 1.450 Aktenordner.

Das Segelschulschiff der deutschen Marine, mit vollem Namen „Gorch Fock II“, wurde 1958 in den Dienst gestellt, es dient der Ausbildung von Offiziersanwärterinnen und Offiziersanwärtern der Seestreitkräfte, ist fast 90 Meter lang, hat etwa 750.000 Seemeilen zurückgelegt und Dutzende Länder gesehen, die Stammcrew besteht aus bis zu 161 Männern und Frauen.

Nach mehr als fünf Jahrzehnten im Dienst hatten sich ab 2010 nach und nach Instandsetzungsarbeiten auf dem Dreimaster abgezeichnet, Ende 2015 begann eine umfassende Reparatur – und mit ihr der große Skandal. 2021 war das Schiff zwar wieder seetüchtig, allerdings sollte seine Sanierung anstatt knapp zehn bis zu 135 Millionen Euro kosten.

Eine lange Geschichte

Am 16. April begann nun der Prozess, in dem es um Vorwürfe von Betrug und Korruption geht, vor dem Landesgericht Oldenburg im deutschen Bundesland Niedersachsen, anberaumt auf 38 Verhandlungstage bis Dezember. Als Beschuldigte stehen zwei ehemalige Vorstände der damals mit der Sanierung beauftragten Elsflether Werft und vier weitere Personen, darunter ein Kostenprüfer des Marinearsenals, vor Gericht.

Wegen der „Vielzahl der Verfahrensbeteiligten“, wie es von dem Gericht hieß, und des großen Medienechos wurde das Verfahren in das Messezentrum Weser-Ems-Hallen in Oldenburg verlegt. Der maßgebliche Vorwurf lautet: systematischer Betrug zulasten des Marinearsenals in Wilhelmshaven, das für die Einsatzfähigkeit der deutschen Seestreitkräfte zuständig ist. „13 Anwälte, 1.450 Aktenordner – und die Frage, wo 135 Millionen versenkt sind“, titelte die deutsche „Welt“ zum Prozessauftakt.

Werft ging in Konkurs

Die Elsflether Werft in der gleichnamigen Kleinstadt an der Weser in Niedersachsen war mit der Generalsanierung der „Gorch Fock“ beauftragt und führte diese auf einem Dock in Bremerhaven durch. Die Werft stellte Schäden an dem Schiff fest, die den Kostenrahmen bei Weitem überschritten, 2016 wurden die Arbeiten gestoppt. 2017 entschied die damalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), heute Präsidentin der EU-Kommission, dass die Sanierung fortgesetzt wird.

Crewmitglieder arbeiten am Mast der „Gorch Fock“
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Arbeiten in bis zu 45 Meter Höhe

Später tauchten Vorwürfe der Untreue und Korruption gegen Mitarbeiter der Werft und der deutschen Marine auf, 2019 schließlich der Knalleffekt: Die Werft meldete Insolvenz an. Damals lag das Schiff mehr oder minder in seine Einzelteile zerlegt auf dem Trockendock, der deutsche Bundesrechnungshof (BRH) kritisierte, dass mit der Generalüberholung planlos begonnen worden sei, ohne die Kosten einschätzen zu können.

Beinahe das „Ende einer Seefahrt“

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb damals unter dem Titel „Ende einer Seefahrt“, dass in Wirklichkeit niemand wisse, „ob die ‚Gorch Fock‘ die Werft jemals schwimmend verlassen wird oder als zerlegtes Wrack“. Sie verließ sie 2021 und hinterließ ein Kostenfiasko. Die Ermittler in der Causa „stießen auf eine Firma, die einem Selbstbedienungsladen glich“, schrieb die „Welt“. Beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) hieß es: „Die Marine soll systematisch ausgeplündert worden sein.“

Die eingepackte „Gorch Fock“ am Dock
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Die „Gorch Fock“, eingepackt in Planen auf dem Dock

1.450 Ordner voll mit Ermittlungsakten

Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen die beiden früheren Vorstände der Werft und einen technischen Kostenprüfer der Marine, der für die Prüfung der Plausibilität von Rechnungen bzw. deren Abzeichnen zuständig und wegen eines Immobilienprojekts in Geldnot gewesen sei, berichtete die „Welt“. Er soll überhöhte Rechnungen akzeptiert haben.

Die Elsflether Werft wiederum soll Aufträge an Subunternehmen abgegeben, von diesen Preisnachlässe gefordert, diese aber nicht korrekt weiterverrechnet haben. In der ganzen Causa ermittelte seit 2019 eine „Sonderkommission Wasser“, in der sich Ermittler „jahrelang durch 1.450 Aktenordner“ gekämpft und „14 Terabyte an E-Mails, SMS und Dokumenten“ ausgewertet hätten.

Viel Zeit und sehr viel Geld

Die „Gorch Fock II“ ist die Nachfolgerin der 1933 gebauten „Gorch Fock I“, die nach ihrer Versenkung durch die eigene Besatzung am Ende des Zweiten Weltkrieges und Bergung samt wechselvoller Geschichte als sowjetisches Schiff heute als Museumsschiff in Stralsund liegt. Benannt sind beide Schiffe nach dem deutschen Schriftsteller Gorch Fock (eigentlich Johann Wilhelm Kinau), gebaut wurden sie von der Hamburger Werft Blohm+Voss.

Prozess am Landesgericht Oldenburg
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Der Prozess dauert planmäßig zumindest bis Dezember

Laut Gerichtsakt begannen die Arbeiten der Elsflether Werft an der „Gorch Fock“ im Jänner 2016. Innerhalb von rund vier Monaten hätte der Dreimaster wieder auslaufen sollen, aber es dauerte mehr als fünf Jahre, bis die Marine ihr Schiff wiederhatte. Die Bremer Lürssen-Werft stellte die „Gorch Fock“ letztlich fertig. Die Kosten stiegen von kalkulierten 9,6 auf 135 Millionen Euro.

Tragischer Todesfall an Bord

Stürme im übertragenen Sinn hat der Dreimaster schon einige überstanden. Im November 2010 starb eine 25-jährige Offiziersanwärterin bei einem Sturz aus großer Höhe von der Takelage (dem System aus Masten und Tauen). Anschließend wollten Kadetten nicht mehr auf Masten klettern bzw. von Bord gehen, in den Medien war die Rede von einer „Meuterei“. Der Ausbildungsbetrieb wurde unterbrochen.

Der tragische Vorfall war nicht der erste auf dem Schiff gewesen. Mehrere Menschen starben durch Unfälle auf Deck oder wurden verletzt, 2008 war eine 18-jährige Kadettin über Bord gegangen und ertrunken. Der erste Todesfall an Bord hatte sich 1959 ereignet.

Beschwerden über Schikanen

Ab Ende 2010 geriet die „Gorch Fock“ nicht nur wegen des tödlichen Unfalls und der „Meuterei“ in die Schlagzeilen. Soldatinnen und Soldaten sprachen von Alkoholexzessen unter der Stammbesetzung, unwürdigen Initiationsritualen, Schikanen und sexueller Belästigung. Die Stammbesatzung wehrte sich gegen die Vorwürfe. Der Ausbildungsbetrieb wurde unterbrochen, später wieder aufgenommen.

Als die „Gorch Fock“ 2019 auf dem Dock in Bremerhaven lag, schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ unter dem Titel „Deutschland, abgewrackt“, der Dreimaster sei „einst der Stolz der Marine“ gewesen, später habe er sich zum „Symbol für das Elend der Bundeswehr“ entwickelt.