Mann in Rom schützt sich mit seinem T-Shirt vor der Sonne
Reuters/Guglielmo Mangiapane
Copernicus-Bericht

Klimakrise lastet auf Gesundheitswesen

Je nach Datensatz war 2023 das wärmste oder zweitwärmste Jahr in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Temperaturen lagen in elf Monaten über dem Durchschnitt, nie zuvor wurden mehr Tage mit „extremer Hitzebelastung“ verzeichnet. Das geht aus dem am Montag veröffentlichten jährlichen Bericht des EU-Klimabeobachtungsdienstes Copernicus hervor. Die Folgen für die öffentliche Gesundheit sind beträchtlich und werden sich bei fehlender Anpassung im Gesundheitswesen noch verschärfen.

In Europa steigen die Temperaturen seit den 1980er Jahren fast doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, heißt es in dem Bericht „European State of the Climate 2023“ („ESOTC“). Zurückzuführen sei das unter anderem auf den Anteil der Arktis – der sich am schnellsten erwärmenden Region der Welt – sowie auf Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation, die häufigere sommerliche Hitzewellen begünstigen würden.

In den vergangenen fünf Jahren war es nach Angaben von Copernicus in Europa durchschnittlich 2,2 Grad wärmer als in der vorindustriellen Zeit, weltweit waren es 1,2 Grad. Die drei wärmsten Jahre, die für Europa aufgezeichnet wurden, datieren alle nach 2020, die zehn wärmsten nach 2007.

1,5-Grad-Ziel erstmals überschritten

Aber auch weltweit gesehen war der Juli 2023 laut Copernicus der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen. Die globale Durchschnittstemperatur betrug 16,9 Grad und war damit 0,3 Grad höher als im bisher heißesten Monat, dem Juli 2019. Zudem war er der erste erfasste Monat mit einer Durchschnittstemperatur von rund 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau – und damit über dem Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015.

In Europa sei 2023 ein besonders ausgeprägtes „Jahr der Kontraste“ gewesen, mit extremen Hitzewellen und schweren Waldbränden, zusätzlich Überschwemmungen und Dürren. Das Vorjahr brachte die höchste Anzahl von Tagen mit „extremer Hitzebelastung“, nie zuvor war ein größerer Teil Europas von mindestens „starker Hitzebelastung“ betroffen, nie zuvor die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Meere höher. Im Juni erreichte der Atlantische Ozean westlich von Irland und um Großbritannien herum mit bis zu fünf Grad über dem Durchschnitt Werte, die teils als „äußerst extrem“ eingestuft wurde.

Streudiagramm zu den 30 schwersten Hitzewellen in Europa, nach Temperaturabweichung, Dauer der Hitzewelle und betroffener Fläche
WMO/Copernicus/ORF

Zahl der hitzebedingten Todesfälle steigt eklatant

Rund 1,6 Millionen Menschen waren von Überschwemmungen betroffen, 550.000 von Stürmen, 36.000 von Waldbränden. Die geschätzten Schäden beliefen sich auf 13,4 Milliarden Euro. Ein großer Teil Europas entging den Hitzewellen im Sommer nicht, auf dem Höhepunkt im Juli waren 41 Prozent Südeuropas von mindestens „starker Hitzebelastung“ betroffen – mit potenziellen Auswirkungen auf die Gesundheit.

Seit 1970 ist extreme Hitze die Hauptursache für wetter- und klimabedingte Todesfälle in Europa. Schätzungen zufolge starben in den Sommern 2003, 2010 und 2022 jeweils zwischen 55.000 und 72.000 Menschen an den Folgen von Hitzewellen. Angaben für 2023 lagen noch nicht vor. In der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die hitzebedingte Sterblichkeit in den letzten 20 Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Zwischen 2000 und 2020 soll die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in 94 Prozent der überprüften europäischen Regionen zugenommen haben.

Riesige Sonnensegel an einem Ufer an der Seine in Paris
APA/AFP/Miguel Medina
Die Auswirkungen der Hitze auf die menschliche Gesundheit sind in den Städten signifikanter

„Maßnahmen werden bald nicht mehr ausreichen“

Wenig zuversichtlich heißt es in dem Bericht: „Häufigkeit, Intensität und Dauer von Hitzewellen werden weiter zunehmen, mit schwerwiegenden Folgen für die öffentliche Gesundheit. Die kombinierten Auswirkungen von Klimawandel, Verstädterung und Bevölkerungsalterung werden die Auswirkungen wahrscheinlich noch erheblich verschärfen. Die derzeitigen Maßnahmen werden bald nicht mehr ausreichen, um die erwartete hitzebedingte Gesundheitsbelastung zu bewältigen.“

Allerdings hätten nur wenige der europäischen Vertragsparteien des Pariser Klimaschutzabkommens gesundheitliche Auswirkungen der Erderwärmung in ihre Anpassungsstrategien integriert. Von den 50 europäischen Mitgliedsländern der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hätten nur 28 Prozent tatsächlich klimabezogene Gesundheitsrisiken einkalkuliert.

Das Serviceniveau der Nationalen Meteorologischen und Hydrologischen Dienste für den Gesundheitssektor wurde auf einer Skala von eins bis sechs bewertet. Auf dieser Skala, (eins steht für „anfängliches Engagement“, sechs für „volles Engagement“), erreichte die WMO-Region Europa einen Durchschnittswert von 3,3.

Unterschätzter Zusammenhang Gesundheit – Klimawandel

„Die Möglichkeiten zur Umsetzung gesundheitlicher Anpassungsoptionen nehmen zu. Die Anpassung kann auf etablierten Infrastrukturen des Gesundheitswesens aufbauen und in diese integriert werden“, heißt es in dem Copernicus-Bericht. Doch „die vorhandenen Kapazitäten unterscheiden sich von Land zu Land erheblich, ebenso wie die zur Bewältigung klimabezogener Ereignisse. Die Fortschritte sind begrenzt, vor allem wegen des geringen gesellschaftlichen Drucks, des Vertrauens in bestehende Gesundheitssysteme und des mangelnden Bewusstseins für die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Klimawandel.“

Eine Erhöhung der Gesamtinvestitionen in die öffentlichen Gesundheitssysteme würde die Fähigkeit verbessern, auf klimabedingte Extremereignisse zu reagieren und so gesellschaftlichen Nutzen erwirken.

Grenzen der Belastbarkeit

„Grundsätzlich kann sich der Mensch an Temperaturen anpassen, aber die Adaptationsfähigkeit an extreme Temperaturen hat physiologische Grenzen“, heißt es auf der Website der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Zunehmende Hitze könne nicht nur direkt zu einer erhöhten Mortalität beitragen, sondern nachweislich viele weitere Auswirkungen mit sich bringen.

Besonderes Augenmerk (siehe Grafik oben) müsse auf Vektoren gelegt werden, Organismen, die als Krankheitsüberträger fungieren. Dazu zählen etwa Stechmücken, Zecken, Fliegen, Flöhe und Läuse. Verbesserte Brutbedingungen und klimabedingtes reichhaltigeres Nahrungsangebot wirken sich positiv auf ihre Verteilung und Vermehrung aus. Schon jetzt würden durch Vektoren übertragene Krankheiten weltweit mehr als 17 Prozent aller Infektionskrankheiten ausmachen und jährlich über 700.000 Todesfälle verursachen.