Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bei einer Pressekonferenz
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Zwischenbericht

ÖVP heizt Debatte zu Strafmündigkeit neu an

Die im März entbrannte Debatte über die Senkung des Strafmündigkeitsalters ist von der ÖVP am Freitag neu angefacht worden. Anlass war ein Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Jugendkriminalität, das Gremium war vor dem Hintergrund eines Missbrauchsfalls um eine Zwölfjährige eingesetzt worden. Geht es nach der ÖVP, soll die zentrale Maßnahme bei schweren Fällen eine Senkung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf zwölf sein. Auch Eltern sollen stärker zur Verantwortung gezogen werden. Von den anderen Parteien kam erneut Kritik – Fachleute hatten schon zuletzt dagegen argumentiert.

Geht es nach Innenminister Gerhard Karner und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP) sollen neben der Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters minderjährige Straftäter (egal welchen Alters) nach bestimmten Straftaten in Begleitung der Eltern von der Polizei vorgeladen werden. Eltern sollen „deutlich stärker zur Verantwortung gezogen werden“, wie Karner ausführte. Ziel sei die Aufklärung über Folgen und Konsequenzen der Tat.

Die Teilnahme sei als verpflichtend vorgesehen, Verstöße sollen mit Sanktionen belegt werden können, etwa „Geldstrafen für Eltern, die nicht teilnehmen“, wie Karner und Edtstadler am Freitag bei einer Pressekonferenz mitteilten. Es gehe nicht darum, „Kinder ins Gefängnis zu bekommen“, hielt Edtstadler fest, aber es seien durchsetzbare Konsequenzen im Fall schwerer Straftaten nötig. Dazu wurden insgesamt drei geplante Maßnahmen vorgestellt.

ÖVP heizt Debatte zu Strafmündigkeit neu an

Die ÖVP will das Strafmündigkeitsalter „bei schweren Gewaltdelikten“ und für Intensivtäter von 14 auf zwölf Jahre senken. Was Experten und Expertinnen davon halten.

Karner: „Wollen auch junge Straftäter mitnehmen“

Weiters sollen sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen etwa bei schwerwiegenden Gewaltdelikten und für „minderjährige Mehrfachtäter“ eingeführt werden. Hier gehe es um besonders schwere Taten wie Vergewaltigung oder bewaffneten Raub und „Intensivtäter“, so Karner. Diese Maßnahme gibt es bereits bei Gewalttaten, aber „wir wollen da jetzt auch junge Straftäter mitnehmen“, betonte der Innenminister.

Zur Senkung des Strafmündigkeitsalters bei schweren Delikten – wie schwerer Gewalt und Mord, Vergewaltigung, bewaffnetem Raub – will die ÖVP laut Karner die „Gespräche mit dem Justizministerium intensivieren“. Dessen Ressortchefin Alma Zadic (Grüne) hatte sich zuletzt bereits ablehnend gezeigt. Er sei „unverbesserlicher Optimist, und daher bin ich überzeugt, dass sich am Ende das Richtige und das Vernünftige auch durchsetzen wird“, sagte der Innenminister.

SPÖ: „Kein taugliches Instrument“

Ablehnung äußerten am Freitag SPÖ und NEOS. „Kinder einzusperren ist kein taugliches Instrument“, so SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim in einer Aussendung. Es gebe keine Experten, die das Einsperren von unter 14-Jährigen für eine passende Maßnahme halten. „Ziel muss aber sein, Täterkarrieren zu stoppen“, sagte sie und forderte die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs sowie engmaschige Betreuung in Wohngemeinschaften für Zwölf- bis 14-Jährige.

Auch NEOS kritisierte die ÖVP-Forderung nach Änderungen bei der Strafmündigkeit. Die ÖVP wolle „mit diesem populistischen Schnellschuss nur die FPÖ rechts überholen“, so Jugendsprecher Yannick Shetty. Maßnahmen wie gerichtlich angeordnete Antigewalttrainings und eine Verpflichtung zu sozialer Arbeit mit entsprechender Sanktionierung der Eltern, wenn die Kinder dieser Verpflichtung nicht nachkommen, unterstütze man.

FPÖ-Kritik an Abstimmungsverhalten der ÖVP

Auch die FPÖ reagierte mit Kritik, wenn auch anders gelagert: „Erst im März hatte die ÖVP die Möglichkeit gehabt, mit ihrer Zustimmung zu den freiheitlichen Anträgen eine Senkung der Strafmündigkeit umzusetzen, mit dem Ergebnis, dass die Abgeordneten der ÖVP zweimal dagegen gestimmt haben“, kritisierte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz in einer Aussendung. Die Idee sei eine langjährige freiheitliche Forderung.

Ablehnung kam von der Bundesjugendvertretung (BJV): „Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit auf unter 14 Jahre ist eine Verletzung der Kinderrechte. Statt härteren Strafen braucht es eine Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe und einen Ausbau der Jugendarbeit, damit Kinder erst gar nicht in den Konflikt mit dem Gesetz kommen“, hieß es in einem Statement gegenüber der APA.

Edtstadler: „Dinge haben sich verändert“

„Expertinnen und Experten sagen uns, dass sich die Dinge verändert haben“, erläuterte hingegen Edtstadler. Der Psychiater Reinhard Haller habe jüngst in den „Vorarlberger Nachrichten“ betont, durch die früher auftretende körperliche und psychische Entwicklung erfolge „der Eintritt in die Pubertät, die erste Risikophase für kriminelles Verhalten, gut zwei Jahre früher als zur Zeit, in der die aktuelle Altersgrenze festgelegt wurde“, zitierte die Verfassungsministerin.

Expertengremium: Strafmündigkeit ab 14 hat sich bewährt

Erst vor gut zwei Wochen hatte sich das Netzwerk Kriminalpolitik, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Justiz, Rechtsanwaltschaft, Sozialarbeit, Opfervertretung und Wissenschaft zusammensetzt, gegen eine Senkung der Strafmündigkeit ausgesprochen. Die seit 1929 bestehende Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren hat sich aus Sicht der Fachleute bewährt.

„Das Strafrecht mit seinen auf Bestrafung orientierten Mitteln ist kein geeignetes Instrument, um auf Delikte zu reagieren, die unter 14-Jährige begangen haben“, hieß es Anfang April in einer Erklärung des Gremiums.

Ungeeignetes Mittel

Das Strafverfahren sei ein formales Verfahren, in dem es um den Nachweis der Schuld geht: „Die Suche nach Sanktionsalternativen ist nicht das primäre Verfahrensziel. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat und der Lebenssituation von Kindern kann im Strafverfahren nicht geleistet werden.“ Genau das brauche es aber.

„Eine Herabsenkung auf unter 14 Jahre wäre eine klare Verletzung der Kinderrechte laut UN-Kinderrechtskonvention“, gab das Netzwerk Kinderrechte Österreich – ein Zusammenschluss von 53 Organisationen und Institutionen zur Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention in Österreich – in diesem Zusammenhang zuletzt in einer Aussendung zu bedenken.

Abschreckung nicht gegeben

Die Fachleute des Netzwerks Kriminalpolitik halten Gefängnisse für „den denkbar schlechtesten Ort für Kinder“. Es gebe keine belegbaren Nachweise, dass das Androhen von Haftstrafen generalpräventiv wirken und Kinder abschrecken könnte. Im Gegenteil, Kinder würden mögliche Konsequenzen ihrer Handlungen viel weniger als Erwachsene berücksichtigen: „Dementsprechend weisen kriminologische Studien auch nach, dass ein Absenken der Strafmündigkeit nicht zu einer Abnahme von Delikten junger Menschen führt.“

Zielführender sei stattdessen ein bundesweit einheitlicher Katalog an wirksamen Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und des Zivilrechts für die Altersgruppe der Zehn- bis 13-Jährigen, insbesondere bei den Zwölf- und 13-Jährigen, den das Gremium und das Netzwerk Kinderrechte Österreich unter Einbindung aller Bundesländer gemeinsam fordern.