Ein Geflüchteter blickt von einem Rettungsschiff aufs offene Meer
Reuters/Darrin Zammit Lupi
„Sieben Jahre Odyssee“

Verfahren gegen Seenotretter gestoppt

In Italien sind die Anklagen gegen zehn Crewmitglieder von Rettungsschiffen fallen gelassen worden. Ihnen war vorgeworfen worden, mit libyschen Schleppern gemeinsame Sache gemacht zu haben. Im Zuge der Ermittlungen waren Helfer abgehört worden, die Crew eines Schiffes wurde auch infiltriert. Die betroffenen NGOs sahen das Verfahren als politisch motiviert an und als Versuch, Rettungsmechanismen „als kriminelle Handlungen darzustellen“.

„Nach sieben Jahren Odyssee“ habe das Gericht in Trapani auf Sizilien „verkündet, das Verfahren gegen alle Angeklagten einzustellen“, schrieben die Crewmitglieder des Rettungsschiffes „Iuventa“ am Freitag auf der Kurznachrichtenplattform X (Twitter). Das Schiff wird von der deutschen Nichtregierungsorganisation „Jugend rettet“ betrieben.

Den Angeklagten war vorgeworfen worden, illegale Einwanderung in den Jahren 2016 und 2017 begünstigt und ihre Rettungsaktionen mit Schleppern in Libyen koordiniert zu haben. Demnach sollen sie Boote zur weiteren Verwendung nach Libyen zurückgeschickt und Geflüchtete aufgenommen haben, deren Leben auf dem Mittelmeer gar nicht in Gefahr gewesen sei. Allen Angeklagten hatten bis zu 20 Jahre Haft gedroht.

Die damalige Mitte-links-Regierung in Rom hatte die Seenotretter ab dem Jahr 2016 ins Visier genommen, als die Zahl der Geflüchteten, die an den Küsten Italiens ankamen, um einen zweistelligen Prozentsatz anstieg. Damals trafen rund 181.000 Menschen in Italien ein, in die gesamte EU kamen mehr als zwei Millionen Asylsuchende, viele von ihnen aus den von Krieg gezeichneten Ländern Syrien und Afghanistan.

Anklage gegen ursprünglich 21 Personen

2021 wurden Anklagen gegen 21 Einzelpersonen erhoben, die auf der „Iuventa“ und zwei Schiffen der NGOs Save the Children und „Ärzte ohne Grenzen“ arbeiteten. Im vergangenen Jahr wurde das Verfahren aufgeteilt, acht Besatzungsmitglieder und zwei Schiffskapitäne standen am Freitag als Einzelbeschuldigte vor Gericht in Trapani. Angeklagt waren auch Save the Children, Ärzte ohne Grenzen und der Eigentümer von zwei gecharterten Schiffen.

Im Zuge der Ermittlungen wurden humanitäre Helfer, Anwälte und Journalisten abgehört und ein Undercover-Agent an Bord eines Rettungsschiffes eingesetzt. Mit dem Fallenlassen der Vorwürfe folgte das sizilianische Gericht nun einer Empfehlung der Staatsanwaltschaft vom Februar.

„Politische Farce“

Menschenrechtsgruppen hatten den Fall als politisch motiviert kritisiert. Die nunmehrige Gerichtsentscheidung sei das „längst überfällige Eingeständnis der italienischen Justiz, dass der ‚Iuventa‘-Case von Anfang an eine politische Farce war“, schrieb „Jugend rettet“ auf X. „Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos.“

Die Schiffscrew erklärte am Freitag, sie begrüße zwar die Einstellung des Verfahrens, es bleibe aber festzustellen, „dass durch die Ermittlungen und das Verfahren bereits unermessliche Schäden verursacht wurden“. Der Fall markiere „den Beginn einer öffentlichen Diffamierungskampagne gegen die zivile Seenotrettung, die darauf abzielte, das harte Vorgehen gegen Rettungsaktivitäten zu legitimieren“.

Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen reagierte auf den Entscheid: „Die umfangreiche Anklageschrift stützte sich unter anderem auf Abhörmaßnahmen, falsche Aussagen und eine bewusst verzerrte Interpretation von Rettungsmechanismen, um sie als kriminelle Handlungen darzustellen“.