Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan und und Hamas-Anführer Ismail Haniyeh
Reuters/Murat Cetinmuhurdar/Ppo
Hanija bei Erdogan

Hamas sucht Option abseits von Katar

Der Exilchef der Terrororganisation Hamas, Ismail Hanija, hat am Samstag in Istanbul den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen. Das Treffen, nur wenige Tage nach der Drohung des langjährigen Proteges Katar, die Hamas-Führung wegen mangelnder Kompromissbereitschaft aus dem Land zu werfen, ist kaum ein Zufall. Ein Wechsel der Exilführung in die Türkei hätte jedenfalls Auswirkungen auf den Gaza-Krieg.

Die Türkei ist zwar ein NATO-Land, Erdogans Außenpolitik brachte ihn aber immer wieder in Konflikt mit den USA. Sein Verhältnis zu Israel ist erst in diesen Tagen an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Nach der Drohung von Katars Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman Al Thani sucht die Hamas-Führung laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ bereits nach alternativen Exilländern.

Konkret streckte die Hamas demnach nach mindestens zwei Ländern ihre Fühler aus – eines davon ist der Oman. Die weiteren werden in dem Artikel nicht genannt, aber es ist naheliegend, dass auch die Türkei darunter ist. Erdogan hatte nach dem 7. Oktober wiederholt klargemacht, dass er an einer Vermittlerrolle interessiert ist. Das lehnte allerdings Israel aufgrund der mehr als kühlen bilateralen Beziehungen ab. Und Erdogan gab sich über die Jahre immer wieder als teils polternder Verteidiger der Interessen der Palästinenser.

Al Thani hatte – nicht zuletzt auf US-Druck – der Hamas diese Woche die Rute ins Fenster gestellt und damit gedroht, die Vermittlungsbemühungen einzustellen.

Erdogan ruft Palästinenser zu Einheit auf

Der türkische Präsident wiederum nützte das Treffen mit Hanija, um sich als alternativer Schirmherr der Palästinenser zu positionieren. Er rief nach dem Gespräch zur „Einheit“ der Palästinenser im Angesicht des Krieges im Gazastreifen auf. „Einheit und Lauterkeit“ seien „die stärkste Antwort auf Israel und der Weg zum Sieg“, sagte Erdogan nach Angaben des türkischen Präsidialamts in Istanbul nach einem Treffen mit dem Chef der radikalislamischen Hamas. Israel dürfe im Gaza-Krieg „kein Gelände gewinnen“. Die Palästinenser sind seit Jahrzehnten tief gespalten zwischen der im Westjordanland regierenden Fatah und der Hamas.

Laut Präsidialamt sagte der türkische Staatschef zudem eine Fortsetzung der humanitären Hilfe für die Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens zu. Ob auch ein möglicher Wechsel des Hamas-Büros in die Türkei ein Thema war, wurde in dem offiziellen Statement nicht erwähnt.

Erdogan trifft Hamas-Chef Hanija

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den Hamas-Auslandschef Ismail Hanija in Istanbul getroffen. Die beiden sprachen unter anderem über humanitäre Hilfe für Gaza sowie über eine Waffenruhe. Auch der türkische Außenminister Hakan Fidan und Geheimdienstchef Ibrahim Kalin waren bei dem Treffen anwesend.

Erdogan: Hamas Befreiungsorganisation

Erdogan unterstützt die Hamas öffentlich. Er hatte das Massaker der Terrororganisation mit 1.200 Toten in Israel am 7. Oktober zwar verurteilt. Die Hamas hatte er aber später wiederholt als Befreiungsorganisation bezeichnet. Einmal mehr hatte Erdogan diese Woche den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu attackiert. Netanjahu warf er vor, ein „Massaker“ im Gazastreifen zu begehen. Israel hatte die Äußerungen Erdogans wiederholt entschieden zurückgewiesen.

Katar: „Unserer Rolle Grenzen gesetzt“

Am Donnerstag hatte Katars Regierungschef Al Thani betont, man werde seine Rolle als Vermittler zwischen der israelischen Regierung und der Hamas überdenken. Katars Rolle sei in gewissem Maße für politische Zwecke missbraucht worden, sagte der Ministerpräsident. Auch wenn er keine Namen nannte, war laut Beobachtern die Hamas gemeint. Für diese hat Katar seit Monaten immer wieder verhandelt. Zuletzt hatte die Terrororganisation einen in Grundzügen fertig ausverhandelten Deal mit Israel zur Freilassung israelischer Geiseln und einer Waffenruhe zurückgewiesen.

„Das hat Katar dazu veranlasst, seine Rolle völlig neu zu bewerten, und wir befinden uns derzeit in dieser Phase“, sagte der Ministerpräsident, der auch Außenminister des Golfstaats ist, weiter. „Wir bekennen uns zu unserer Rolle aus einem humanitären Kontext heraus, aber dieser Rolle sind Grenzen gesetzt.“

Druck oder reales Szenario?

Unklar ist, ob Katars Ankündigung eine Drohung ist, um den Druck auf die Hamas zu erhöhen, oder ob diese ernst gemeint ist. Dass die Hamas-Granden nach einem alternativen Exil suchen, lässt darauf schließen, dass sie sich für den Ernstfall wappnen wollen. Derzeit sind beide Seiten – die Hamas-Führung und die israelische Regierung – nur eingeschränkt zu einem Deal bereit. Und der bis zum iranischen Angriff hohe internationale Druck auf Israel wegen der extremen humanitären Lage der Zivilbevölkerung in Gaza hatte die Hamas möglicherweise dazu veranlasst, den Preis für einen Deal hinaufzutreiben.

Für die Hamas wäre jedenfalls ein Verlust der Milliardenhilfen der Kataris ein schwerer Schlag – umso mehr, als der Hamas derzeit auch die hohen Einnahmen aus Zöllen bei der Einfuhr via die Tunnelsysteme aus Ägypten in den Gazastreifen fehlen. Auch wenn sich ein anderes Land als Sponsor finden sollte, wäre es jedenfalls sehr schwierig, Gelder in den derzeit großteils von Israel besetzten Gazastreifen zu schaffen.

Verschärfung ohne Aussicht auf Deal

Auch als Vermittler würde Katar der Hamas – aber freilich auch Israel – fehlen. Das jahrelang aufgebaute Vertrauen und die Expertise in diesen äußerst komplexen Verhandlungen könnte ein anderes Land aus dem Stand nicht aufbringen. Wenn es in der Folge aber keine Aussicht mehr auf einen Geiseldeal gibt, dürfte das zu einer Zuspitzung im Gaza-Krieg führen. Eine israelische Bodenoffensive in Rafah wäre dann auch von den USA wohl kaum noch zu verhindern.