Ukrainische Soldaten während Militärübung in Polen
APA/AFP/Wojtek Radwanski
Milliardenhilfen

Kiew atmet nach Votum im US-Kongress auf

Die ukrainische Regierung hat sich nach der Abstimmung im US-Repräsentantenhaus, bei der am Samstag ein milliardenschweres Hilfspaket mit dringend benötigten Waffenlieferungen gebilligt worden war, erleichtert gezeigt: Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer Entscheidung, „die uns das Leben rettet“. Die nötige Zustimmung des Senats steht noch aus, gilt aber als sicher. Moskau reagierte verstimmt.

Die Parlamentskammer verabschiedete am Samstagnachmittag (Ortszeit) einen entsprechenden Gesetzesentwurf, der rund 61 Milliarden US-Dollar (57,26 Mrd. Euro) für Kiew enthält. Selenskyj dankte dem US-Repräsentantenhaus und seinem Vorsitzenden Mike Johnson für die Entscheidung, „die eine Ausweitung des Krieges verhindern und Tausende und Abertausende Leben retten wird“.

Die Ukraine wolle die amerikanischen Mittel nutzen, „um unsere beiden Nationen zu stärken und diesen Krieg zu einem gerechten Ende zu bringen. Es ist ein Krieg, den Putin verlieren muss“, sagte er am Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache mit Blick auf den russischen Machthaber Wladimir Putin. Selenskyj sprach weiters von einem „sehr bedeutenden Paket, das sowohl unsere Kämpfer an der Front als auch unsere Städte und Dörfer, die unter dem russischen Terror leiden, zu spüren bekommen werden“. Es handle sich um „eine Entscheidung, die uns das Leben rettet“.

US-Kongress: Ja zu 60 Milliarden für Ukraine

Nach monatelanger Blockade hat das US-Repräsentantenhaus ein milliardenschweres Hilfspaket für die von Russland angegriffene Ukraine gebilligt. Die Parlamentskammer verabschiedete am Samstagnachmittag (Ortszeit) einen entsprechenden Gesetzesentwurf.

Biden würdigte Abstimmung

Die kleinere Parlamentskammer dürfte dem Gesetz schon in der kommenden Woche zustimmen. US-Präsident Joe Biden versprach, dass er umgehend unterzeichnen werde. Er würdigte das Votum. „An diesem kritischen Wendepunkt kamen sie zusammen, um dem Ruf der Geschichte zu folgen“, bedankte sich der Präsident.

Der Entwurf wurde in der großen Parlamentskammer mit einer überparteilichen Mehrheit von 311 zu 112 Stimmen angenommen. Im Plenum gab es nach der Abstimmung Applaus. Etliche Abgeordnete schwenkten Ukraine-Flaggen und riefen „Ukraine, Ukraine“.

Votum könnte Parlamentsvorsitzenden Job kosten

Zahlreiche Republikaner votierten gegen die Hilfen, konnten aber die Annahme nicht verhindern. Die Republikaner haben in der Kammer eine hauchdünne Mehrheit. Den republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Johnson, könnte die Abstimmung den Job kosten. Mehrere radikale Abgeordnete, die Ex-Präsident Donald Trump treu ergeben sind, stemmten sich gegen die Ukraine-Hilfe.

„Ich weiß, dass es Kritiker der Gesetzesentwürfe gibt. Ich verstehe, dass das keine perfekte Gesetzgebung ist“, sagte Johnson. Vor dem Kongress versammelten sich etliche Menschen, einige waren in Gelb und Blau gekleidet, den Farben der ukrainischen Flagge. Sie riefen „Danke, USA!“.

Russland verärgert

Russland reagierte auf die Abstimmung mit Kritik: Die Milliardenhilfen würden die Ukraine „weiter ruinieren“ und zu mehr Toten in dem Konflikt führen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Auch würde eine Klausel in dem Gesetz, die der US-Regierung die Verwendung beschlagnahmten russischen Vermögens für den Wiederaufbau der Ukraine erlaubte, das Image der USA beschädigen, sagte Peskow der Nachrichtenagentur TASS. Russland werde mit Maßnahmen im eigenen Interesse reagieren.

Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums sagte, dass die Milliardengelder für die Ukraine, Israel und Taiwan „die Krise in der ganzen Welt vertiefen“ werden. Mit Blick auf die Ukraine-Hilfe sprach sie von einer „direkten Unterstützung terroristischer Aktivitäten“.

NATO-Generalsekretär erleichtert

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte hingegen, dass die US-Hilfe für die Ukraine „uns alle sicherer“ mache. „Die Ukraine nutzt die von NATO-Verbündeten bereitgestellten Waffen, um die russischen Gefechtsfähigkeiten zu zerstören.“ Erfreut zeigten sich auch der Außenminister Großbritanniens, David Cameron, und Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock. Das Votum zeige Putin, dass „unser gemeinsamer Wille ungebrochen ist“, so Cameron. „Mit Unterstützung kann und wird die Ukraine gewinnen.“

Überschwänglich wurde das Votum auch in den baltischen Staaten kommentiert. Der lettische Präsident Edgars Rinkevics sprach von einem „großartigen Tag für die freie Welt“, sein litauischer Amtskollege Gitanas Nauseda von einem „großen Schritt in Richtung Sieg“.

Milliardenhilfen im Detail

Das Ukraine-Paket sieht etwa 23 Milliarden US-Dollar für die Aufstockung des US-Militärbestands vor. Das Geld geht somit indirekt an die Ukraine, da die USA das von Russland angegriffene Land in der Regel mit Ausrüstung aus ihren Beständen ausstatten. Der Rest ist für weitere militärische Unterstützung und Finanzhilfe vorgesehen. Letztere ist als Darlehen angelegt. Zudem heißt es in dem Text, US-Präsident Biden solle der Ukraine „so bald wie machbar“ weittragende Raketensysteme vom Typ ATACMS zur Verfügung stellen. Kiew hofft seit Langem auf das Waffensystem, dessen Raketen vom Boden aus auf Ziele am Boden abgefeuert werden.

Auch Hilfen für Israel gebilligt

Das Repräsentantenhaus votierte am Samstag nicht nur für die Unterstützung für Kiew, sondern auch für die Unterstützung Israels durch Hilfen im Umfang von 26 Milliarden US-Dollar. Einerseits sollen damit zum Beispiel Israels Raketenabwehr und die laufenden Militäroperationen der USA in der Region finanziert werden. Andererseits sind rund neun Milliarden US-Dollar für humanitäre Unterstützung gedacht, darunter für die Menschen im Gazastreifen.

Angenommen wurden auch rund acht Milliarden US-Dollar an Unterstützung für Taiwan und den Indopazifikraum und ein Text, der einen Verkauf der chinesischen Kurzvideo-App TikTok vorsieht sowie Sanktionen gegen den Iran und die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte.

Damit die Milliardenhilfe fließen kann, muss noch der Senat zustimmen. Die von den regierenden Demokraten kontrollierte mächtigere Parlamentskammer hatte bereits im Februar für ein von Biden beantragtes milliardenschweres Hilfspaket votiert. Dieses sah ebenfalls Milliardenhilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan vor. Im Repräsentantenhaus kam es aber nie zu einer Abstimmung, weil Parlamentsvorsitzender Johnson eine parteiinterne Revolte befürchtete.

US-Institut rechnet mit Zunahme russischer Angriffe

Westliche Militärexperten erwarten angesichts der vom US-Repräsentantenhaus gebilligten milliardenschweren Militärhilfe eine Zunahme russischer Raketen- und Drohnenangriffe in den kommenden Wochen. Russland werde die aktuellen materiellen und personellen Einschränkungen des ukrainischen Militärs und den ungewöhnlich trockenen Frühling ausnutzen, bis sich das Fenster schließe und die US-Hilfe tatsächlich eintreffe, hieß es in einer Analyse des US-Thinktanks Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington.