Helmut Brandstätter, EU-Spitzenkandidat der NEOS, in der ORF-„Pressestunde“
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NEOS-Kandidat Brandstätter

EU-Armee soll Staaten sparen helfen

Als Spitzenkandidat von NEOS bei der EU-Wahl hat sich Helmut Brandstätter am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ für eine gemeinsame EU-Armee ausgesprochen. Neben sicherheitspolitischen Überlegungen hätte eine solche auch einen „extrem großen finanziellen Vorteil“. Brandstätter hält das Vorhaben mit der Neutralität vereinbar – wenngleich er dafür eintrat, diese neu zu „definieren“.

Für den NEOS-Spitzenkandidaten ist klar: Österreich, die EU „sind bedroht“. Konkret wird diese Bedrohung für Brandstätter durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der sich laut dem Politiker aber nicht mehr nur auf das Land beschränkt. Der russische Präsident Wladimir Putin führe einen „massiven hybriden Krieg gegen uns“, so Brandstätter. Und wenn er „die Ukraine einnimmt, dann steht er auch vor den Toren Wiens“. Die Antwort des derzeitigen Nationalratsabgeordneten auf diese Bedrohung: eine gemeinsame EU-Armee.

Mit einer solchen könne die EU „gemeinsam gegen Putin auftreten. Dann wird ihm klarwerden, dass er uns nicht bedrohen darf“, sagte Brandstätter. Zugleich hätte eine solche Armee aber auch einen „extrem großen finanziellen Vorteil“. Die EU-Staaten könnten „ein Drittel der Kosten einsparen, wenn wir gemeinsam Waffen einkaufen und Waffensysteme aufeinander abgestimmt sind“, sagte Brandstätter.

„Verteidigungsunion“ als Ziel

Darin liegt für den NEOS-Politiker auch ein Mehrwert zu den bestehenden EU-Battlegroups und der schnellen Eingreiftruppe, welche die EU zuletzt auf den Weg gebracht hatte und an denen sich Österreich auch finanziell beteiligt. Anders als die bisherigen Battlegroups oder auch die schnelle Eingreiftruppe wäre eine gemeinsame EU-Armee aber wohl als Verteidigungsbündnis auszulegen – und ein Beitritt Österreichs möglicherweise im Widerspruch mit der in der Verfassung verankerten Neutralität. „Machen wir einmal den ersten Schritt“, meinte dazu Brandstätter.

Forderung nach einer EU-Armee

Brandstätter erneuerte in der Pressestunde die NEOS-Forderung nach einer EU-Armee.

Er verwies auf den erst diese Woche präsentierten EU-Reformbericht des früheren italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta. Auch dort komme eine „Verteidigungsunion“ vor – mit Berücksichtigung der neutralen Länder. Es sei klar, dass auch im Fall eine EU-Armee, österreichische Soldaten „selbstverständlich“ nicht in der Ukraine kämpfen würden.

Neutralität „neu definieren“

Ob auch schon die Finanzierung eines Kriegseinsatzes ein Problem für die Neutralität wäre, ist laut dem NEOS-Mandatar nicht geklärt. Zugleich räumte er ein, dass eine Abschaffung der Neutralität derzeit „keinen Sinn“ ergebe. Dafür bräuchte es die Mehrheit in der Bevölkerung. Doch die Neutralität sei Teil des österreichischen „Selbstverständnisses“. Es sei „unsinnig“, der Bevölkerung etwas vorzuschlagen, das diese nicht wolle.

Zugleich stellte Brandstätter aber in Abrede, dass die Neutralität uns schütze. Das „stimmt nicht“, auch wenn es den Menschen „jahrzehntelang“ gesagt worden sei. Für den NEOS-Politiker erklärt sich aus diesem Glauben heraus auch die in einer aktuellen Studie festgestellte mangelnde Bereitschaft zur militärischen Verteidigung in der Bevölkerung. Es sei deshalb auch an der Zeit, die Neutralität neu zu „definieren“.

„Haben schon ein Stück der Vereinigten Staaten von Europa“

Im Konzept von NEOS ist eine EU-Armee Teil der von der Partei geforderten „Vereinigten Staaten von Europa“. Dass diese nur ein „Wahlkampfschlager“ von NEOS seien, wollte Brandstätter nicht gelten lassen. Er verwies auf den aus der ÖVP stammenden ehemaligen Bundeskanzler Josef Klaus. Dieser habe sich schon in den 1960er Jahren dafür ausgesprochen. Inzwischen sei vieles von dem, „was sich Klaus gewünscht hatte“, bereits umgesetzt. „Wir haben schon ein Stück der Vereinigten Staaten in Europa“, sagte Brandstätter.

Ruf nach „Vereinigten Staaten von Europa“

NEOS ist in Österreich die einzige Partei, die explizit die „Vereinigten Staaten von Europa“ fordert.

Dennoch würden die Menschen eine Veränderung bemerken, wenn die Vorstellungen von NEOS Realität würden, sagte Brandstätter. Konkret verwies er neben einer besseren Forschung vor allem auf das Gründen von Unternehmen, das erleichtert würde. Erneut forderte er auch, die Bildung als fünfte Grundfreiheit neben den Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes, dem freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, festzuschreiben. Auf mehrfache Nachfrage sagte der NEOS-Politiker, er „habe auch nichts“ gegen eine europäische Staatsbürgerschaft.

Immer wieder Verweis auf starke Außengrenzen

Immer wieder verwies Brandstätter aber ganz besonders darauf, dass es darum ginge, die gemeinsamen Außengrenzen zu stärken, „damit wir endlich die Grenzen in Europa abschaffen können“. Ein entsprechendes Wahlsujet von NEOS zeigt denn auch eine Europaflagge hinter einem Stacheldrahtzaun. Dass man das als „Festung Europa“ – wie sie die FPÖ propagiert – verstehen könne, verneinte Brandstätter allerdings.

Zugleich verteidigte der NEOS-Spitzenkandidat den neuen Migrationspakt der EU. Anders als manche Kritikerinnen und Kritiker sehe er darin keine Bankrotterklärung der Menschenrechte. Das Reformpaket sieht unter anderem gemeinsame EU-Auffanglager vor, wo Menschen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden dürfen.

Migration und Asyl in Europa

Bei der Integration seien Fehler passiert, sagte Brandstätter.

Brandstätter hob allerdings die Übereinkunft zu Verteilung von geflüchteten Menschen hervor, die künftig über einen Solidaritätsmechanismus geregelt werden soll. Das würde auch Österreich helfen, so der Nationalratsabgeordnete. Zugleich erklärte er die verschärfte Migrationslinie bei NEOS damit, dass die Politik „Fehler bei der Integration“ gemacht habe. „Man hat sich zu wenig um die Menschen gekümmert, man hat Fehler gemacht“, so Brandstätter – „auch die NEOS“.

Viel Kritik an politischer Konkurrenz

Ansonsten benannte der NEOS-Abgeordnete über weite Strecken des Gesprächs vor allem Fehler der anderen österreichischen Parteien. Immer wieder kritisierte er die FPÖ wegen ihrer vermeintlichen Nähe zu Russland scharf. Zugleich kam er wiederholt auf angebliche Versäumnisse der ÖVP zu sprechen, etwa im Hinblick auf den Ausstieg aus russischem Gas und auf russische Spionage in Wien.

Dass er selbst Kontakt zum unter Spionageverdacht stehenden Ex-Beamten des Innenministeriums, Egisto Ott, hatte, bestritt Brandstätter nicht. Während der Zeit des „Ibiza“-U-Ausschusses habe Ott das Gespräch gesucht. Komisch habe er das nicht gefunden, „weil er nicht der Einzige war“, so Brandstätter. Er habe Ott aber „natürlich“ nichts für Informationen gezahlt – und auch gar keine bekommen.

EU-Geheimdienst, aber keine Chatüberwachung

Stichwort Informationen: Dass sich staatliche Behörden solche auch über eine Chatkontrolle verschaffen, lehnt NEOS weiterhin ab. Zugleich spricht sich die Partei aber für einen gemeinsamen europäischen Geheimdienst aus. Dass die von NEOS abgelehnte Art der Überwachung bei vielen nationalen Geheimdiensten bereits im Einsatz ist, stellt für Brandstätter aber keinen Widerspruch dar.

Nachwirkungen des Spionageskandals

Für Brandstätter ist der jüngste Spionageskandal ein Beweis dafür, dass es einen europäischen Geheimdienst braucht.

Der „wirkliche Widerspruch, das wirkliche Problem“, sei, dass Österreich durch die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) vom Informationsfluss der Geheimdienste in Europa weitgehend abgeschnitten worden sei. „Darum bin ich für einen gemeinsamen Geheimdienst“, so Brandstätter. Die Frage, wie Überwachung stattfinden dürfe, „werden wir dann besprechen“.

Ziel von zweitem Mandat aufrecht

Noch nicht jetzt wollte Brandstätter auch diskutieren, was passierte, falls NEOS das selbstgesteckte Ziel von zwei Mandaten im EU-Parlament verpasst. „Jetzt arbeite ich am Wahlziel“, so der Spitzenkandidat. Mit Anna Stürgkh habe er eine sehr engagierte Kandidatin auf Platz zwei. „Ich bin sehr zuversichtlich“, so Brandstätter.

Keinen Einfluss auf diese Zuversicht wollte Brandstätter dem Umstand zumessen, dass der langjährige ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas nicht mit einer eigenen Liste kandidiere. Er hätte gerne mit ihm im EU-Parlament zusammengearbeitet, sagte der NEOS-Spitzenkandidat. Er führe auch „immer wieder Gespräche mit ihm“. Über eine gemeinsame Kandidatur für NEOS habe er persönlich mit Karas aber nicht geredet.

Harsche Worte fand im Anschluss an das Interview FPÖ-Gegenkandidat Harald Vilimsky. NEOS stehe „für Kriegsfanatismus und die Abschaffung Österreichs“, wird er in einer Aussendung zitiert.

Ein soziales und gerechtes Europa und die Verhinderung eines Rechtsrucks könne es nur mit einer starken Sozialdemokratie geben, hieß es von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker kritisierte in einer Reaktion wiederum, dass Brandstätter Ott nach der Kontaktaufnahme nicht bei der Polizei angezeigt hatte.