Unterricht in einer Schulklasse
ORF/Ákos Heves
Familiennachzug

ÖVP im Clinch mit Wien

Vor einigen Tagen hat AMS-Chef Johannes Kopf mit der Forderung nach einer Residenzpflicht für Flüchtlinge aufhorchen lassen. Angesichts des vor allem in Wien Probleme verursachenden Familiennachzugs syrischer Kinder und Frauen solle man so Geflüchtete besser in ganz Österreich verteilen können. Die nun entfachte Debatte hängt auch damit zusammen, dass sich die meisten Bundesländer nicht an die Vorgaben halten und zu wenige Menschen aufnehmen.

Viele Frauen und Kinder von Flüchtlingen kommen derzeit nach Österreich nach, die allermeisten davon nach Wien. In der Bundeshauptstadt schlugen deshalb schon Schulen und Kinderärztinnen und -ärzte Alarm, die Ressourcen würden für diesen mittelfristigen Anstieg nicht ausreichen.

Der AMS-Chef schlug angesichts der Schieflage eine Art Sozialhilfeauflage vor. Wie das „profil“ berichtete, könnten die Bundesländer eine Vereinbarung schließen, die Folgendes besagt: Nur jenes Bundesland, in dem während des Asylverfahrens der Wohnsitz lag, ist für die Mindestsicherung an Flüchtlinge zuständig.

Würden sie dann beispielsweise von Tirol nach Wien ziehen, gäbe es dort keine Mindestsicherung mehr. Die Geflüchteten könnten keinen neuen Antrag stellen. Zu regeln wäre das laut Kopf über eine 15a-Vereinbarung zwischen den Bundesländern. Lebt die gesamte Familie von Mindestsicherung, wären die Einbußen bei einem Umzug nach Wien noch höher. Umgekehrt könnte eine solche Auflage die Menschen eher in Regionen halten, in denen es mehr Arbeit gibt und sie rascher aus der Mindestsicherung herauskommen.

Kein Konsens in Koalition

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) winkte bereits ab: „Die Sozialhilfe allein kann die Integration von Schutzsuchenden und Schutzbedürftigen nicht steuern“, eine Residenzpflicht für Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher sei daher nicht sinnvoll, hieß es. Statt einer „De-facto-Residenzpflicht“ müsse der Zugang zum Arbeitsmarkt verbessert und die Sozialhilfe bundesweit einheitlich geregelt werden.

Der Koalitionspartner, die ÖVP, hingegen sieht Wien in der Pflicht. „Asylberechtigte sollten unserer Ansicht nach dahin gehen, wo es Arbeit gibt und sie einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten können – nicht dorthin, wo es die höchsten Sozialleistungen gibt“, so ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker am Mittwoch. Zudem solle es die volle Höhe an Sozialleistungen erst nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in Österreich geben.

Stocker sprach sich in Bezug auf den Familiennachzug auch dafür aus, die Regeln zu verschärfen. So könne die Antragstellung mit einer persönlichen Vorstellung verbunden oder die Altersgrenze geändert werden.

Die Ablehnung der ÖVP für eine Wohnsitzauflage untermauerte Stocker. Die ÖVP habe in Regierungsverantwortung ihren Beitrag geleistet, um die Zahl der Asylanträge zu senken, jetzt sei es „Aufgabe von Wien, das Sozialsystem so herzurichten, dass nicht die Menschen wegen der Sozialleistungen nach Wien kommen, sondern wegen der Arbeitsplätze“. Wien sei zu großzügig mit Sozialleistungen, dafür trage die SPÖ-geführte Stadtregierung die Verantwortung, so Stocker.

Harte Kritik an Bundesregierung

Diese aber sieht sich wiederum vom Bund im Stich gelassen. Er brauche „keine Zurufe vom Bundesverantwortlichen, was wir Länder machen sollen, sondern ich würde gerne hören vom Bundesverantwortlichen, was der Bund macht, und deswegen finde ich das irgendwie ein bisschen nicht besonders prickelnd, wenn dann der Vertreter des AMS uns vorschlägt, was wir Bundesländer für Artikel-15a-Vereinbarungen abschließen sollen“, sagte der Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) gegenüber Ö1. Die Verknüpfung mit der Sozialhilfe wurde hingegen von der SPÖ Wien kritisiert.

„Jeder Antrag auf Familiennachzug wird durch das schwarze Innenministerium bestätigt, trotzdem wurde Wien immer über die Nachzugszahlen im Dunkeln gelassen“, sagte SPÖ-Integrationssprecher Christian Oxonitsch laut Aussendung und sprach von einer „Verhöhnung gegenüber der Stadt und ihrer Bevölkerung.“

Wien will Wohnsitzauflage

Die Stadtregierung aus SPÖ und NEOS forderte eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Konkret sollen nach den Vorstellungen Wiens nicht berufstätige Asylberechtigte drei Jahre lang in jenem Bundesland leben müssen, in dem ihr Asylverfahren absolviert wurde. Eine Wohnsitzauflage widerspricht laut dem Juristen Walter Obwexer allerdings ebenso EU-Recht.

Debatte über Residenzpflicht

Die ÖVP spricht sich weiter gegen eine Residenzpflicht für Asylberechtigte aus. Wien müsse sein Problem in diesem Zusammenhang selbst lösen und nicht mehr Hilfen auszahlen als die anderen Bundesländer, so ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker.

Man wolle aber an der Forderung festhalten, so Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Asylsprecherin Stephanie Krisper (beide NEOS). Die anderen Bundesländer würden ihrer Verantwortung nicht nachkommen, befand er einmal mehr. Dabei wäre es für die Integration oder auch den Arbeitsmarkt besser, wenn die Betroffenen an jenen Orten bleiben würden, an denen ihr Verfahren durchgeführt wurde. Man wolle keinesfalls beim Sozialdumping mitmachen, so Wiederkehr.

Für Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp ist Kopfs Forderung nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Asylwerberinnen und -werbern gehe es in Wien zu gut, so Nepp, der auch forderte, die Auszahlung der Mindestsicherung an die österreichische Staatsbürgerschaft zu koppeln und die Familienzusammenführung generell zu stoppen. Einen „völligen Paradigmenwechsel“ forderte die Bundes-FPÖ. „Österreich braucht keine Umverteilungen, sondern einen sofortigen Asylstopp“, so Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer.

Die Wiener Grünen äußerten am Mittwoch erneut rechtliche Bedenken gegenüber einer Wohnsitzauflage für Asylberechtigte. Der Vorschlag von SPÖ und NEOS sei diskriminierend und menschenrechtswidrig, so Grüne-Wien-Chefin Judith Pühringer in einer Aussendung.

Nur Wien erfüllt Quote

Fakt ist, dass Wien mit der größten Anzahl an Asylwerberinnen und -werbern sowie dem Familiennachzug konfrontiert ist. Das liegt auch daran, dass die übrigen Bundesländer die Vorgaben nicht erfüllen. Während Oberösterreich seine Quote etwa zu 60 Prozent erfüllt, sind es in Wien 198 Prozent. Eine Residenzpflicht würde Wien also nur bedingt entlasten, solange nicht auch mehr Asylverfahren in den Bundesländern abgewickelt werden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Etwas verzerrt wird die Quotenverteilung seit des russischen Angriffs auf die Ukraine. Denn die Vertriebenen aus dem von Moskau überfallenen Land können sich im ganzen Bundesgebiet völlig frei bewegen. Das heißt, man kann sie im Gegensatz zu Asylwerbern nicht einem bestimmten Bundesland zuweisen. Das ist insofern ein Faktor, als mehr als die Hälfte der Personen in Grundversorgung aus der Ukraine stammen.