Emmanuel Macron
APA/AFP/Christophe Petit Tesson
„Unser Europa könnte sterben“

Macron fordert gemeinsame EU-Aufrüstung

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat Europa mit drastischen Worten zu einer verstärkten Verteidigung aufgerufen. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Europa sterben könnte“, warnte der Staatschef am Donnerstag in einer Grundsatzrede an der Pariser Sorbonne-Universität. Europa stehe an einem Wendepunkt und müsse mehr tun, um mit rasch aufrüstenden globalen Rivalen konkurrieren zu können.

Die größte Gefahr für die Sicherheit Europas sei der Krieg in der Ukraine: „Die Grundvoraussetzung für unsere Sicherheit ist, dass Russland diesen Angriffskrieg nicht gewinnt“, sagte Macron. Er schlug die Schaffung einer europäischen Militärakademie vor. „Europa muss das, was ihm am Herzen liegt, verteidigen können – mit seinen Verbündeten, wenn sie dazu bereit sind, aber auch allein, wenn es nötig ist“, sagte er.

Zudem müsse Europa den Bereich Cybersicherheit stärken und die heimische Rüstungsindustrie fördern: „Wie können wir unsere Souveränität, unsere Autonomie aufbauen, wenn wir nicht die Verantwortung übernehmen, unsere eigene europäische Verteidigungsindustrie aufzubauen?“

Durch Nuklearmacht „glaubwürdig“

Frankreich werde dabei seine Rolle spielen, sagte Macron. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei dabei „ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents“, sagte Macron. „Dank dieser glaubwürdigen Verteidigung können wir die Sicherheitsgarantien aufbauen, die unsere Partner in ganz Europa erwarten“, betonte er. Der gemeinsame Sicherheitsrahmen könne in Zukunft auch ermöglichen, „nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland aufzubauen“.

Emmanuel Macron
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Die Rede an Europa soll Macrons Wählerschaft für den EU-Wahlkampf mobilisieren

Auf Verteidigungsebene gelte es zudem, die Verbindungen zu dem EU-Aussteigerland Großbritannien zu stärken. Macron bezeichnete den Brexit als eine der „beispiellosen Krisen“, mit denen Europa in den vergangenen Jahren konfrontiert war. Er sprach von einer „Explosion“, deren negative Auswirkungen dazu geführt hätten, dass niemand mehr einen Austritt propagiere – weder aus der EU noch aus dem Euro.

Mit Blick auf die bevorstehende Wahl warnte Macron vor einer „Rückkehr der Propaganda und der Falschinformationen“. Die Nationalisten und Antieuropäer verlangten zwar nicht mehr den Austritt ihrer Länder aus der EU, aber forderten dazu auf, deren Regeln zu missachten. „Sie wollen das gemeinsame Haus nicht mehr verlassen und einreißen, aber sie wollen die Hausregeln nicht beachten und keine Miete mehr zahlen“, sagte Macron.

Mehr Unabhängigkeit von USA gefordert

Europa müsse in der Lage sein, einen Dialog mit Drittländern aufzunehmen und zu zeigen, dass es kein „Vasall“ der USA sei. Wirtschaftlich drohe der alte Kontinent im internationalen Kontext zurückzufallen und müsse sein Wachstumsmodell überdenken. Berater des Präsidenten bezeichneten die Rede als Beitrag Frankreichs zur strategischen Agenda der EU für die nächsten fünf Jahre. Über die Agenda soll nach der Europawahl entschieden werden, die im Juni ansteht.

Jugendliche in Europa sollen nach Vorstellungen Macrons frühestens mit 15 Jahren ohne elterliche Kontrolle das Internet nutzen können. Für jüngere Kinder müsse es eine elterliche Kontrolle geben, sagte Macron. „Würde jemand sein Kind mit fünf, zehn oder zwölf Jahren in den Dschungel schicken?“, fragte Macron im Rahmen einer Grundsatzrede zur Europapolitik an der Pariser Universität Sorbonne. „Heute öffnen wir ihnen täglich mehrere Stunden das Tor zum Dschungel“, fügte er hinzu. Im Internet drohten Cybermobbing, Pornografie und sexueller Missbrauch von Kindern. Onlinedienste müssten dazu gebracht werden, die Inhalte stärker zu kontrollieren. „Dies ist ein zivilisatorischer Kampf, und er muss europäisch geführt werden“, betonte Macron.

Macron setzt auf Aufrüstung Europas

Der französische Präsident Emanuel Macron hat am Donnerstag seine Grundsatzrede in Frankreich gehalten. ORF-Korrespondentin Cornelia Primosch meldet sich mit einer Bilanz seiner Amtszeit und einer Einschätzung zu den Inhalten dieser Rede.

Macron knüpft mit seinem Auftritt an eine Grundsatzrede aus dem Jahr 2017 an selber Stelle an: Damals entwarf er die Vision einer „europäischen Souveränität“ und „strategischen Autonomie“ – Begriffe, die in Brüssel inzwischen zu geflügelten Worten geworden sind. Konkret schlug Macron damals ein gemeinsames Budget der Euro-Staaten vor. Bis zum nächsten Jahrzehnt sollte es zudem einen EU-Verteidigungshaushalt geben.

Überlegungen zu Bodentruppen in Ukraine

Macron hatte in jüngster Zeit mit der Bemerkung für Aufmerksamkeit gesorgt, dass der Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen sei. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte erklärt, Macrons Vorstoß sei „keine gemeinsame Position“ der EU. Auch beim deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz traf der Vorstoß auf Ablehnung.

Gemeinsames Ziel von Frankreich und Deutschland sei es, „dass Europa stark bleibt“, kommentierte Scholz am Donnerstag auf der Plattform X eine Grundsatzrede des französischen Staatspräsidenten. „Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das gelingen kann“, fügte er hinzu.

Macron verlor 2022 seine parlamentarische Mehrheit. Auch seine persönlichen Popularitätswerte in Frankreich sind gesunken. Seine zentristische Partei Renaissance liegt in den Umfragen vor der Europawahl im Juni hinter dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN).