COVID-19 Impfstoff
APA/AFP/Luis Robayo
Pandemievertrag

Verhandlungen gehen in neue Runde

Ab Montag wollen die 194 Mitgliedsstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erneut für zwei Wochen über den seit 2021 geplanten globalen Pandemievertrag verhandeln. Mit dem Abkommen will die WHO in Zukunft besser auf Gesundheitskrisen vorbereitet sein. Der Beschluss des Abkommens ist für Ende Mai vorgesehen. Ob es dazu kommt, ist allerdings unklar.

Als die Verhandlungen über den Pandemievertrag 2021 begonnen hatten, befand sich die Coronavirus-Pandemie in einer Hochphase. Die Rufe nach einem besseren Pandemiemanagement waren länderübergreifend zu hören – hatte das Coronavirus der Weltgemeinschaft doch die Mängel der internationalen Gesundheitspolitik vor Augen geführt. Nachdem die WHO vor einem Jahr den Gesundheitsnotstand aufhob, schien der Druck, eine Einigung zu erzielen, verflogen. Die Annahme des Abkommens im Mai sei „alles andere als sicher“, schrieb die „Washington Post“ kürzlich.

Konkret war vorgesehen, dass der Pandemievertrag bei der 77. Weltgesundheitsversammlung – dem höchsten Entscheidungsgremium der WHO –, die am 27. Mai beginnt, abgesegnet wird. Worum es darin konkret geht? „Im Mittelpunkt des vorgeschlagenen Abkommens steht die Notwendigkeit, einen gleichberechtigten Zugang sowohl zu den zur Pandemieprävention erforderlichen Instrumenten (einschließlich Technologien wie Impfstoffen, persönlicher Schutzausrüstung, Informationen und Fachwissen) als auch zum Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Menschen sicherzustellen“, heißt es auf der Website der WHO.

Informationsaustausch als Knackpunkt

Bei einigen Fragen herrscht allerdings Uneinigkeit. „Der größte Knackpunkt betrifft den Zugang zu wichtigen Informationen über neue Bedrohungen, die auftauchen könnten – und zu Impfstoffen und Medikamenten, die diese Bedrohung eindämmen könnten“, schrieb die „Washington Post“.

„Die Verhandlungen befinden sich aktuell in der Endphase und gestalten sich daher dynamisch“, hieß es auf ORF.at-Anfrage aus dem Gesundheitsministerium. Die Schaffung des Pandemievertrags sei eine „wichtige Chance, um in Zukunft besser auf mögliche Pandemien vorbereitet zu sein“, so das Gesundheitsministerium. Österreich und die EU würden weiterhin eine Einigung Ende Mai anstreben.

Die europäischen Länder, Japan und die USA wollen Garantien dafür, dass Proben und genetische Daten über neue Krankheitserreger rasch weitergegeben werden, um die Entwicklung von Tests, Impfstoffen und Behandlungen zu ermöglichen. Länder wie Indien, Bangladesch und Mexiko sowie eine Gruppe afrikanischer Staaten treten wiederum für einen gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen, Tests und Medikamenten ein.

Entwurf sieht „Echtzeitzugang“ zu Arzneimitteln vor

Ein 23-seitiger Verhandlungstext, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt und der die Grundlage der zehnten Verhandlungsrunde bilden soll, scheint dem Rechnung tragen zu wollen. Im Sinne einer gerechten Verteilung von Tests und Arzneimitteln verpflichten sich die Vertragsstaaten laut Entwurf, die Produktion entsprechender Güter weltweit und nicht nur in einzelnen Weltregionen hochzufahren.

Weiters ist laut AFP vorgesehen, dass die WHO während einer Pandemie einen „Echtzeitzugang“ zu 20 Prozent der dringend benötigten Güter wie Tests und Impfungen erhält – zehn Prozent als Spende und zehn Prozent zu günstigen Preisen. Die WHO soll die Güter dann an jene Regionen verteilen, die diese zur Pandemiebekämpfung am dringendsten benötigen.

Offener Brief an Entscheidungsträger

Die schwierigen Verhandlungen riefen im März über 100 globale Führungspersönlichkeiten – darunter Ex-UNO-Chef Ban Ki Moon, die ehemaligen britischen Premiers Gordon Brown und Tony Blair sowie der ehemalige österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) – auf den Plan.

In einem offenen Brief plädierten sie für eine dringende Einigung: „Der Abschluss eines starken globalen Pakts zur Bekämpfung von Pandemien wird künftige Generationen vor einer Wiederholung der Millionen von Todesfällen und der sozialen und wirtschaftlichen Verwüstung schützen, die durch mangelnde Zusammenarbeit während der Covid-19-Pandemie verursacht wurden.“

„Es wird Kompromisse erfordern“

WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, der sich, betrachtet man seine vergangenen Postings auf X (Twitter) – in puncto Pandemievertrag im regen Austausch mit internationalen Vertreten befinden dürfte, zeigte sich im Jänner „ernsthaft besorgt, dass die Mitgliedsstaaten dieses Versprechen womöglich nicht einhalten“. Und: „Es wird Mut erfordern, und es wird Kompromisse erfordern“, sagte Tedros. „Sie werden keinen Konsens erreichen, wenn jeder auf seinem Standpunkt beharrt. Jeder wird etwas geben müssen, oder niemand wird etwas bekommen.“

WHO Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus
Reuters/Ken Cedeno
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres sagte im Dezember mit Blick auf die Lektionen aus der Covid-19-Pandemie: „Es darf nicht zu der moralischen und medizinischen Katastrophe kommen, dass die reichen Länder die Pandemievorräte horten und kontrollieren. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen Zugang zu Diagnostik, Behandlung und Impfstoffen haben.“

Entwurf tritt Verschwörungsmythen entgegen

Das Vorhaben blieb nicht ohne Kritik – vor allem das Tempo, mit dem der Pandemievertrag vorangetrieben wurde, sorgte bei manchen für Skepsis. Dazu kommen Fehlinformationen, die in sozialen Netzwerken kursieren. Dort wird spekuliert, dass das Abkommen die Grundrechte der Mitgliedsstaaten beschneiden und die Souveränität untergraben wolle. Der aktuelle Entwurf enthält daher eigens einen Paragrafen, der klarstellt, dass das Abkommen der WHO mitnichten irgendwelche Befugnisse einräume, nationale Gesetze abzuändern, „Impfpflichten zu verhängen (…) oder Lockdowns in Kraft zu setzen“.

Selbst wenn die Verhandlungen gelingen und ein Vertrag bei der WHO-Tagung beschlossen wird: Er träte nur in Kraft, wenn genügend Länder ihn ratifizieren, und er wäre nur in diesen Ländern gültig. Generell beinhalten bindende WHO-Vereinbarungen immer Hinweise, dass die unterzeichnenden Staaten das Abkommen oder den Vertrag im Rahmen ihrer eigenen Verfassung anwenden können. Das ist in Artikel 19 der WHO-Verfassung verankert. Damit wird klargestellt, dass internationale Verträge die demokratische Ordnung und Parlamente der WHO-Mitglieder nicht aushebeln können.

Weitere Verhandlungen zu Detailfragen angedacht

Die genauen Bedingungen sollen dem neuen Entwurf zufolge jedoch nicht in dem Pandemievertrag, sondern „detaillierter in einem rechtsverbindlichen“ Text festgelegt werden, der „spätestens am 31. Mai 2026“ umsetzbar ist. Dadurch erhoffen sich die Entwurfsautoren und -autorinnen grünes Licht für das Rahmenabkommen bei der Weltgesundheitsversammlung vom 27. Mai bis 1. Juni.