Arbeitskäfte um Krater
APA/AFP/Sergey Bobok
Auch Gasnetz betroffen

Schwere Angriffe auf Infrastruktur in Ukraine

Russland hat die Ukraine in der Nacht mit neuen Raketenangriffen überzogen. Das Energieunternehmen DTEK meldete Samstagfrüh, vier Wärmekraftwerke seien schwer beschädigt worden. Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj könnten die Angriffe auch Gaslieferungen in EU-Länder beeinträchtigen. Unterdessen wächst die Sorge vor russischen Angriffen auf Spitäler.

Die Angriffe in der Nacht seien aus der Luft, vom Schwarzen Meer und vom Boden aus erfolgt, hieß es. Die betroffenen Standorte erhielten die nötige Hilfe, teilte DTEK mit – Arbeiter versuchten, die Schäden zu beseitigen. Zuvor hatte es landesweit Luftalarm gegeben.

Laut dem Energieministerium in Kiew galten die Luftschläge vor allem Energieanlagen. Energieminister Herman Haluschtschenko schrieb auf Facebook von Schäden insbesondere an den Anlagen in den Regionen Dnipropetrowsk, Iwano-Frankiwsk und Lwiw. Im Gebiet Dnipropetrowsk wurden laut Behörden zwei Energieanlagen getroffen.

Selenskyj sagte am Samstag, es seien auch Einrichtungen getroffen worden, die für Gaslieferungen in die Europäische Union wesentlich seien. Bei den Angriffen mit 34 Marschflugkörpern habe Russland ukrainische Einrichtungen der Industrie, der Stromversorgung und des Gastransits getroffen. Zuvor hatte auch der staatliche Gaskonzern Naftogaz russische Attacken gegen das Durchleitungsnetz beklagt, ohne Details zu nennen.

Auf die Gasversorgung Österreichs seien „aktuell keine Auswirkungen“ zu erwarten, teilte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) mit. „Unsere Speicher sind gut gefüllt“, hieß es aus dem Büro der Ministerin zur APA. Und auch der Transit an den Grenzübergabepunkten sei aufrecht. „Und doch ist dieser abscheuliche Angriff der deutliche Beweis: Russische Gaslieferungen sind nicht sicher. Jeder Tag, den wir schneller unabhängig werden, ist ein gewonnener Tag“, so Gewessler in einer Stellungnahme.

Verletzte durch Artilleriebeschuss

Den Angaben zufolge wurde eine 82-jährige Frau durch Artilleriebeschuss im Gebiet von Nikopol in der Zentralukraine verletzt. Ein 39-jähriger Mann erlitt bei einem Angriff auf die Energieinfrastruktur im nahe gelegenen Gebiet Kryworiska Verletzungen, wie der Militärverwaltungschef von Krywyj Rih, Olexandr Wilkul, auf Telegram mitteilte. Todesopfer wurden bisher nicht festgestellt.

Auch in der immer wieder beschossenen ostukrainischen Stadt Charkiw, die unweit der russischen Grenze liegt, meldeten die Behörden erneut mehrere Explosionen. Bei russischem Beschuss sei auch das Gelände eines Krankenhauses getroffen worden, hieß es. An den Gebäuden habe es durch die Druckwelle Schäden gegeben, teils seien Fensterscheiben zu Bruch gegangen. Eine Patientin wurde in ihrem Bett verletzt. Die Behörden veröffentlichten Bilder von den Schäden.

„Lage an Front verschlechtert sich“

Unterdessen bezeichnete der ukrainische Oberkommandierende Olexander Syrskyj die operativ-strategische Lage an der Front als schwierig. Die Situation habe die Tendenz, sich zu verschlechtern, teilte der Befehlshaber auf Telegram mit. Darüber habe er mit anderen Teilnehmern Kiews beim virtuellen Treffen der US-geführten Ukraine-Kontaktgruppe am Vortag die westlichen Verbündeten unterrichtet.

Syrskyj informierte demnach auch über die Vielzahl an russischen Luftschlägen gegen die Energieinfrastruktur des Landes. Die Ukraine brauche für ihre Verteidigung dringend und schnell Raketen, Munition, militärische Ausrüstung und Kampftechnik. Dabei dankte er einmal mehr auch den USA für ihre Hilfe.

Kiew evakuiert zwei Krankenhäuser

In der ukrainischen Hauptstadt ordneten die Behörden derweil wegen der möglichen Gefahr eines russischen Raketenschlags die dringende Evakuierung zweier Krankenhäuser an. „Das steht in Verbindung mit einem Video, das massenhaft in Internetmedien verbreitet wird, in dem faktisch ein feindlicher Angriff auf diese medizinischen Einrichtungen angekündigt wird“, teilte die Stadtverwaltung mit. Das Video lege nahe, dass in den Krankenhäusern Militärs seien. „Das ist eine absolute Lüge und Provokation des Feindes, die er für eine Attacke auf die soziale Infrastruktur der Hauptstadt auszunutzen versucht“, hieß es in der Mitteilung.

Arbeitskäfte um Krater, Vogelperspektive
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Das unmittelbare Umfeld eines Krankenhauses in Charkiw ist getroffen worden

Russland, das mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine seit mehr als zwei Jahren Tod und Zerstörung über das Nachbarland bringt, wurde in der Nacht russischen Berichten zufolge ebenfalls Ziel von Angriffen. Die russische Luftabwehr teilte mit, dass im Gebiet Krasnodar 66 Drohnen von ukrainischer Seite abgefangen und zerstört worden seien. In der Region seien bei einem Brand auch Anlagen eines ölverarbeitenden Betriebs beschädigt worden, sagten die örtlichen Behörden. Niemand sei verletzt worden. Auch die von Russland bereits 2014 annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim meldete einmal mehr den Abschuss von zwei Drohnen. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

USA kündigen weiteres Ukraine-Hilfspaket an

Die US-Regierung sagte der Ukraine unterdessen ein neues milliardenschweres Hilfspaket für die langfristige Lieferung von Waffen zu. Die USA wollen Kiew zur Abwehr des russischen Angriffskrieges weitere Waffen und Unterstützung im Umfang von sechs Milliarden US-Dollar (rund 5,6 Mrd. Euro) zur Verfügung stellen, teilte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Freitag mit. Spanien kündigte derweil die Lieferung von Raketen für Patriot-Luftverteidigungssysteme an.

Bei dem neuen US-Paket gehe es unter anderem um Artilleriemunition sowie Drohnenabwehr und Raketen für die Patriot-Flugabwehrsysteme. Das neue Paket speist sich aus den Anfang der Woche vom Kongress freigegebenen Hilfen für die Ukraine. Im Rahmen des US-Finanzierungsprogramms sollen Verträge an amerikanische Verteidigungsunternehmen zum Bau neuer Ausrüstung für die Ukraine vergeben werden. Das bedeutet, dass es mehrere Monate bis Jahre dauern kann, bis die Waffen geliefert werden.

Insgesamt hatte der US-Kongress Anfang vergangener Woche nach einer monatelangen innenpolitischen Hängepartie neue Hilfen im Umfang von rund 61 Milliarden US-Dollar für Kiew gebilligt – und damit den Weg für neue Waffenlieferungen erst freigemacht. Neue US-Hilfszusagen für die Ukraine waren wegen Streitereien zwischen Demokraten und Republikanern über Monate nahezu zum Erliegen gekommen, weil die bisher genehmigten Hilfen aufgebraucht waren.

Stoltenberg: Spionage wird uns nicht abhalten

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte Deutschland und Großbritannien unterdessen die Solidarität des Bündnisses im Kampf gegen russische Spionage und Sabotage zu. „Solche Spionagemaßnahmen sind inakzeptabel, und sie werden uns nicht davon abhalten, die Ukraine weiter zu unterstützen“, so Stoltenberg in Berlin bei einer Pressekonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD). Man müsse achtsam sein, was verdeckte Aktivitäten seitens Russlands im NATO-Bündnis betreffe.

Vorwürfe über russische Spionage häufen sich derzeit. In Großbritannien wurde am Freitag ein Mann angeklagt, weil er im Auftrag der russischen Söldnertruppe Wagner Brandanschläge in Großbritannien orchestriert haben soll.