Russische Soldaten nahe Donezk
IMAGO/Stanislav Krasilnikov
Vor US-Waffenlieferungen

Russland verschärft Druck an den Fronten

Wovor Militärexperten gewarnt haben, scheint nun tatsächlich einzutreten: Vor dem Eintreffen neuer westlicher Waffenlieferungen versucht Russland den Druck zu erhöhen und Gebietsgewinne zu machen – und das teilweise erfolgreich. Die ukrainischen Verteidiger im Osten des Landes geraten immer mehr in Not gegen die russischen Angreifer. „Die Lage an der Front hat sich verschärft“, schrieb der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj am Sonntag auf Facebook.

Das russische Verteidigungsministerium in Moskau meldete am Sonntag die Eroberung der kleinen Ortschaft Nowobachmutiwka im Gebiet Donezk – auch ukrainische Militärbeobachter schlugen auf ihren Karten den Ort nordwestlich der im Februar geräumten Stadt Awdijiwka den Russen zu.

Der Feind greife in mehreren Stoßrichtungen an und habe sich ein Übergewicht an Menschen und Material verschafft. In einigen Bereichen erzielten die Russen „taktische Erfolge“, so Syrskyj. Russland habe „einen bedeutenden Vorteil an Kräften und Mitteln“ und sei so in der Lage gewesen, bei heftigen Kämpfen Fortschritte zu erzielen, fuhr Syrsky fort. Russland habe „taktische Erfolge in einigen Sektoren“ errungen, und in einigen Gegenden „gelang es unseren Truppen, die taktische Lage zu verbessern“.

Weiter russische Vorstöße erwartet

Westliche Militärexperten beobachten ebenfalls ein Vorrücken der russischen Truppen. „Russland wird absehbar spürbare taktische Gewinne erzielen in den kommenden Wochen, während die Ukraine darauf wartet, dass US-Unterstützung an der Front ankommt“, analysierte der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) in den USA. „Aber es bleibt unwahrscheinlich, dass russische Kräfte die ukrainische Verteidigung überwinden.“ Die USA hatten nach monatelanger Blockade vergangene Woche ein milliardenschweres Hilfspaket beschlossen. Den ukrainischen Truppen fehlt es seit Wochen an neuen Waffensystemen, vor allem aber an Munition.

Phillips O’Brien, Professor für strategische Studien an der schottischen Universität St. Andrews, schreibt in seinem Substack-Blog von zwei Rennen, die gegeneinander laufen: Russland versuche, mit möglichst großen Gebietsgewinne Fakten zu schaffen, die Ukraine bemühe sich, die Waffensysteme, sobald sie geliefert seien, möglichst rasch ins Kampfgebiet zu bringen.

Sicherheitsabkommen mit den USA angekündigt

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte indes ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit den USA an. „Wir arbeiten bereits an einem konkreten Text“, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. Ziel sei, daraus das stärkste von allen Sicherheitsabkommen zu machen. Kiew hat in den vergangenen Monaten bereits eine Reihe von Sicherheitsabkommen mit verschiedenen europäischen Staaten geschlossen. Selenskyj machte keine Angaben dazu, wann das Sicherheitsabkommen zwischen Kiew und Washington unterzeichnet werden soll.

Appell für weitere Patriot-Systeme

Selenskyj hatte zuvor den Westen erneut zur verstärkten Lieferung von Flugabwehrwaffen aufgerufen. Russische Luftangriffe in der Nacht auf Samstag hätten auf das Gastransitsystem seines Landes gezielt, sagte er in einer Videobotschaft. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski forderte von Deutschlands Kanzler Olaf Scholz, umzudenken und der Ukraine Marschflugkörper vom Typ Taurus zu geben. Scholz blieb aber bei seiner Ablehnung.

Die Ukraine brauche mehr Flugabwehrsysteme vom US-Typ Patriot, sagte Selenskyj. „Die Ukraine braucht sieben Systeme, das ist das absolute Minimum. Unsere Partner haben diese Patriots.“ Mitte April hatte Deutschland der Ukraine die Lieferung eines dritten Patriot-Systems zugesagt, zuletzt bestätigte Spanien, ein System zu liefern. Andere europäische Länder verweigern eine Zusage.