Demonstration an der Universität von Kalifornien
IMAGO/VCG
Gaza-Krieg

Uniproteste bringen Biden in Bedrängnis

Demonstrationen und Protestcamps gegen den Krieg in Gaza weiten sich auf US-Universitäten im ganzen Land aus – für die Republikaner ein gefundenes Fressen im Wahlkampf: Das Land sei unter Präsident Joe Biden außer Kontrolle geraten, beschwören sie. Für den Präsidenten wird die Lage zunehmend ungemütlich, er läuft Gefahr, entscheidende Teile seiner Wählerschaft zu verprellen. Unterdessen bringen die Proteste Abschlussfeierlichkeiten der Hochschulen zu Ende des Semesters in Gefahr.

Mindestens eine Hochschule, die University of Southern California, hat ihre Hauptabschlussfeier in diesem Frühjahr bereits abgesagt. Andere fordern eine friedliche Auflösung der Protestcamps, damit sie ihre Zeremonien abhalten können. An mehreren Standorten halten die Proteste jedoch unvermindert an, Studierende fordern von ihren Universitäten, die finanziellen Beziehungen zu Israel wegen der Militäroperation im Gazastreifen zu kappen. In der Nähe der George Washington University wurden Montagfrüh die Absperrungen durchbrochen und abgebaut, mit denen der Universitätshof gesichert worden war.

An der Columbia University sei der Dialog zwischen akademischen Leitern und studentischen Organisatoren seit letzter Woche über den Abbau von Lagern nicht vorangekommen, sagte Universitätspräsidentin Minouche Shafik am Montag. Die Universität hatte den Demonstranten und Demonstrantinnen eine Reihe von Fristen zum Verlassen des Lagers mit rund 200 Menschen gesetzt, die diese jedoch verstreichen ließen.

Demonstration an der Universität von Washington
APA/AFP/Kent Nishimura
An der George Washington University kam es am Montag zu neuen Protesten

Suspendierungen und Festnahmen

Nun geht die Uni in New York gegen die Protestierenden vor. Es sei damit begonnen worden, sie zu suspendieren, sagte ein Universitätsvertreter. Das sei Teil der nächsten Phase, um die Sicherheit auf dem Campus zu gewährleisten. Ein zentrales Streitthema war die Forderung der Protestierenden, dass die sich Columbia University von Unternehmen mit Verbindungen zu Israel trennt. Diese lehnte das ab.

Mitte April hatte die Hochschule die Polizei auf den Campus gerufen, um gegen die Proteste vorzugehen. Dabei wurden mehr als 100 Menschen festgenommen. Die propalästinensischen Proteste weiteten sich daraufhin auf andere Hochschulen im ganzen Land aus. Inzwischen wurden landesweit mehr als 900 Festnahmen verzeichnet, das Schicksal dieser Studierenden ist selbst zu einem zentralen Thema der Proteste geworden: Gefordert wird eine Amnestie.

Präsident in der Bredouille

Die Lage für Präsidenten Biden scheint derzeit schier ausweglos. Biden versprach Israel unerschütterliche Unterstützung, nachdem militante Hamas-Kämpfer am 7. Oktober ein Massaker mit 1.200 Toten verübt und mehr als 250 Geiseln verschleppt hatten. Doch die darauffolgende Militäraktion Israels im Gazastreifen, bei der bisher mehr als 34.000 Palästinenser getötet wurden, das dortige Gesundheitssystem zusammengebrochen ist und der Bevölkerung eine Hungersnot droht, sorgt besonders bei jenen für einen Aufschrei, die Biden für eine Bestätigung im Amt dringend benötigt: jüngeren Wählerinnen und Wähler.

Demonstration an der Universität von Columbia
AP/Andres Kudacki
Der Großeinsatz der Polizei an der Columbia University gab letztlich den Anstoß für Demonstrationen im ganzen Land

Junge Wählerschaft entscheidet

Die Gen Z (Jahrgänge 1995 bis 2010) und die Millennials (1980 bis 1996) dürften Erhebungen zufolge bis zu 40 Prozent der Wählerschaft im Herbst ausmachen. Sie tendieren prinzipiell in Richtung der Demokraten und haben Biden auch 2020 durch ihre Wahl in den „Swing-States“, etwa in Michigan, den Sieg gebracht. Viele der Studenten, die gegen den Krieg in Gaza protestieren, sind unzufrieden mit Biden, weil er keinen Waffenstillstand herbeigeführt hat. Gleichzeitig sind einige jüdische Studierende enttäuscht, dass die Biden-Regierung nicht entschlossener gegen antisemitische Belästigungen auf dem Campus vorgeht.

Während Biden sich also um ein Gleichgewicht zwischen der Verurteilung des Antisemitismus und der Unterstützung des Rechts der Studenten auf Protest bemühen muss, wie etwa die „Washington Post“ am Montag schrieb, feuern die Republikaner aus allen Rohren gegen die Demonstranten.

Trump holt aus

Ex-Präsident Donald Trump, vermutlich erneut Bidens nächster Wahlgegner, behauptete zuletzt gar, gegen den „enormen Hass“ an den Universitäten sei eine Kundgebung weißer Nationalisten im Jahr 2017 in Charlottesville, Virginia, „nichts“ gewesen. Am 12. August 2017 waren Hunderte Rechtsextreme, Neonazis und Ku-Klux-Klan-Anhänger durch Charlottesville marschiert, eine Frau kam dabei ums Leben, mehrere wurden verletzt.

Um Biden für die Proteste auf dem Campus verantwortlich zu machen, beschuldigte Trump den Präsidenten, Israel, Juden und Palästinenser gleichermaßen zu hassen, und bezichtigte jüdische Demokraten und Demokratinnen, ihre Religion zu hassen. Viele der Demonstranten sind jüdische Studierende, fortschrittliche jüdische Organisationen haben seit Kriegsbeginn im Oktober Protestbewegungen mit angeführt.

US-Präsident Joe Biden mit Entourage
AP/Susan Walsh
Für Biden ist die Situation verfahren, recht machen kann er es derzeit keinem Lager

Die Vereinigung Jewish Voice for Peace, die sich für einen Waffenstillstand im Gazastreifen einsetzt, etwa hielt zu den Protesten an der Columbia University fest: „Die Studenten protestieren friedlich für ein Ende des israelischen Völkermords an den Palästinensern im Gazastreifen (…) Wir verurteilen alle hasserfüllten oder gewalttätigen Kommentare, die sich gegen jüdische Studenten richten; die Aktionen der Universität von Columbia, den öffentlichen Protest zu unterbinden und die Studenten zu suspendieren, gewährleisten jedoch nicht die Sicherheit jüdischer Studenten – oder anderer Studenten – auf dem Campus."

Ende des „Wokismus“ vs. „Geist von 1968“

Ähnlich gespalten wie die Stimmung im Land ist jene der politischen Kommentatoren. Das „Wall Street Journal“ („WSJ“) bejubelte in einem sarkastischen Beitrag die Niederlage des „Wokismus“. „Die Gegenrevolte beginnt endlich. Columbia, Yale und NYU campieren, während der Rest der USA vor dem Wokismus flieht“, hieß es in einem Kommentar. Die Bilder der teuren North-Face-Zelte auf dem Campus, wo die jährlichen Studiengebühren 75.000 Dollar betragen, würden die Amerikaner in ihrer Überzeugung bestärken, dass ihr „Land aus den Fugen geraten ist“.

Auf der linken Seite glaubt die „New York Times“, dass „der Geist der Antikriegsbewegung von 1968 zurückgekehrt ist“. Der Nationale Parteitag der Demokraten, der in jenem Jahr in Chicago nach den beiden Morden an Martin Luther King und dem demokratischen Kandidaten Robert Kennedy stattfand, endete inmitten des Vietnam-Krieges in einem Aufruhr der Demokraten und Hunderten Verhaftungen. Dieses Jahr hält die Partei ihren Nominierungsparteitag wieder im August in Chicago ab, mit Protesten sei wieder zu rechnen. „Das Ausmaß des Leidens (in Gaza, Anm.) ist inakzeptabel. Junge Menschen werden das diesen Sommer in Chicago deutlich machen.“