Grenzposten in Dover für Lkws
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Lebensmittel, Blumen aus EU

Neue Brexit-Kontrollen in GB angelaufen

Mehr als drei Jahre nach dem Brexit sind nach Angaben der britischen Regierung am Dienstag in Großbritannien umfassende neue Warenkontrollen für tierische und pflanzliche Produkte aus der EU angelaufen. Dazu kommt eine neue, als „Common User Charge“ bezeichnete Gebühr, die neben diversen Lebensmittel wie Wurst, Käse und Joghurt etwa auch Schnittblumen betrifft.

Für pflanzliche und tierische Erzeugnisse, die über den Hafen von Dover und den Eurotunnel eingeführt werden, werde eine pauschale Gebühr „von zehn bzw. 29 Pfund pro Warenlinie erhoben“, wie ein Sprecher des Ministeriums für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten mitteilte.

Mit der Gebühr sollen die Kosten für den Betrieb der Grenzanlagen gedeckt werden, „in denen wichtige Biosicherheitskontrollen durchgeführt werden, um unsere Lebensmittelversorgung, unsere Landwirte und unsere Umwelt vor kostspieligen Krankheitsausbrüchen zu schützen, die über die Meerengen ins Vereinigte Königreich gelangen“.

Anhaltende Bedenken

In den betroffenen Produktkategorien ist die EU bisher ein zentraler Lieferant. Experten und Unternehmen warnen bereits seit Wochen vor längeren Lieferzeiten, mehr Bürokratie und höheren Kosten – die letztlich die Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien tragen müssten.

Die für die britischen Unternehmen anfallenden Kosten könnten auch die Inflation anheizen, so der Kreditversicherer Allianz Trade. Die Importkosten würden im ersten Jahr um zehn Prozent steigen, schrieb die dpa. Befürchtet werden zudem lange Wartezeiten bei der Einfuhr und damit einhergehend die Gefahr von Lebensmittelknappheit, da Produkte vor der Ankunft verderben könnten.

GB: Neue Kontrollen für Importe aus EU

In Großbritannien haben am Dienstag neue Grenzkontrollen für Importe aus der EU in Kraft begonnen: Die Einfuhr von tierischen und pflanzlichen Produkten wird ab sofort auch physisch kontrolliert. ORF-Korrespondentin Sophie Roupetz berichtet aus Großbritannien.

„Entscheidende Änderungen“

Im Fokus der Kontrollen stehen laut britischer Regierung ausgewählte tierische und pflanzliche Erzeugnisse, denen ein „mittleres“ Risiko für die britische Biosicherheit zugerechnet wird. Sie sollen auf Schädlinge und Krankheiten getestet werden, die „die Sicherheit unserer Lebensmittel beeinträchtigen und unserer natürlichen Umwelt schaden könnten“.

„Heute nimmt die Regierung entscheidende Änderungen an der Art und Weise vor, wie das Vereinigte Königreich Lebensmittel, tierische und pflanzliche Erzeugnisse einführt, um unsere Biosicherheit zu verbessern“, hieß es weiter. Die Kontrollen umfassten „visuelle Inspektionen und Temperaturmessungen der Waren“.

Mehrmals verschoben

Großbritannien war Ende Jänner 2020 aus der EU ausgetreten. Nach einer Übergangsphase ist das Land seit 2021 auch nicht mehr Mitglied des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Ein in letzter Sekunde vereinbarter Vertrag sicherte zwar eine weitgehend barrierefreie Handelspartnerschaft. Allerdings kam es besonders zu Beginn zu vielen Problemen im bilateralen Handel. Händler klagen zudem über mehr Bürokratie und neue Zölle in einigen Bereichen.

Die physischen Kontrollen, die in der EU sofort nach dem Brexit eingeführt wurden, wurden in Großbritannien bereits mehrmals verschoben, denn es fehlte an Infrastruktur und Personal. Bei den nun eingeführten Kontrollen handelt es sich Regierungsangaben zufolge um die zweite von insgesamt drei Hauptphasen des am 31. Jänner dieses Jahres angelaufenen „Border Targeting Operating Model“ (BTOM).

Die dritte BTOM-Phase soll am 31. Oktober anlaufen und umfasst laut Wirtschaftskammer (WKO) die „Einführung von Sicherheitserklärungen (Safety and Security Declarations) für alle EU-Einfuhren“.

„Zorn der Kunden“ befürchtet

Das EU-Nachrichtenmagazin „Politico“ berichtete, unmittelbar vor dem Start der neuen Kontrollen seien noch viele Fragen offen. Obwohl die britische Regierung jahrelang Zeit hatte, das neue Grenzregime zu planen, habe sie offenbar viele entscheidende Details bis zur letzten Minute aufgeschoben.

Kommerzielle Hafenbetreiber hätten zudem viele Millionen Pfund in den Aufbau von Inspektionsanlagen gesteckt und nun ernsthafte Bedenken, wie sie die Kosten für den Betrieb decken sollen. „Es ist enorm frustrierend“, zitierte „Politico“ einen namentliche nicht genannten Hafenmanager, dem zufolge man wohl auch „den Zorn der Kunden für Gebühren zu spüren bekommen wird, die nicht von den Häfen verursacht wurden“.

„Briten bekommen Brexit nun voll zu spüren“

Der Hafenverband British Ports Association und die britische Schifffahrtskammer warnten, die Betreiber benötigten dringend Zugang zu einem nach dem Brexit eingeführten IT-System der Regierung. Ansonsten wüssten sie nicht, wie viele Waren sie abrechnen müssten und wem sie das in Rechnung stellen sollten. Mehrere Handelsverbände warnten vor neuem Chaos an den Grenzen und vor den Kosten vor allem für kleine und mittlere Unternehmen.

„Die britische Regierung ist vollständig überzeugt, dass die Einrichtungen, Infrastruktur und Systeme an der Grenze für den Einführungstermin der neuen Grenzkontrollen am 30. April bereit sein werden“, hieß es hingegen zuletzt aus dem Landwirtschaftsministerium. Mit der Einführung der neuen Kontrollen bekämen die Briten den Brexit voll zu spüren, titelte indes das Nachrichtenportal Bloomberg.

Aber auch in den Herkunftsländern entstehe etwa für die zuständigen Veterinärbehörden mehr Aufwand, gab etwa die britische Fleischindustrie im Vorfeld zu bedenken, wie die dpa berichtete. Befürchtet werde etwa ein Mangel an Amtstierärzten auf wichtigen Märkten wie beispielsweise Deutschland und Italien, die für die Abnahme von Lieferungen zugelassen seien.

„Vermutlich kein Brexit-Erfolg“

Jill Rutter von der Denkfabrik Institute for Government warnte Anfang des Jahres, aufgrund der neuen Kontrollen und damit verbundenen längeren Lieferzeiten könne die Inflation wieder steigen. „Das ist vermutlich kein Brexit-Erfolg, den die Regierung in diesem Jahr unbedingt feiern wollte“, kommentierte Rutter.

Noch größer könnten die Probleme werden, falls EU-Unternehmen aufgrund steigender Kosten und höheren Aufwands ihr Großbritannien-Geschäft einstellen sollten, schrieb Rutter. Das könne zu Engpässen und Lieferunterbrechungen bei so unterschiedlichen Gütern wie Schweinefleisch, Tulpen und Erdbeeren führen.

„Das ist auch für die britische Wirtschaft und Verbraucher ein wichtiger Einschnitt“, sagte Außenhandelsexperte Marc Lehnfeld von der in London ansässigen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI). Rutter wies darauf hin, dass das Vereinigte Königreich in den ersten neun Monaten 2023 fast drei Viertel seiner Lebensmittel aus der EU importiert habe.