Bub steht vor Kühlschrank
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Armut

Zwölf Prozent müssen beim Essen sparen

Etwa zwölf Prozent der Österreicherinnen und Österreicher – das entspricht 1,1 Millionen – waren im Vorjahr von moderater oder schwerer Ernährungsarmut betroffen. Das heißt, sie mussten sich bei der Versorgung mit Lebensmitteln bei der Qualität oder Quantität bzw. bei beidem einschränken. Das ergab eine aktuelle Befragung.

Die Umfrage unter rund 2.000 Personen ab 16 Jahren wurde am Donnerstag bei einem Symposium der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) in Wien präsentiert – wenige Tage nach dem generellen Armutsbericht der Statistik Austria. Dem Sozialexperten Martin Schenk zufolge stimmt die aktuelle Umfrage mit der Statistik überein, zeigt aber vor allem auf, dass es im grundsätzlich guten heimischen Sozialsystem gewisse Lücken gibt.

Rund 420.000 Personen fallen laut der Umfrage sogar in die Kategorie „schwere Ernährungsarmut“. Das heißt, dass sie teilweise Mahlzeiten unfreiwillig ausfallen lassen mussten oder einen ganzen Tag nichts zu essen hatten, weil sie das Geld etwa dringender für die Miete oder die Stromrechnung brauchten.

Jeder zehnte Österreicher von Ernährungsarmut betroffen

Eine neue Studie der Gesundheit Österreich im Auftrag des Sozialministeriums zeigt: Mehr als jeder Zehnte im Land muss beim Lebensmitteleinkauf extrem auf den Preis schauen oder Mahlzeiten ausfallen lassen.

Knapp 13 Prozent der Befragten mit Minderjährigen im Haushalt hatten in den vergangenen zwölf Monaten Sorge, dass ihre Kinder nicht ausreichend zu essen haben. Etwa ein Fünftel der Befragten gaben an, dass sie nicht in der Lage waren, bei Freunden, Bekannten, Verwandten oder in der Gastronomie zu speisen bzw. andere zum Essen einzuladen.

Jüngere und Kranke besonders betroffen

Besonders betroffen sind laut der Erhebung Jüngere, Kranke, Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und Arbeitslose. Betroffene würden beim Einkauf gerne mehr auf gesunde Lebensmittel und auf Qualität achten. Die größten Hürden sind fehlende finanzielle Mittel, zu wenig Zeit und ein Mangel an erschwinglichen Optionen.

Laut Expertinnen und Experten wären Maßnahmen wie eine kostenlose Gemeinschaftsverpflegung, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte sowie die Förderung von Sozialmärkten in Kombination mit Verhaltensmaßnahmen wie der Erhöhung der Ernährungskompetenz zentral.

Schenk: Folgen auch für gesamte Gesellschaft

Dem Sozialexperten Schenk zufolge werden bestimmte Gruppen von den Sozialhilfen nicht erreicht, das zeige die Ernährungsarmutsumfrage auf, so Schenk im Ö1-Radiointerview. Besonders oft betroffen seien Alleinerziehende, Mehrkindfamilien und Haushalte mit chronisch Kranken.

Ob Armut oder Ernährungsarmut – beides habe Folgen nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern für die gesamte Gesellschaft. Es habe Auswirkungen auf die Bildung der Kinder und die Gesundheit aller Betroffenen. Weniger Berufschancen und Krankheit würden die staatlichen Systeme mit weniger Einnahmen und Mehrkosten belasten.

Eine OECD-Studie habe zuletzt die durch Kinderarmut verursachten Mehrkosten in Österreich auf 17 Milliarden Euro beziffert, so Schenk. Er plädierte hier für Angebote wie eine warme Mahlzeit in der Schule. Strukturell plädiert Schenk dafür, den Sozialindex und den Chancenindex zu kombinieren – beide weisen jene Schulen aus, in denen der Anteil von Kindern aus armutsgefährdeten Familien besonders hoch ist. Dorthin müssten via Finanzausgleich mehr Mittel geleitet werden. Eine zweite strukturelle Maßnahme seien mehr Ganztagsschulen, um die Bildungschancen betroffener Kinder zu erhöhen.

SPÖ fordert Kindergrundsicherung

Auf politischer Ebene reagierte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim: Er sprach wörtlich von einem „Skandal“ und einem Versagen der ÖVP-Grünen-Koalition. Als konkrete Maßnahmen nannte er bekannte SPÖ-Forderungen: die Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Gratisverpflegung an Schulen und Kindergärten und die Einführung einer Kindergrundsicherung. Ganz Ähnliches forderte auch die Volkshilfe in einer Aussendung. Der ÖGB sprach von „alarmierenden Zahlen“ und forderte eine Erhöhung des Arbeitslosengelds.

ÖVP und Grüne verweisen auf Inflationsanpassung

Der grüne Sozialminister Johnanes Rauch nannte die Ergebnisse „inakzeptabel“, nannte aber die Reform der Mindestsicherung unter der ÖVP-FPÖ-Regierung als Hauptgrund. Eine Reform derselben sei mit der ÖVP aber nicht machbar. Eine bundesweit einheitliche Sozialhilfe ist für Rauch daher Aufgabe der nächsten Regierung.

Rauch verwies zudem auf erfolgte Maßnahmen wie Einmahlzahlungen gegen die Teuerung und die Inflationsanpassung der Familien- und Sozialleistungen. Das tat auch die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler. Motto der ÖVP sei „soziale Unterstützung wo nötig, aber Arbeit entlasten, damit die Leute gute verdienen können“.

NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker kritisierte, große Mengen der Subventionen würden „schlecht verteilt“ – etwa wenn auch Gutsituierte Energiekostenzuschüsse erhalten hätten.