Der Libanesische Premierminister Najib Mikati, Zyperns Präsident Nikos Christodoulides und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen
AP/Hassan Ammar
Eine Milliarde aus EU

Libanon soll Flüchtlinge aus Syrien behalten

Um die Überfahrt von bisher im Libanon lebenden Flüchtlingen aus Syrien zu stoppen, hat die EU-Kommission dem Land Finanzhilfen in Höhe von rund einer Milliarden Euro versprochen. Das Geld stehe bis 2027 zur Verfügung, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Beirut an.

Man zähle auf eine gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung illegaler Migration und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität, so von der Leyen nach einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis. Um das Land bei der Steuerung der Migration zu unterstützen, verpflichte sich die EU, legale Wege nach Europa offen zu halten und Flüchtlinge aus dem Libanon in die EU umzusiedeln.

Mit dem Geld sollen auch die libanesischen Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte unterstützt werden. „Dabei geht es vor allem um die Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung für die Grenzverwaltung“, sagte von der Leyen. Darüber hinaus sollen mit den Hilfen das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon gestärkt werden.

Der Libanesische Premierminister Najib Mikati, Zyperns Präsident Nikos Christodoulides und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen
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Gegen eine Milliarde Euro verspricht der Libanon der EU, syrische Flüchtlinge künftig an der Überfahrt zu hindern

Heuer rund 4.000 Ankünfte in Zypern

Vor allem die zypriotische Regierung hatte die wachsende Zahl syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon zuletzt als nicht mehr tragbar kritisiert und ein Handeln der EU gefordert. Angaben von Staatschef Christodoulidis zufolge kamen in den vergangenen Monaten fast täglich Syrerinnen und Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in dem EU-Land im östlichen Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4.000 Menschen gezählt – im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.

In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko und der Türkei ankommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt es aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge wie in Zypern.

In dem Land sind die Flüchtlingslager übervoll, die Bearbeitung von Asylanträgen, die Syrerinnen und Syrer stellen, wurde vorläufig ausgesetzt. Christodoulidis hatte die EU wegen des Anstiegs mehrfach um Hilfe gebeten und einen Deal mit dem Libanon ähnlich der Vereinbarung mit Ägypten und Tunesien gefordert. Mit diesen Ländern hat die EU zuletzt neue Kooperations- und Unterstützungsabsprachen getroffen, die unter anderem Finanzhilfen in Milliardenhöhe vorsehen.

Ressentiments und Diskriminierung

Im Libanon nahmen die Ressentiments gegenüber Flüchtlingen in den vergangenen Monaten deutlich zu. Hilfsorganisationen beklagen, dass die sinkenden internationalen Zuwendungen den Druck erhöhen, die Weiterreise in Richtung Europa anzutreten. Zugleich hört man aus informierten Kreisen im Libanon, dass viele syrische Flüchtlinge nur deshalb nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil sie dort keinen Anspruch auf Flüchtlingshilfe wie im Libanon haben.

Menschenrechtsorganisationen zufolge wenden libanesische Beamte seit Jahren diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Deserteure, willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten.

EU-Flüchtlingsdeal mit Libanon

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Donnerstag bei einem Besuch in Beirut ein Migrationsabkommen mit dem Libanon im Umfang von einer Milliarde Euro angekündigt. Erklärtes Ziel sei es, die Weiterreise syrischer Geflüchteter in die Europäische Union zu verhindern.

UNO und Menschenrechtsorganisationen warnen

Die geschäftsführende libanesische Regierung vertritt die Meinung, das Bürgerkriegsland sei stabil und sicher genug, um eine Rückkehr zu gewährleisten. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen sehen das allerdings weiter anders. Sie weisen darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage ein Überleben kaum möglich mache und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten müssten. Hinzu kommt: Auch der syrische Machthaber Baschar al-Assad will die geflohenen Menschen nicht zurück in seinem Land.

Schwierig ist die Lage im Libanon zudem politisch. Im Unterschied zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten gibt es in dem Land zurzeit nicht einmal ein Staatsoberhaupt. Seit eineinhalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Aktuell wird das Land von Ministerpräsident Mikati geschäftsführend geleitet. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.

Der Libanesische Premierminister Najib Mikati, Zyperns Präsident Nikos Christodoulides und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen
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Laut den libanesischen Regierungsvertretern soll das Bürgerkriegsland stabil und sicher sein

Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien und Israel grenzenden Land gesehen – auch angesichts der Aktivitäten der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schießt aus dem Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel – nach eigenen Angaben aus „Solidarität“ mit der Hamas im Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.

Humanitäre statt militärische Hilfe gefordert

Experten sehen die Pläne von der Leyens kritisch. „Die EU macht im Libanon einen großen Fehler“, sagte Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis (INEGMA). Der Libanon mit seinen großen internen Konflikten sei in keiner Weise bereit, ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. „Es ist verrückt zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen“, so Kahwaji.

Hilfsorganisationen fordern mehr humanitäre statt militärische Hilfe. Der Libanon stecke seit Jahren in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, rund drei Viertel der Einwohner lebten mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze. „Die Mittel für humanitäre Hilfe gehen seit Jahren zurück. Das schürt Spannungen zwischen Einheimischen und den Geflüchteten“, sagte Ahmad Safi, Programmverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region, am Donnerstag in einer Aussendung. Andreas Grünewald, Migrationsexperte bei Brot für die Welt, ergänzte: „Wir befürworten jede zusätzliche Unterstützung für im Libanon lebende Geflüchtete und die aufnehmenden Gemeinden.“