Einwohner verlassen Rafah
Reuters/Hatem Khaled
Rafah

Israels Armee startet Evakuierung

Das israelische Militär hat vor seiner erwarteten Offensive mit der Evakuierung von Teilen Rafahs im Süden des Gazastreifens begonnen. Die Streitkräfte riefen die Bewohnerinnen und Bewohner in den östlichen Teilen der Stadt am Montag auf, in ein nahe gelegenes „humanitäres Gebiet“ zu ziehen. Israels Verteidigungsminister Joav Galant begründete die Aktion mit dem weiter ausständigen Geiseldeal.

„Heute Früh (…) haben wir mit einem Einsatz von begrenztem Umfang begonnen, um die Bewohner im östlichen Teil von Rafah vorübergehend fortzubringen“, sagte ein Militärsprecher in einer Onlinepressekonferenz. Der Armee zufolge sind „etwa 100.000 Personen“ betroffen. Die Streitkräfte sprachen von einem „begrenzten Einsatz“.

Der Sprecher sagte, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den Hafen in Aschdod.

Analyse: Israels Evakuierungsaufruf

Karim El-Gawhary und Tim Cupal über den Aufruf der israelischen Armee an die Menschen im Osten Rafahs, das Gebiet zu verlassen, und die stockenden Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln und eine Waffenruhe.

Armee: Menschen sollen nach al-Mawasi

In einer Erklärung des Militärs hieß es, dass Plakate, Textnachrichten, Telefonanrufe und Medienankündigungen eingesetzt würden, um „die allmähliche Bewegung von Zivilisten in die angegebenen Gebiete zu fördern“.

Das Militär rief die Einwohnerinnen und Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Dorf al-Mawasi am Mittelmeer zu begeben. Dort gebe es Nahrung, Wasser und Medikamente. Zudem ermögliche die Armee die Einrichtung eines Feldspitals.

Mehr als eine Million Menschen in Rafah

Rafah gilt als letzte Bastion der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen, die mit ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober den Gaza-Krieg ausgelöst hatte. Es werden auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet. In Rafah haben mehr als eine Million Palästinenserinnen und Palästinenser vor den Kämpfen zwischen der israelischen Armee und den Extremisten Zuflucht gesucht. Sie harren seit Monaten unter prekären Bedingungen auf engstem Raum aus.

Seit Wochen wird Israel deswegen aus Sorge um zivile Opfer international aufgefordert, auf eine Rafah-Offensive zu verzichten. Israel hatte zur Vorbereitung eines Angriffs Zehntausende Zelte beschafft, um Zivilistinnen und Zivilisten außerhalb von Rafah unterzubringen. Der gleichnamige Grenzübergang ist vorerst weiter offen. Das teilte die Grenzbehörde auf palästinensischer Seite am Montag mit. Der Transitbereich auf ägyptischer Seite sei für die Ausreise nach Ägypten geöffnet worden.

Rafah war Berichten zufolge zuletzt bereits verstärkt Ziel israelischer Angriffe. Auch am Montag gab es laut Reuters Angriffe im Osten der Stadt. Wie die Hamas am Montag mitteilte, seien am Sonntagabend bei einem Angriff in Rafah mindestens 28 Menschen getötet worden. Eine unabhängige Bestätigung der Angaben gibt es nicht.

„Menschen brauchen Schutz“

Israels Verbündete stehen einer möglichen Offensive in Rafah weiter skeptisch gegenüber. US-Präsident Joe Biden habe nach Angaben aus dem Weißen Haus bei einem Gespräch mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu erneut seine „klare Haltung zu Rafah“ bekräftigt. Die US-Regierung lehnt eine israelische Bodenoffensive in Rafah ab und hat das in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht.

Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe in einem Telefonat mit Netanjahu seine „entschiedene Ablehnung“ eines Angriffs auf den südlichsten Bezirk Gazas betont, hieß es. Die Freilassung der Geiseln habe höchste Priorität.

Mögliche Szenarien für Rafah-Offensive

Oberstleutnant Christoph Göd vom Österreichischen Bundesheer über mögliche Taktiken und Strategien der israelischen Armee im Süden des Gazastreifens.

Eine Bodenoffensive Israels käme einer Katastrophe mit Ansage gleich, hieß es in Berlin. Die über eine Million Menschen in Rafah „brauchen Schutz“, so das deutsche Außenministerium. Die Hamas spiele ein zynisches Spiel, weil sie Hilfslieferungen angreife und weiter Geiseln festhalte.

„Das Schlimmste“ befürchtet

Der Evakuierungsaufruf lasse „das Schlimmste befürchten: mehr Krieg und Hunger“, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf X (Twitter) mit. „Das ist inakzeptabel. Israel muss auf eine Bodenoffensive verzichten.“ Die EU müsse sich zusammen mit der internationalen Gemeinschaft dafür einsetzen, „ein solches Szenario zu verhindern“, so Borrell.

Auch Jordanien warnte nach dem israelischen Evakuierungsaufruf für Teile von Rafah vor einer erwarteten Militäroffensive. „Ein weiteres Massaker an den Palästinensern steht bevor“, teilte der jordanische Außenminister Aiman al-Safadi auf X mit. Alle müssten jetzt handeln, um ein solches Szenario zu verhindern. Ägypten befürchtet unter anderem, es könnte bei einem Einsatz Israels in Rafah zu einem Ansturm von Palästinensern über die Grenze kommen.

Galant: Ablehnung von Geiseldeal als Grund

Israels Verteidigungsminister Galant begründete den Militäreinsatz in Rafah mit der Ablehnung des Vorschlags für eine Waffenruhe im Gazastreifen durch die Hamas und der damit gescheiterten Freilassung einiger Geiseln aus der Gewalt der Extremisten. Das habe er seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin in der Nacht mitgeteilt, sagte Galant. Das hochrangige Hamas-Mitglied Sami Abu Suhri sprach von einer „gefährlichen Eskalation, die Konsequenzen haben wird“.

Grafik zum Gazastreifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: BBC/ISW

Auch am Wochenende hatte es keinen Durchbruch bei den Gesprächen in Kairo gegeben. Die Hamas und die israelische Regierung beharrten auf ihren gegensätzlichen Positionen und warfen einander eine Behinderung der Gespräche vor. Die Hamas erklärte Sonntagabend, die jüngste Verhandlungsrunde sei beendet. Man werde nun über das weitere Vorgehen beraten. Die Hamas fordert etwa, dass eine Feuerpause in ein vollständiges Kriegsende münden müsse. Das lehnt Israel ab.

Flüchtlingscamp in Rafah
Reuters/Bassam Masoud
In Rafah suchen Hunderttausende Vertriebene Schutz

Netanjahu bekräftigte, Israel sei bereit, die Kämpfe im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Extremisten pausieren zu lassen. Der Militäreinsatz werde aber erst beendet, wenn die Hamas entmachtet sei.

Tote bei Hamas-Angriff auf Grenzübergang

Mitglieder des militärischen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom gefeuert und dabei drei israelische Soldaten getötet. Kerem Schalom ist der wichtigste Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen.

Die israelische Armee schloss ihn nach dem Raketenangriff vorübergehend für humanitäre Transporte. Das Militär bombardierte im Anschluss nach eigenen Angaben im Gazastreifen den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war.

Israel verbot unterdessen der arabischen TV-Station al-Jazeera den Sendebetrieb im Land. Premier Netanjahu hatte dem Sender vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges vorgeworfen, der Sender habe „die Sicherheit Israels beschädigt, aktiv am Massaker am 7. Oktober teilgenommen und gegen israelische Soldaten gehetzt“. Al-Jazeera wies die Vorwürfe entschieden zurück.