Israelischer Panzer in Gaza
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Panzer in Rafah

Israel kappt Hilfswege in Gazastreifen

Israelische Panzer sind am Dienstag im Süden des Gazastreifen vorgerückt und haben die Kontrolle über den Grenzübergang zu Ägypten übernommen. Auch im Osten der Stadt Rafah waren Truppen aktiv. Der Gazastreifen ist derzeit von Hilfslieferungen abgeschnitten. Die UNO warnte vor schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerung. Unterdessen finden in Kairo – mit Beteiligung einer Delegation aus Israel – Gespräche über eine Waffenruhe statt.

Die israelische Armee übernahm nach eigenen Angaben die „operative Kontrolle“ über die im Gazastreifen gelegene Seite des Grenzübergangs Rafah. Derzeit überwachten „Spezialkräfte“ den Übergang in der Stadt an der Grenze zu Ägypten, erklärte die israelische Armee. In dem Gebiet sei eine gepanzerte Einheit im Einsatz.

Ein Sprecher der palästinensischen Grenzübergangsbehörde, Wael Abu Omar, sagte, der Grenzübergang Rafah, der wichtigste Zugang für Hilfslieferungen in den Gazastreifen, sei außer Betrieb. Auch die zentrale Straße, die den Norden des Gazastreifens mit dem Süden verbindet, ist Medienberichten zufolge unter Kontrolle der israelischen Armee.

Israelische Panzer in Gaza
APA/AFP/Israeli Army/Fayez Nureldine
Israelische Panzer sind am Grenzübergang Rafah auf palästinensischer Seite im Einsatz

Militär: „Sehr begrenzte“ Operation

Der gesamte westliche Bereich von Rafah sei zum Operationsgebiet geworden. Die Streitkräfte erklärten zum Einsatz, dieser sei „sehr begrenzt“ und richte sich gegen „sehr spezifische Ziele“. Die israelische Armee hatte die Stadt zuvor aus der Luft angegriffen, wie ein AFP-Reporter berichtete.

Armee-Einheiten seien seit Montagabend aber auch im Osten der Stadt im Einsatz. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner und einige internationale Organisationen hätten das Gebiet verlassen. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete, bei dem Einsatz seien 20 Terroristen getötet und drei Tunneleingänge entdeckt worden. Ein mit Sprengstoff präpariertes Auto, das in Richtung von Soldaten gefahren sei, sei zerstört worden.

Rauchsäulen über Rafah
AP/Ismael Abu Dayyah
Rauchsäulen steigen über Rafah nach einem israelischen Luftangriff auf

Auch der nahe gelegene Grenzübergang Kerem Schalom nach Israel sei vorerst aus Sicherheitsgründen geschlossen worden. Die Hamas beschoss ihn nach eigenen Angaben am Dienstag erneut mit Raketen. Am Sonntag waren bei einem Raketenangriff auf Kerem Schalom vier israelische Soldaten getötet worden.

Internationale Gemeinschaft besorgt

International ist die Sorge groß, dass die Schließung der beiden Grenzübergänge folgenschwere Konsequenzen für die Zivilbevölkerung haben könnte. Der Gazastreifen sei damit praktisch von Hilfslieferungen von außen abgeschnitten, sagte der Sprecher des UNO-Büros für humanitäre Hilfe, Jens Laerke, in Genf. Zudem seien die Vorräte in Rafah sehr gering.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief die Konfliktparteien auf, alles zu tun, um endlich ein Abkommen zu erreichen. „Eine Bodenoffensive in Rafah wäre nicht hinnehmbar aufgrund der verheerenden humanitären Folgen und wegen der destabilisierenden Folgen für die Region.“ Selbst Israels Verbündeten sei klar, dass „ein Angriff auf Rafah ein strategischer Fehler, eine politische Katastrophe und ein humanitärer Alptraum wäre“.

Kriegskabinett hält an Militärplänen fest

Das israelische Kriegskabinett hatte zuvor entschieden, den Militäreinsatz in Rafah fortzusetzen, um den militärischen Druck auf die Hamas zu erhöhen und die eigenen Kriegsziele durchzusetzen. Verteidigungsminister Joav Galant sprach von einer mehrstufigen Invasion, die gestoppt werden könne, wenn sich die Hamas zu einer vernünftigen Verhandlungslösung zum Austausch der Geiseln bereiterkläre.

Grafik zum Gazastreifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: NY Times

Die israelische Regierung vermutet in Rafah noch Tausende Hamas-Kämpfer und womöglich auch einige der nach wie vor festgehaltenen Geiseln. Nach Ansicht der Regierung ist die als Kriegsziel ausgerufene Zerschlagung der Hamas ohne die Kontrolle über Rafah nicht erreichbar. Am Montag hatte Israel eine Teilevakuierung der Stadt eingeleitet, wo rund eine Million Geflüchtete Schutz gesucht haben.

Ägypten verurteilt Militäraktion

Ägypten verurteilte aufs Schärfste das israelische Vorrücken auf Rafah. Das Außenministerium in Kairo sehe darin eine „gefährliche Eskalation, die das Leben von mehr als einer Million Palästinenser“ bedrohe, wie es in einer Erklärung hieß. Ägypten rufe die israelische Seite auf, ein Höchstmaß an Zurückhaltung zu üben und nicht mit dem Feuer zu spielen.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte die Militäroperation scharf und mahnte Israel zu Zurückhaltung. Es habe Bitten der internationalen Gemeinschaft, etwa von den USA und den EU-Staaten, an Israel gegeben, Rafah nicht anzugreifen. „Trotz dieser Warnung und dieser Aufforderung hat der Angriff gestern Abend begonnen“, sagte Borrell am Dienstag in Brüssel und sprach von einer Bodenoffensive.

Flucht aus Rafah
AP/Ismael Abu Dayyah
Palästinenser fliehen, nachdem das israelische Militär eine Teilevakuierung von Rafah angeordnet hat

Die US-Regierung ging nicht davon aus, dass es sich um den Beginn einer großangelegten Offensive handelt. An den ernsthaften Bedenken der amerikanischen Seite wegen einer solchen Offensive in dem dicht besiedelten Gebiet habe sich aber nichts geändert, teilte ein US-Regierungsvertreter mit. Diese Position sei auch klar vertreten worden.

Gespräche gehen weiter

Die Hamas hatte am Montagabend ihre Zustimmung zu einem Verhandlungsvorschlag über eine Waffenruhe erklärt. Dieser sei jedoch weit entfernt von dem, was Israel verlange, hieß es aus dem Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Der israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir bezeichnete die Zustimmung der Hamas als taktischen Trick.

Am Dienstag traf eine katarische Delegation zu weiteren Gesprächen in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ein. Es soll um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg, die Freilassung von Geiseln und Häftlingen sowie die ungehinderte Lieferung humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen gehen. Nach Angaben des israelischen Militärs wird auch ein Team aus Israel an den neuen Vermittlungsgesprächen in Kairo teilnehmen. Katar, Ägypten und die USA agieren als Vermittler zwischen der Hamas und Israel, die keine direkten Verhandlungen miteinander führen.

Netanjahu: Israelische Delegation in Kairo

Ein Hamas-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, sagte am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP, die anstehende Verhandlungsrunde in Kairo sei „die letzte Chance“ für Israel, die Gefangenen „lebend zurückzubekommen“.

Auch Israel schickte eine Delegation für weitere Gespräche über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der Hamas-Geiseln nach Kairo. Das Verhandlungsteam sei in der ägyptischen Hauptstadt eingetroffen, teilte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu am Dienstag in einer Erklärung mit. Zugleich warnte der israelische Verteidigungsminister Joav Gallant die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas, ohne
Fortschritte bei der Freilassung der Geiseln werde Israel seinen
Militäreinsatz im Gazastreifen „intensivieren“.