Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey
AP/Markus Schreiber
Deutschland

„Hinterhältiger Angriff“ auf Ex-Ministerin

In Deutschland herrscht nach weiteren Angriffen auf Politikerinnen, darunter die Ex-Familienministerin und aktuelle Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), Entsetzen. Die Polizeigewerkschaft GdP verurteilte die Attacke als „hinterhältig“. Giffey erlitt leichte Verletzungen. In Dresden wurde eine 47 Jahre alte grüne Politikerin beim Aufhängen von Wahlplakaten angegriffen.

Giffey wurde Dienstagnachmittag in einer Bibliothek im Berliner Stadtteil Rudow attackiert. Ein Mann habe die frühere Regierende Bürgermeisterin unvermittelt „von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen“, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin in der Nacht auf Mittwoch mit. Giffey begab sich kurzzeitig zur ambulanten Behandlung von Kopf- und Nackenschmerzen in ein Krankenhaus.

Der mutmaßliche Täter sei bereits identifiziert worden, sagte die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft der dpa. Bei dem Mann gebe es „Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung“, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Der 74-Jährige ist der Polizei bereits bekannt, es gebe Erkenntnisse aus dem Bereich der Hasskriminalität, hieß es weiter. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob sie beantragt, den Verdächtigen in ein psychiatrisches Krankenhaus einzuweisen. Er sollte noch am Mittwoch einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.

Giffey reagierte bereits auf den Vorfall. Diese Angriffe seien durch nichts zu rechtfertigen, schrieb sie auf Instagram. „Sie sind eine Grenzüberschreitung, der wir uns als Gesellschaft entschieden entgegenstellen müssen“, so Giffey. „Nach dem ersten Schreck kann ich sagen, es geht mir gut“, so die SPD-Politikerin. Sie werde ihre Arbeit am Mittwoch unbeirrt fortsetzen. „Dennoch besorgt und erschüttert mich die sich verstärkende ‚Freiwildkultur‘, mit der Menschen, die sich politisch in unserem Land einsetzen und engagieren, immer häufiger vermeintlich gerechtfertigten und hinzunehmenden Angriffen ausgesetzt sind.“

„Gewaltspirale“

„Wenn wir über Gefahren für unsere Demokratie reden, dann geht es nicht nur um Positionen und Inhalte. Es geht auch um Menschen“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch am CDU-Parteitag in Berlin.

„Ich verurteile den Angriff auf Franziska Giffey aufs Schärfste“, schrieb der aktuelle Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Mittwoch auf X (Twitter). „Wer Politikerinnen und Politiker angreift, greift unsere Demokratie an“, so Wegner. Im Senat werde über Konsequenzen beraten werden, auch über härtere Strafen für Angriffe auf Politiker, kündigte Wegner an.

„Die Attacken auf Mandatsträger haben in den letzten Jahren immer mehr zugenommen, in Social Media werden Hasskommentare abgegeben und mittels verbaler Gewalt der Nährboden für körperliche Gewalt gelegt“, sagte Stephan Weh von der GdP am Mittwoch. „Diese Spirale haben wir leider schon seit Jahren, und in diesem Jahr haben wir es mit einer Gewaltspirale physischer Angriffe auf Politikerinnen und Politiker zu tun, die mich extrem besorgt“, sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU).

Grüne Politikerin bedroht und bespuckt

Die grüne Politikerin in Dresden – deren Namen die Polizei nicht sagen wollte – wurde indes Dienstagabend von einem 34-jährigen Mann beiseitegestoßen, beleidigt und bedroht, teilte die Polizeidirektion Dresden mit. Er soll auch zwei Wahlplakate heruntergerissen haben.

Eine 24-jährige Frau sei dazugekommen und habe die Politikerin – die in Begleitung von Helfern und einem Drehteam war – unvermittelt bespuckt. Die Polizei stellte die beiden in unmittelbarer Nähe. Gegen den 34-jährigen Deutschen werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt und gegen die 24-jährige Deutsche wegen Körperverletzung.

Weil die beiden zuvor bei einer Gruppe gestanden sein sollen, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt worden sein soll, werde außerdem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen sie ermittelt. Beide Verdächtige blieben auf freiem Fuß, berichtete der Polizeisprecher.

SPD-Politiker Ecke nach Übergriff schwer verletzt

Erst am Freitag war der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Matthias Ecke, in Dresden von vier Burschen bzw. jungen Männern im Alter von 17 und 18 Jahren zusammengeschlagen und schwer verletzt worden, als er Wahlplakate anbringen wollte. Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen rechnet zumindest einen Täter dem rechten Spektrum zu. Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe einen grünen Wahlkampfhelfer verletzt.

Innenminister für Verschärfung des Strafrechts

Am Dienstag hatten sich die Innenministerinnen und Innenminister von Bund und Ländern vor dem Hintergrund der Angriffe zu einer Sondersitzung getroffen und sich zum besseren Schutz von Politikern und Wahlkämpfern auch für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Innenministerkonferenz der Länder forderten bei der Videokonferenz ein Ende von Gewalt und Hetze.

Nancy Faeser
IMAGO/Marten Ronneburg/Kreativmedia Berlin
Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser

Faeser bezeichnete den Übergriff auf Ecke am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ als Zäsur. Die Verschärfung des Strafrechts sei nur eine Maßnahme. Es brauche unter anderem schnellere Verfahren der Justiz, um Tätern schnell Grenzen aufzuzeigen. Wichtig sei auch, dass alle Straftaten angezeigt und konsequent verfolgt würden. Sie verwies auf die nächste Sitzung der Innenministerkonferenz, bei der das Thema noch einmal vertieft werden müsse.

„Eskalation antidemokratischer Gewalt“

Die Ressortchefs unterstützten nach Angaben von Stübgen, dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, zwei Bundesratsinitiativen aus Bayern und Sachsen. Die sächsische Initiative sieht eine Strafverschärfung bei Angriffen auf Politiker und Wahlhelfer vor. Damit sollen Entscheidungsträger gerade auf kommunaler Ebene vor Übergriffen auf ihr Privatleben geschützt werden.

Die Innenminister fordern zudem das Bundesinnenministerium auf, sich für eine zügige Behandlung einer Initiative Bayerns zum strafrechtlichen Schutz gemeinnütziger Tätigkeit einzusetzen. Damit sollen Übergriffe auf politisch engagierte Menschen härter bestraft werden.

Im Jahr 2023 gab es laut Faeser 2.710 Straftaten gegen Mandatsträger, 53 Prozent mehr als im Jahr davor. Sie betonte: „Auch Angriffe gegen AfD-Politiker sind nicht hinnehmbar.“ Sie sprach von einer „Eskalation antidemokratischer Gewalt“. Die Spirale von Hass und Gewalt müsse gestoppt werden.