Rauchsäulen im Gazastreifen nach der Bombardierung durch die israelische Armee
AP/Ismael Abu Dayyah
US-Bombenlieferung gestoppt

Israel reagiert zurückhaltend

Die USA haben nach Angaben eines hochrangigen Regierungsvertreters eine Bombenlieferung an Israel wegen „Bedenken“ hinsichtlich einer israelischen Offensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen ausgesetzt. Ein Sprecher der israelischen Armee reagierte zurückhaltend.

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bestätigte am Mittwoch Medienberichte über den Stopp von US-Waffenlieferungen an Israel. „Wir haben die Situation eingeschätzt und eine Lieferung von Munition mit hoher Nutzlast gestoppt“, so Austin. „Wir waren uns von Anfang an darüber im Klaren, dass Israel keinen Großangriff auf Rafah starten sollte, ohne die Zivilisten, die sich in diesem Kampfgebiet befinden, zu berücksichtigen und zu schützen.“

Zuvor hatten mehrere Medien, darunter die „New York Times“, über den Schritt berichtet. Die Lieferung, die in der vergangenen Woche ausgesetzt worden sei, umfasse 1.800 907-Kilogramm-Bomben und 1.700 226-Kilogramm-Bomben, hatte ein US-Regierungsvertreter, der anonym bleiben wollte, gesagt.

Mit dem Stopp der Waffenlieferungen setzte US-Präsident Joe Biden erstmals eine Warnung gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in die Tat um, die US-Unterstützung vom Umgang mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen abhängig zu machen.

Israel reagierte zurückhaltend. Die beiden Verbündeten würden jegliche Meinungsverschiedenheiten hinter verschlossenen Türen klären, sagte ein Armeesprecher gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Wenn wir mit unseren Fingernägeln kämpfen müssen, dann tun wir, was wir tun müssen“, zitierte Reuters zudem einen israelischen Regierungsvertreter.

US-Präsident Joe Biden beim israelischen Premier Benjamin Netanyahu in Tel Aviv im November 2023
Reuters/Miriam Alster
US-Präsident Joe Biden und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu

Israel meldet 100 Luftangriffe im Gazastreifen

Die israelische Armee zerstörte indes nach eigenen Angaben bei ihrem Vorstoß in den Osten Rafahs Tunnel und andere militärische Einrichtungen. Bei Gefechten seien eine ungenannte Zahl von Gegnern getötet und im ganzen Gazastreifen mehr als 100 Ziele aus der Luft angegriffen worden.

Nach Krankenhausangaben aus Rafah sind binnen 24 Stunden mindestens 36 Palästinenser getötet worden. Israel hatte am Dienstag Panzer nach Rafah geschickt und die Kontrolle über den Grenzübergang zu Ägypten übernommen. Das Weiße Haus hatte zuvor erklärt, Israel habe zugesagt, dass es sich um eine „begrenzte Operation“ handle.

Israel will an Rafah-Offensive festhalten

In Rafah haben mehr als eine Million Menschen Zuflucht vor den Kämpfen zwischen Israels Armee und der Hamas gesucht. Die israelische Regierung hält trotz breiter internationaler Kritik an ihren Plänen für eine Bodenoffensive in Rafah fest. Sie bezeichnet die Stadt als letzte verbliebene Bastion der Hamas.

Allerdings gab es nach Angaben aus israelischen Regierungskreisen Gespräche zwischen Israel und den USA über eine Unterbrechung der israelischen Angriffe auf Rafah.

Wie die israelische Zeitung „Haaretz“ Dienstagabend meldete, soll nach Ende des israelischen Militäreinsatzes in Rafah ein privates US-Sicherheitsunternehmen die Verwaltung des Grenzübergangs in der Stadt nahe Ägypten übernehmen. Darauf hätten sich Israel, die USA und Ägypten geeinigt, berichtete das Blatt. Um welches Unternehmen es sich handeln soll, ist unklar. Israels Regierung wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Bericht äußern. Auch Kirby sagte, er wisse nichts davon.

Grenzübergang wieder für Hilfslieferungen geöffnet

Der Grenzübergang Kerem Schalom wurde indes nach mehrtägiger Schließung am Mittwoch wieder für Hilfslieferungen geöffnet. Er war am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas für humanitäre Transporte geschlossen worden. Trotz eines weiteren Raketenangriffs aus dem Gazastreifen am Dienstag seien nun wieder Lastwagen aus Ägypten mit humanitärer Hilfe am Übergang eingetroffen, teilte die israelische Armee mit.

Nach einer gründlichen Sicherheitsinspektion werde die Ausrüstung auf die Gaza-Seite des Grenzübergangs gebracht, so die Armee. Um wie viele Lastwagen es gehe, wurde nicht gesagt. Zudem würden Hilfsgüter auch über den Erez-Kontrollpunkt im Norden in das Küstengebiet gelangen. Nach Angaben der UNO vom Mittwochabend wurden bisher aber keine Hilfsgüter über den Grenzübergang Kerem Schalom geliefert.

Hungersnot im Gazastreifen

Westliche Partner Israels hatten die Regierung in Jerusalem dringend aufgefordert, den Übergang angesichts der katastrophalen Versorgungslage im Gazastreifen wieder zu öffnen. Das gelte auch für den Übergang Rafah vom Gazastreifen nach Ägypten, dessen palästinensischen Teil die israelische Armee in der Nacht auf Dienstag unter ihre Kontrolle gebracht hatte.

Nach mittlerweile sieben Monaten Krieg zwischen Israel und der Hamas ist die humanitäre Lage im Gazastreifen verheerend. Nach jüngsten Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) herrscht im Norden des Palästinensergebiets eine „Hungersnot, die sich immer weiter nach Süden ausbreitet“.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlug einmal mehr Alarm. Der israelische Militäreinsatz in Rafah habe eines der drei Krankenhäuser zur Schließung gezwungen. Es könne kein Benzin mehr für den Betrieb von Generatoren in Spitälern geliefert werden.

Verhandlungen in Kairo gehen weiter

Die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der Hamas-Geiseln gehen unterdessen weiter. Israel machte nach Angaben eines Regierungsvertreters keine Anzeichen für einen Durchbruch bei den indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen aus. Die israelische Delegation werde vorerst dennoch in Kairo bleiben. Sie habe die Anweisung, „fest auf den notwendigen Bedingungen“ zu bestehen, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen, sagte Netanjahu zuvor.

Laut Netanjahu hat die Hamas versucht, mit der Zustimmung zu einem neuen Verhandlungsvorschlag die israelische Offensive in Rafah zu torpedieren. Das aktuelle Angebot der Islamisten sei weit entfernt von den „notwendigen Anforderungen“ Israels. Dazu zähle auch die Gewährleistung der Sicherheit seines Landes.

Hamas-Vertreter hatten zuletzt am Wochenende in der ägyptischen Hauptstadt Kairo Gespräche mit Vermittlern aus Ägypten und Katar geführt. Israel war zunächst nicht in Kairo vertreten, der erhoffte Durchbruch blieb aus. Am Sonntag war die Hamas-Delegation wieder abgereist, am Montag erklärte die Hamas, dass sie dem Plan der Vermittlerstaaten Ägypten und Katar für eine Waffenruhe zugestimmt habe. Am Dienstag wollte sie nach Angaben des Hamas-Vertreters in Katars Hauptstadt Doha erneut aufbrechen, um die Verhandlungen in Kairo „abzuschließen“.