Filmstill aus „Wildlife“
Viennale

„Wildlife“: Ehekrach mit leisen Tönen

Ein junger Regisseur verfilmt das Buch eines alten Schriftstellers: Der 34-jährige Paul Dano hat sich Richard Fords „Wildlife“ aus dem Jahr 1990 angenommen. Sensibel beobachtet er durch die Augen des Sohnes die Krise der Eltern; Schauspielerkino auf höchstem Niveau mit Carey Mulligan, Jake Gyllenhaal und Ed Oxenbould.

Dano ist selbst Schauspieler, man kennt ihn aus Nebenrollen in Filmen wie „Little Miss Sunshine“ (2006) und „Twelve Years a Slave“ (2013). „Wildlife“, seinen ersten Film als Regisseur, hat er gemeinsam mit seiner Partnerin Zoe Kazan geschrieben, die ebenfalls Schauspielerin ist. Man sagt, dass Schauspielerinnen und Schauspieler bei ihrem ersten Film vom Regieplatz aus den Schauspielern besonders viel Platz einräumen.

Der Waldbrand

Das ist auch bei „Wildlife“ nicht anders. Die Rahmenhandlung des eineinhalbstündigen Films lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Jeannette and Jerry Brinson (Mulligan und Gyllenhaal) übersiedeln 1960 mit ihrem 14-jährigen Sohn Joe (Oxenbould) in ein Miethäuschen irgendwo in Montana. Schon nach zwei Wochen verliert Jerry seinen Job auf einem Golfplatz.

Jeannette reagiert zunächst verständnisvoll, aber als Jerry sich immer mehr in sein Unglück hineinsteigert und dann gegen ihren Willen auf einen gefährlichen Job als Feuerlöscher bei einem riesigen Waldbrand einlässt, der ihn monatelang von zu Hause fern hält, stellt sie, alleine mit Joe zu Hause zurückgelassen, ihre Ehe infrage. Ein anderer Mann taucht auf, sehr zum Missfallen von Joe. Als Jerry zurückkommt, folgt die unweigerliche Eskalation.

Viel zeigen, wo wenig zu sehen ist

Die einzelnen Szenen sind lang, und es gibt über weite Strecken nur wenig zu zeigen: Das Häuschen, der Vorgarten, eine fade Vorstadtsiedlung, brav gekleidete Vorstadtbewohner. Die eigentliche Geschichte spielt sich im „Dazwischen“ ab: Zwischen den Szenen, die die Handlung vorantreiben, zwischen den Zeilen der Dialoge, zwischen den Familienmitgliedern.

Filmhinweis

„Wildlife“ läuft auf der Viennale noch am 6.11. um 20.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.

Das Effektreportoire, um diese Geschichte sichtbar zu machen, schöpft die Filmfamilie aus, ohne jemals in Overacting-Verdacht zu kommen. Oxenboulds Blick etwa, mit dem er seine Eltern ansieht, wenn er mit ihnen spricht: Da ist Liebe zu sehen, aber auch Respekt, fast schon Angst – wie sie damals im Eltern-Kind-Verhältnis üblich war, und dazu Sorge darüber, was passiert und Sorge, ob man selbst auch alles richtig macht. So viel Emotion und Gedankenlast in einen einzigen Blick zu packen, kann nicht jeder: Von Oxenbould wird man noch viel hören.

Filmstill aus „Wildlife“
Viennale
Carey Mulligan als Mutter auf der Suche nach dem Glück

Trotz und schlechtes Gewissen

Ähnlich verhält es sich mit Mulligan in der Rolle der Mutter. Sie verheimlicht vor ihrem Sohn nicht, dass sie sich mit einem anderen Mann trifft. Mit einer Mischung aus Trotz und schlechtem Gewissen sucht sie in seinen Gesten und Blicken Absolution für ihr Verhalten, das sie selbst nicht ganz zu verstehen scheint. Gyllenhaal wiederum kämpft als Vater tollpatschig um das Aufrechterhalten seines Stolzes angesichts der Arbeitslosigkeit. Mit großen Augen schaut er auf die eigene Familie, als suche er seinen Platz darin, den er verloren hat.

Der Film ist für heutige Sehgewohnheiten langsam. Man muss sich für die Untiefen zwischenmenschlicher Beziehungen schon interessieren, um ihn nicht hin und wieder auch langatmig zu finden, trotz der atemberaubenden Darbietung der Schauspielerriege. Regisseur Deno interessiert sich dafür – er will noch weitere Filme über dysfunktionale Familien drehen. Man darf gespannt sein.