Um die Jahrhundertwende war Louise (auch Luise) Fleck alias Louise Kolm (während ihrer ersten Ehe) alias Aloisia Veltee (ihr Geburtsname) die erste Regisseurin Österreichs und die zweite Frau in dieser Funktion weltweit (nur die Französin Alice Guy-Blanchee stand schon etwas früher hinter der Kamera). Aber wie kam sie dazu, einen Beruf zu ergreifen, den es eigentlich noch nicht gab? Geboren wurde Louise am 1. August 1873 als Tochter des Wiener Stadt-Panoptikum-Gründers Louis Veltee und seiner adeligen Frau Nina.
Schon als Mädchen half sie an der Kassa des elterlichen Etablissements auf dem Wiener Kohlmarkt aus, in dem es neben Wachsfiguren berühmter Persönlichkeiten bald auch Stereoskopien und frühe Filme zu bestaunen gab. Im Jänner 1910 gründete sie mit ihrem ersten Ehemann, dem Fotografen Anton Kolm, sowie ihrem Bruder Claudius Veltee und Jakob Fleck die „Erste österreichische Kinofilms-Industrie“.
„Bis zum Jahr 1910 stellten die Kolms praktisch allein den österreichischen Film dar. Es gab ja noch keine anderen Spielfilme", beschreibt Buchautorin Uli Jürgens, die Kolm eine Biografie widmete, gegenüber ORF.at die damalige Situation. Die anderen Filme, die in den brandneuen Lichtspielhäusern gezeigt wurden, waren großteils Importe aus Frankreich „oder Filmchen für Herrenabende der Firma Saturn. Erst später betrat der große Konkurrent der Kolms, Baron Sascha Kolowrat, der Gründer der Sascha-Film, die Bühne.“
Hinweis
Die Viennale-Retrospektive „Der weibliche Blick“, kuratiert von Anna Dobringer und Nikolaus Wostry, findet von 27. Oktober bis 1. November statt. Die Filme werden im Metro-Kinokulturhaus vorgeführt.
Filmarchiv gräbt Schätze aus
Im Lauf ihres Lebens hat Louise Kolm-Fleck 150 bis 200 Filme als Regisseurin und Produzentin gedreht, von denen aber nur ein Auszug erhalten ist. Das Filmarchiv Austria hat sich für die erste Werkschau auf das Schaffen Flecks in der Spätphase des Stummfilms konzentriert. Dazu wurde international recherchiert – „vornehmlich in Frankreich, aber auch in Dänemark, der Schweiz und Deutschland“ habe man „verborgene Schätze“ gefunden, heißt es in der Vorschau des Filmarchivs.
Ehe mit der Koregie
Während Kolm-Fleck anfangs noch mit ihrem ersten Ehemann, Anton Kolm, drehte, zeigte sich bald, dass sie mit Firmenpartner Jakob Fleck ein besseres Team bildete. Und nach Kolms frühem Tod 1922 gaben sich die beiden auch privat das Jawort. Aber entwickelten diese beiden während ihrer Zusammenarbeit auch so eine eigene, künstlerische Handschrift? Jürgens räumt ein, dass sich im erhaltenen Oeuvre von Fleck/Kolm „keine Meisterwerke“ finden. Und doch hätten die beiden viel ausprobiert.
„Filmsprachlich waren sie noch stark im Theater verhaftet“, aber mit ihren Verfilmungen bekannter Volksautoren wie Ludwig Anzengruber, Franz Grillparzer und Artur Schnitzler hätten Kolm/Fleck „den Grundstock für den Heimatfilm gelegt“, jenes Genre, das in der Zeit des Nationalsozialismus und der Aufbauzeit der 1950er Jahre boomte wie kein anderes. Umso absurder ist dieser Zusammenhang, wenn man weiß, dass die letzte österreichische Regiearbeit des Paares, das Anzengruber-Melodram „Der Pfarrer von Kirchfeld“ (1937), von der Presse in der Luft zerrissen wurde, weil ein Großteil des Teams jüdische Wurzeln hatte.
Buchhinweis
Uli Jürgens: Louise, Licht und Schatten – Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck. Mandelbaum Verlag, 244 Seiten, 20 Euro.
Flucht nach Schanghai
Auch Jakob Fleck war Jude. Weil er die Gefahr unterschätzte, schlug er in den 1930er Jahren ein Angebot der Warner-Studios aus. Stattdessen konvertierte er zum katholischen Glauben und heiratete Louise noch einmal kirchlich. „Die beiden waren große Patrioten, die immer an Österreich geglaubt haben – sie wollten nicht weg. Jakob Fleck hat gedacht, diese Rassensache, die ist sicher nur vorübergehend.“
Und so gehörte Fleck zu den ersten, die ins Konzentrationslager Dachau gebracht wurden. Unter Einsatz aller Kräfte schaffte es Louise, ihren Mann von dort freizukaufen. Gemeinsam gelang ihnen die Flucht nach Schanghai. Und selbst dort stellte die nimmermüde, stets optimistische Kolm-Fleck mit ihrem Mann Jakob ein Filmprojekt auf die Beine: das in chinesischer Sprache gedrehte Drama „Shijie Er Nü / Kinder der Welt“ (1941).
Erfinderin des Heimatfilms
Von Schanghai kehrten die Flecks nach Wien zurück. Zu groß war die Liebe zu ihrer Stadt. Hier feierte mittlerweile der von den Nazis unterdrückte und nun von neuem gestartete Heimatfilm „Der Pfarrer von Kirchfeld“ gute Erfolge. Dennoch konnten die beiden Kinopioniere beruflich nicht mehr recht Fuß fassen. Vorbei war die Zeit, als im sonnendurchfluteten Dachatelier der „Wiener Kunstfilm-Industrie“ hinter dem Wiener Volkstheater Stars wie Neufeld und Haid ein- und ausgingen und wöchentlich „Sensationsfilme“, „Dramen“, „Komödien“ und „Aktualitäten“ abgekurbelt wurden.
Zumindest hatte Louise Kolm-Fleck ihre Liebe zum Kino an die beiden Söhne und die Enkel weitergegeben. Sohn Walter Kolm-Veltee, Kameramann und Regisseur, schaffte es mit seinem Beethoven-Drama „Eroica“ (1949) in den Wettbewerb von Cannes und gehörte 1951/52 zu den Gründungsmitgliedern der Wiener Filmakademie. Und Enkelin Monika Kolussi werkte als Cutterin im Wiener Filmkopierwerk Listo.