Beanie Feldstein als Molly und Kaitlyn Dever als Amy in Olivia Wildes Regiedebüt „Booksmart“
2019 ANNAPURNA PICTURES
„Booksmart“

Ohne Tabus durch die Nacht

Zwei Highschool-Streberinnen, die in einer Nacht nachholen wollen, was sie während ihrer ganzen Schulzeit verpasst haben – was nach einer abgedroschenen Teeniekomödie klingt, ist eine originelle weibliche Coming-of-Age-Geschichte und einer der lustigsten Filme des Jahres. Bei der Viennale darf jetzt schon gelacht werden, in die österreichischen Kinos kommt „Booksmart“ Mitte November.

Wenn eine Hollywood-Schauspielerin dem Mainstream den Rücken kehrt um mit einem vielversprechenden, jungen, weiblichen Ensemble eine smarte Coming-of-Age-Komödie zu drehen, so trifft sie damit wohl ziemlich genau den Geschmack von Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi. „Ein Film beeindruckt mich dann, wenn er nicht nur wegen seines Themas, sondern auch wegen seiner Filmsprache überrascht“, sagte diese nämlich im ORF-Interview, als sie das diesjährige Programm vorstellte. Und weiter: „Generell sind Frauen im Filmgeschäft immer noch unterrepräsentiert. Wir wollen eine Plattform bieten, um die derzeitige Situation, die nicht im Gleichgewicht ist, nach und nach zu verändern.“

„Booksmart“, das Regiedebüt von US-Schauspielerin Olivia Wilde, erfüllt alle Sangiorgi-Kriterien und noch mehr. Der Film ist klug, originell, divers, unterhaltsam und vor allem eines: lustig. Ein Feel-Good-Movie mit Tiefgang, das die Klischee-Fettnäpfchen anderer Teenagerfilme erfolgreich umschifft und die Prototypen des Genres als facettenreiche Charaktere darstellt.

Beanie Feldstein als Molly und Kaitlyn Dever als Amy in Olivia Wildes Regiedebüt „Booksmart“
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Frustrierend: Molly (Beanie Feldstein, l.) und Amy (Kaitlyn Dever) realisieren, dass sie all die Jahre auch Spaß hätten haben können

Partylust statt Lernfrust

Alles andere als eindimensional sind auch die Hauptfiguren des Films, Molly und Amy, die ihre Highschool-Zeit damit verbracht haben, so gewissenhaft zu lernen, dass ihnen ein Platz an den Eliteuniversitäten des Landes sicher ist. Zeit für Partys und andere Abenteuer war da nicht, aber egal, man will schließlich die jüngste US-Höchstrichterin aller Zeiten werden und nicht so enden wie die Freaks an der Schule, bei denen der Spaß immer vor dem Studieren kam.

Doch weit gefehlt. Durch Zufall erfahren Molly und Amy am Abend vor der Abschlussfeier, dass auch die Hipster und Partypeople ihres Jahrgangs einen Notendurchschnitt von 1,0 haben und in Harvard oder Yale angenommen wurden. War der ganze Aufwand und Verzicht der letzten Jahre also umsonst? Hektisch versuchen die Freundinnen nun, den über die Jahre versäumten Spaß in einer einzigen Nacht nachzuholen.

Billie Lourd stars as Gigi in Olivia Wilde’s directorial debut, BOOKSMART
2019 ANNAPURNA PICTURES
Billie Lourd, Tochter von „Star Wars“-Ikone Carrie Fisher, spielt die exaltierte, aber liebenswerte Gigi

Regisseurin Wilde hat für „Booksmart“ eine neue Generation von Schauspielerinnen vor die Kamera geholt, die es trotz ihrer Jugend schaffen, ihren Figuren viel mehr Komplexität zu verleihen, als man es in dem Genre bisher gewohnt war. Kaitlyn Dever, die Serienjunkies aus der sehenswerten Netflix-Produktion „Unbelievable“ kennen könnten, spielt Amy, eine selbstbewusste, schlagfertige Einserschülerin, deren Homosexualität zwar thematisiert, aber nicht diskutiert wird. Wie alle anderen rund herum versucht sie einfach nur, den hormongesteuerten Code des Erwachsenwerdens zu entschlüsseln. Beanie Feldstein, Schwester von Schauspieler und Regisseur Jonah Hill und bekannt als beste Freundin von Saoirse Ronan in „Lady Bird“, verkörpert die vorlaute, dominante Molly, die nichts anderes im Sinn hat, als ihren Vorbildern Michelle Obama und Ruth Bader Ginsberg nachzueifern.

Alptraum mit Barbie-Puppen

Es ist gleichzeitig vergnüglich und rührend, den beiden jungen Frauen dabei zuzuschauen, wie sie auf der Suche nach der coolsten Party der Stadt Dinge erleben, die man nicht aus Büchern lernen kann. Herausragend etwa die (animierte) Szene, in der sie sich im Drogenrausch in Barbie-Versionen von sich selbst verwandeln, wohl der Alptraum eines jeden feministischen Mädchens.

So erfrischend es ist, zwei weibliche Hauptfiguren bei ihren nerdigen Ritualen, politischen Debatten und offenen Gesprächen über Sex zu begleiten, so originell sind die restlichen Figuren, die den Film bevölkern. Manche davon scheinen altbekannt, bekommen durch Wildes Handschrift aber ungewöhnliche, ja unvorhersehbare Eigenschaften. Gigi, das reiche, wilde Mädchen, das gleichzeitig verletzlich und nett ist, der alberne Partyjunge mit Potenzial, die coole, junge Lehrerin oder der durchgeknallte Schuldirektor mit Nebenjob. Hier gibt es kein Schwarz-Weiß, kein Gut und Böse, keine einseitige Perspektive.

Filmhinweis

„Booksmart“ wird auf der Viennale noch am 31.10. um 15.30 Uhr und am 5.11. um 6.30 Uhr als Ö1-Frühstücksfilm im Gartenbaukino gezeigt.

Der Film startet am 14.11.2019 in den österreichischen Kinos.

So witzig sind sie

Die von Filmkritikerinnen initiierte Website Cherry Picks, die sich für Geschlechtergerechtigkeit im Bereich der Filmkritik einsetzt, vergibt einen Wert von 87 Prozent und verleiht dem Film das Prädikat „sehenswert“. Insgesamt überzeugt „Booksmart“, weil er die Komplexität einer Frauenfreundschaft auf den Punkt bringt und einen durch sein Feuerwerk an intelligenten Gags zum laut Lachen bringt. Irgendwann zu Beginn sagt Molly zu Amy: „Niemand weiß, wie witzig wir sind.“ Das sollte sich bis zum Ende des Films geändert haben, so viel ist sicher.