Szene aus Honeyland
Viennale
„Honeyland“

Wo die Hüterin der Bienen herrscht

Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Honeyland“ entführt das Viennale-Publikum in einen der entlegensten Winkel Europas und zeigt das Leben einer starken Frau im Einklang mit ihren Bienen. Voller Wärme und Humor und mit außerordentlich schönen Bildern ist der Film eine Parabel über die drohende Zerstörung der fragilen Beziehung zwischen Mensch und Natur.

Wer hätte gedacht, dass sich eine der bemerkenswertesten Dokus der diesjährigen Viennale ausgerechnet auf eine abgelegene Bergregion tief im Balkan konzentriert, auf ein mazedonisches Dorf ohne Straßen, Strom und fließendes Wasser? Dort lebt Hatidze Muratova, die letzte in einer langen Reihe von Wildbienenzüchterinnen, die ihren Lebensunterhalt durch das Sammeln wilden Honigs verdient, den sie in der nächsten Stadt in kleinen Portionen verkauft.

Hatidze muss nicht nur sich selbst, sondern auch ihre 85-jährige kranke Mutter mit dem Erlös versorgen, doch die beiden kommen in ihrem eingespielten Alltag gut zurecht. Furchtlos und routiniert hantiert die 55-jährige Imkerin mit den Bienenstöcken, wobei eine einfache, aber grundlegende Regel gilt: Man nehme die Hälfte des Honigs und überlasse die andere Hälfte den Bienen.

Szene aus Honeyland
Viennale
Hatidze lebt mit ihrer kranken Mutter in einer Hütte ohne Strom und fließend Wasser

Trotz minimaler Schutzausrüstung scheint Hatidze niemals gestochen zu werden. Merken die Bienen, mit wieviel Respekt sie sie behandelt? Hören sie die Lieder, die sie leise singt, während sie ihre Arbeit macht?

Die unglaublichsten Bilder einfangen

Hatidze lebt in den Ruinen eines Bauerndorfes, einige Stunden von der Hauptstadt Skopje entfernt. Sie ist eine Frau mit unfassbarer Lebenskraft und trockenem Humor. In der Eröffnungssequenz des Films steigt sie in die Berge, die ihr Zuhause umgeben – die Kamera schweift über die Weite des Landes – und greift in die Felsspalte, wo eine Honigbienenkolonie lebt, direkt am Abgrund, wo Hunderte Bienen herumschwirren. Zum ersten Mal in „Honeyland“ (Originaltitel: „Medena Zemja“) fragt man sich: Wie haben die Kameraleute diese Szene eingefangen? Und es sollen noch viele weitere solcher Momente folgen.

Die Filmcrew rund um die Regisseure Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov begleitete die Imkerin über drei Jahre lang mit leichter, unauffälliger Ausrüstung, ohne den türkischen Bergdialekt, der in der Gegend gesprochen wird, zu verstehen. Während dieser Zeit wird Hatidzes friedliches Dasein durch die Ankunft einer wandernden Familie mit ihren sieben wild lebenden Kindern und einer Rinderherde auf den Kopf gestellt.

Szene aus Honeyland
Viennale
Die neuen Nachbarn freunden sich an

Als die laute Familie mit ihren Tieren und mehreren Fahrzeugen und Anhängern in verschiedenen baufälligen Zuständen auftaucht und sich direkt neben ihrem Haus ausbreitet, ist Hatidze zunächst skeptisch, freundet sich aber mit ihrer unvergleichlichen Art zuerst mit den Kindern und später auch mit den Eltern an. Der neuen Situation tritt Hatidze mit Offenheit und Neugier entgegen und gibt den neuen Nachbarn die Chance, sich einzuleben. Doch plötzlich beschließen diese, selbst in die Imkereibranche einzusteigen.

Filmhinweis

„Honeyland“ wird bei der Viennale noch am 6. November um 13.00 Uhr in der Urania gezeigt.

Der Film kommt 2020 in die heimischen Kinos.

Ein Geschenk zum Nachdenken

„Honeyland“ wurde beim Sundance Film Festival 2019 mit drei Preisen ausgezeichnet, darunter der World Cinema Documentary Grand Jury Prize. Die mazedonischen Filmemacher Kotevska und Stefanov zeigen darin nicht nur atemberaubende Bilder einer Mensch-Natur-Symbiose, die man hierzulande nicht mehr kennt, sondern fesseln auch mit einer geschickt erzählten Geschichte, die sowohl spannend als auch tief berührend ist.

Es gibt keine Erzählstimme, nur Hatidze, die mit ihrer Mutter, dem Hund und manchmal in Richtung Kamera spricht. Trotz seiner humorvollen Wärme ist dieser Film letzlich eine Parabel über die fatale Ausbeutung der Natur durch den Menschen. Ein Geschenk zum Nachdenken an die westliche Welt und ein Must-See für alle, die sich auf ein spektakuläres Naturschauspiel im wahrsten Sinne des Wortes einlassen wollen.