Filmstill aus „The Lighthouse“
A24 Films
„The Lighthouse“

Wahnsinn zwischen Sturm und Blähungen

Ein Leuchtturm, abgeschottet vom Rest der Welt, lotst Schiffe in Sicherheit – und seine Wärter in die Irre: Robert Eggers’ „The Lighthouse“ ist ein düsteres Schwarz-Weiß-Spektakel, das sich irgendwo zwischen „Dracula“ und „The Hangover“ bewegt. Denn während der Horror an den Protagonisten nagt, ist der Alltag der Leuchtturmwärter vor allem von Suff und Blähungen gezeichnet.

Einen Job anzugehen, bei dem man den eigenen Vorgesetzten im Vorfeld nicht kennt, ist ein riskantes Unterfangen – umso mehr, wenn man dem nunmehrigen Chef erst auf einer einsamen Insel begegnet und frühestens in vier Wochen wieder von einem Schiff abgeholt wird. Neo-Leuchtturmwärter Ephraim Winslow (Robert Pattinson) lässt sich davon jedoch nicht entmutigen: Sein Leben auf dem Festland lässt er hinter sich. Ausgerüstet mit Wissen aus dem Leitfaden der Leuchtturmwärter freut er sich stattdessen auf das gute Gehalt und die Aussicht darauf, dem mysteriös in der Ferne leuchtenden Licht näher zu kommen.

Thomas Wake (Willem Dafoe), eine Erscheinung zwischen Kapitän Ahab aus „Moby Dick“ und Käpt’n Iglo, setzt den Hoffnungen seines Praktikanten aber ein jähes Ende. Die Wartung des Lichts ist Chefsache – Winslow wird stattdessen damit beauftragt, Ölfässer zu hieven, das Dach zu reparieren und das bescheidene Wärterdomizil zu putzen. Dass „Wickies“, so werden die Leuchtturmwärter genannt, in ihrer Zeit auf der Insel eigentlich nichts trinken dürfen, kümmert den alten Wake wenig – und sein Quasiuntergebener bekommt das Stamperl vor dem Schlafengehen praktisch verordnet.

Filmstill aus „The Lighthouse“
A24 Films
Thomas Wake (Willem Dafoe) ist wenig begeistert über den Neuankömmling

Ein äußerst seltsames Paar in Stummfilmoptik

Wenn Pattinson und Dafoe gemeinsam in der kleinen Hütte sind, dann erinnert das irgendwie an „Ein seltsames Paar“: Auf der einen Seite der scheinbar anständige, junge Winslow, auf der anderen der schrullige alte Wake, dessen Blähungen den Neuling vom Schlaf abhalten. Je mehr Alkohol fließt, desto derber wird das Zusammenleben auf engstem Raum.

Dabei ist vor allem Dafoe mit seiner Rolle komplett verwachsen – sei es Mimik, Gestik oder Sprache. Diese, angepasst an die USA der Jahrhundertwende und an ein Leben einen Steinwurf von der Zivilisation entfernt, ist über weite Strecken praktisch unverständlich.

Doch das spielt bei Eggers’ Film ohnehin keine Rolle, denn „The Lighthouse“ würde genauso gut ohne Ton funktionieren. Der Regisseur orientiert sich in seinem neuen Werk stark am Film der späten 1920er. Das zeigt sich an unzähligen Einstellungen, die im heutigen Kino nicht mehr zu finden sind, an dem oft starren Aufbau der Szenen und daran, wie Eggers sich seinen Motiven nähert. Hinzu kommt das archaische Bildformat: Das Verhältnis 1.19:1 – das „Movietone“-Format – wurde im frühen Tonfilm verwendet und ist beinahe quadratisch.

Filmstill aus „The Lighthouse“
A24 Films
Auf der einsamen Insel wird vor allem viel getrunken

Von Meerjungfrauen und Mördermöwen

Im Kontrast zu zahlreichen fast klamaukhaften Szenen weiß Eggers aber auch mit Horror umzugehen: Denn irgendwas, so zumindest der erste Eindruck, stimmt auf der Insel nicht. In einem Dialog wird erklärt, dass Winslows Vorgänger starb – und auch der Neuling leidet offenbar unter der Insel. Mörderische Möwen, blutiges Wasser und eine Meerjungfrau nagen an der Verfassung des Wärters. Ein aufziehender Sturm verschärft die Situation. Und auch dem Licht des Leuchtturms selbst kommt eine wesentliche Rolle zu.

Eggers inszeniert die Angst Winslows als Schattenspiel, unterstützt von den technischen Einschränkungen, die die Produktionsweise mit sich bringt. Optisch bleibt so stets ungewiss, was sich nun wirklich zuträgt und was die auf die Leinwand gebrachte Innenwelt der Protagonisten ist. Unklar ist damit auch, ob Eggers überhaupt ins Fantastische abgleitet – für die Schaurigkeit spielt das freilich keine Rolle.

Filmhinweis

„The Lighthouse“ wird im Rahmen der Viennale noch am 5. November um 23.00 Uhr im Wiener Gartenbaukino gezeigt.

Der Film startet am 28.11. in den österreichischen Kinos.

Ein leuchtender Alptraum

Nach dem knapp zweistündigen Saufgelage bleibt damit auch die Frage, worum es in „The Lighthouse“ eigentlich gegangen ist – denn die greifbare Handlung des Films beschränkt sich auf einen Bruchteil der Gesamtlänge, der titelgebende Leuchtturm bleibt ein Mysterium. Vielmehr wirkt der Film über weite Strecken wie ein „Slice of Life“-Film ohne feste Erzählstruktur – nur eben ohne obligatorischen Herzschmerz, dafür mit zermürbendem Wahn, hervorgerufen durch die konstante Isolation – gemäß dem Motto „So furchtbar ist das Leben am Meer“.

Wenn man „The Lighthouse“ also nicht als klassischen Horrorfilm betrachtet, funktioniert schließlich die Mischung aus bizarren Szenen, die durch das gelungene Zusammenspiel von Pattinson und Dafoe aufgehen, und dem Horrorelement, das vor allem aus der Bildebene heraus entsteht, sehr gut. Eggers’ Film ist ungewöhnlich und in seiner Form seit knapp einem Jahrhundert von der Leinwand verschwunden – in Zeiten des formelhaften Blockbusters eine erfrischende Abwechslung.