Marschall, Jahrgang 1974, ist Kulturanthropologe, Kameramann und Dokuregisseur an der Schnittstelle zwischen Kunst, Film und Wissenschaft. Nun hat er sich dem Spielfilm zugewandt. Beglückenderweise, darf man sagen, denn „Ordinary Creatures“ hat viel von der Lässigkeit und popkulturellen Anmut von Independent-Filmen in den 70er Jahren, wo formale Anarchie (nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit), noch ein Hauch von Nouvelle Vague und die Debattierwut der Sponti-Szenen von Paris über Wien bis Rom aufeinandertrafen.
Formal ist „Ordinary Creatures“ ein Roadmovie entlang der tschechisch-österreichischen Grenze – und gleichzeitig ein Film, der ohne verbindliche Orte auskommt, eine ortlose Geschichte im eigentlichen Sinne, die irgendwo, einem Märchen gleich, in einer waldigen Landschaft mit ein paar Kleinstädten drinnen spielt, gleichsam die filmische Umsetzung von Donald Trumps Bild von Österreich („Waldstädte“).

Filmhinweis
„Ordinary Creatures“ läuft bei der Viennale am 26. Oktober um 20.45 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus und am 31. Oktober um 18.00 Uhr im Le Studio.
- Ordinary Creatures (Viennale)
Herrlich verspult
Ein Paar fährt, diskutiert wild herum, ein Hund kommt zu Tode. Der Hundebesitzer folgt den beiden fortan mit dem Plan, sich blutig zu rächen. Seine Verfolgung bildet den dramaturgischen Bogen. Das Paar fährt weiter, hat wilden Sex im Wald und Auto, diskutiert existenzielle Fragen von Familienzugehörigkeit, Religion, Kinderkriegen. Das lässt sie nicht kalt – und auch nicht das Kinopublikum: Der Film ist eine emotionale Achterbahn, er ist sinnlich, farbgewaltig und insgesamt bildgewaltig – der alte, rote Kombi im sattgrünen Wald ist ein permanenter Eyecatcher.
Die Konversationen des Paares sind herrlich verspult, mal gescheit, mal blöd, mal emotionsgeladen. Die beiden eint eine große Liebe – aber eine Liebe mit vielen Fragezeichen, die stellvertretend für gesellschaftliche Verwerfungen der heutigen Zeit sind. Was ist progressiv? Was konservativ? Musik und Ton verstärken die sinnliche Ebene.
Die ganz normalen Kleintierchen
Der Rhythmus der Schnitte treibt durch den Film, ganz so, wie das sein soll, aber allzu oft nicht funktioniert. Auch hier werden alle Möglichkeiten des Kinos ausgeschöpft, wie beim ebenfalls auf der Viennale gezeigten „The Trouble With Being Born“. Denn die Geschichte wird auf einer ganz eigenen, zweiten Ebene auch visuell erzählt. Hier kommen die Kleintiere ins Spiel, die titelgebenden „Ordinary Creatures“. Eine Empfehlung.