Filmstill aus „Truffle Hunters“
Viennale
Abschluss vor Lockdown

Viennale-Jahrgang für Trüffelsucher

Die Abschlussgala der Viennale am Sonntagabend war die letzte große Veranstaltung vor dem Lockdown – freilich unter strenger Einhaltung aller Sicherheitsbestimmungen. Der Wiener Filmpreis wurde heuer an Hubert Sauper für „Epicentro verliehen“. Und mit „The Truffle Hunters“ fand Eva Sangiorgi einen herbstlichen Abschlussfilm für ein Festival, das trotz Krise ein voller Erfolg war.

Am Ende wird alles gut. Zumindest für die Viennale gilt das, die rechtzeitig vor dem Lockdown in die Zielgerade eingebogen war. Trotz der um drei Tage verkürzten Dauer und der massiven Verringerung der Sitzplatzkapazitäten konnte das Festival 42.000 Besucherinnen und Besucher begrüßen. Das entspricht einer beachtlichen Auslastung von 74 Prozent. Sangiorgi zeigte sich erfreut: „Noch vor ein paar Wochen konnten wir nicht absehen, wie die Filmfreundinnen dieser Stadt unser Angebot in Zeiten der Pandemie annehmen würden. Ich bin überwältigt von der Reaktion des Publikums, sie übertrifft meine Erwartungen bei weitem.“

Im Rahmen der Abschlussgala wurde auch der Wiener Filmpreis verliehen. In der Jury saßen Rapperin und Poetry-Slammerin Yasmo, ORF-Journalistin Renata Schmidtkunz sowie Kira Kirsch, künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin von brut Wien. Als bester österreichischer Film wurde Saupers „Epicentro“ (vom ORF ko-finanziert) ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Hubert Sauper ist es in gleichermaßen poetischer wie politisch-analytischer Art gelungen, uns Begegnungen mit Menschen, im Besonderen mit Kindern der kubanischen Hauptstadt Havanna zu ermöglichen. (..)“

Filmstill aus „Epicentro“
Viennale
Hubert Saupers filmisches Porträt der Kinder von Havanna

Moral im Roboterzeitalter

Der Spezialpreis der Jury ging an Sandra Wollner für „The Trouble With Being Born“ (ebenfalls vom ORF ko-finanziert). Wollner, so die Jury, nehme „in ästhetisch äußerst gelungener Art ein Thema auf, das unsere Gesellschaften in den nächsten Jahrzehnten sehr beschäftigen wird. Der Mensch erschafft sich in Form von Androiden Projektionsflächen, die alle Wünsche erfüllen und jenseits der Menschenrechte existieren. Die bisher gültigen moralischen Übereinkünfte werden obsolet.“

Der Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik ging an „Zabij to i Wyjedz z Tego Miasta“ des Polen Mariusz Wilczynski, der Viennale-Preis der „Standard“-Leserjury ging an Yelene Olaizola für „Selva Tragica“ (Mexiko/Frankreich/Kolumbien) und der Erste Bank Mehrwert Filmpreis ging an Georg Tiller und Maeva Ranaivojoaona für „Zaho Zay“ (Österreich/Frankreich/Madagaskar) und an Pavel Cuzuioc (Österreich) für „Bitte Warten“.

Filmstill aus „Truffle Hunters“
Viennale
Die Trüffelsucher Charlie und Birba – es ist lebenslange Liebe

Herbst im Piemont

Viennale-Chefin Sangiorgi jedenfalls hat mit dem Abschlussfilm eine Trüffel gefunden: „The Truffle Hunters“ ist eine amerikanische Doku, die alte Männer mit ihren Trüffelspürhunden durch piemontesische Wälder begleitet. Der Film ist ein wohliger Dokumentarfilm, der von der Herkunft einer der teuersten Zutaten der Welt erzählt, der weißen Albatrüffel. Die stammt nämlich in höchster Qualität aus den Wäldern des Piemont, und wird dort von erfahrenen Männern mit ihren Spürhunden gefunden.

Jeder hat seine eigenen Geheimplatzerl, die unter keinen Umständen verraten werden. Bei einem Kilopreis, der bei Versteigerungen schon einmal weit über 70.000 Euro gehen kann, ist keine Überraschung, dass da dann allerdings auch finstere Gestalten mitmischen wollen: Immer wieder werden vergiftete Köder gefunden, für die Hunde lebensbedrohlich. Und der 87-jährige Charlie hat nicht nur einmal für seine heißgeliebte Hündin Birba absurde Summen geboten bekommen. „Aber dann hab ich dem gesagt: Würden Sie mir Ihr Kind verkaufen?“

Eindimensional, aber liebevoll

Wer die Trüffelsuche nicht aus Spaß oder aus Liebe zum Hund betreibt, ist es nicht wert, das macht „The Truffle Hunters“ deutlich. Die Doku unter der Regie von Michael Dweck und Gregory Kershaw wurde produziert von Luca Guadanigno („Call Me By Your Name“), dem momentanen Liebling italophiler amerikanischer Cineastinnen und Cineasten.

Der amerikanische Blickwinkel ist liebevoll, dabei aber auch etwas eindimensional – wäre das hier ein italienischer Dokumentarfilm, ginge er möglicherweise viel strenger ins Gericht mit der Folklore, die rund um die Trüffelsuche betrieben wird, und würde auch die Klassenfrage stellen.

Filmhinweis

„The Truffle Hunters“ läuft als Abschlussfilm in allen Viennalekinos: um 19.00 Uhr im Gartenbaukino , um 20.30 Uhr im Filmcasino, im Votiv, im Le Studio, im Blickle Kino und um 20.30 Uhr im Admiralkino, um 21.00 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus, in der Urania, dem Metro und im Filmmuseum. Der österreichische Kinostart ist für Frühling 2021 geplant.

Hundsein im Wald

Dweck und Kershaw inszenieren die Trüffeljäger herzig-schrullig, mit dem Lieblingshund gemeinsam in der Badewanne vor rosa Fliesen etwa, oder vor der hantigen Ehegattin aus dem Schlafzimmerfenster entfliehend, weil die das nächtliche Waldspazieren aufgrund der Verletzungsgefahr verboten hat. Die Bösewichter in diesem Idyll bleiben unsichtbar. Zwar wird der ritualisierte Kult um den Tuber Alba in seiner vollen Absurdität vorgeführt, die geldigen Käuferinnen und Käufer und die wahren großen Profiteure bleiben aber außerhalb des Bildes.

Ein Film wie dieser facht eher das Trüffelgeschäft als eine kritische Auseinandersetzung damit an. Stattdessen bekommt ein Hund eine Kamera umgeschnallt und fetzt quer durch den Wald drauflos, was zu einem grandios unmittelbaren Lusterlebnis führt, was das Hundsein im Wald betrifft.

Mit Tier durch die Krise

Die Doku ist nicht der einzige Film in diesem Viennale-Jahrgang, in dem Tiere eine große Rolle spielen, da waren etwa auch Viktor Kosakovskiys „Gunda“, in dem unter anderem das Leben eines Hausschweins im Zentrum steht (und der auch irgendwann 2021 ins Kino kommen soll) und „First Cow“ von Kelly Reichardt, in dem eine Milchkuh neuen Wind in eine Frontier-Siedlung bringt.

Diese Filme erinnern ganz einfach und eindringlich daran, wie sehr Tiere Mitgeschöpfe und Wesen mit einem eigenständigen Lebensrecht und einem Bewusstsein sind, so anders als das menschliche es auch sein mag. Und auch damit ist „The Truffle Hunters“ ein wundervoller Abschlussfilm des Festivals in diesem Seuchenjahr, weil er zugleich womöglich auch ein Film ist, der in eine kinolose Zeit entlässt, in der für so manche das vierbeinige Mitgeschöpf an der Seite ein besonderer Trost ist.