Szene aus „Beatrix“, Milena Czernovsky, Lilith Kraxner, Österreich 2021, V’21 Features
Viennale
„Beatrix“

Wenn die Welt still steht

Der österreichische Spielfilm „Beatrix“ des Regieduos Milena Czernovsky und Lilith Kraxner handelt von einer jungen Frau, die – zurückgeworfen auf sich selbst – einige Zeit in einem leerstehenden Haus verbringt. Die Reduktion des Films auf Alltägliches bringt auf eindrückliche Weise die Komplexität des Seins auf den Punkt und entführt in eine komplett entschleunigte Welt.

Kaugummi kauend streift Beatrix (Eva Sommer) durch ein verlassenes Haus mit Garten – der Schauplatz des gesamten Films. Das Haus von Frida, wie später im Film klar wird. Doch diese Information ist eigentlich unwichtig, denn wer Frida und wer überhaupt Beatrix ist, das bleibt unklar, wie so vieles in dem Film. Daten und Fakten sind rar und auch belanglos, denn stattdessen offenbart sich den Zusehenden etwas anderes, etwas Intimeres, viel Interessanteres.

Man sieht Beatrix beim Zähneputzen, Kochen, Essen, Schlafen, Duschen, Fernsehen. Man schaut mit ihr gemeinsam ins Backrohr und wartet, bis das Essen fertig ist. Meist in T-Shirt und Unterhose gekleidet – so verbringt sie einige Sommertage. Oder sind es Wochen? Die Zeit scheint jedenfalls unendlich lang – fast schon unerträglich lang.

Szene aus „Beatrix“, Milena Czernovsky, Lilith Kraxner, Österreich 2021, V’21 Features
Viennale
Man beobachtet Beatrix beim Zähneputzen und anderen alltäglichen Dingen

Die Einsamkeit wird durchbrochen durch seltene Telefongespräche. Wortkarg spricht Beatrix mit ihren Eltern, mit einer Freundin. Die Freundin (Katharina Farnleitner) kommt kurz darauf zu Besuch, doch nicht allein, sondern überraschend in Begleitung ihres Freundes (Stanislaus Dick). Beatrix ist davon nicht sehr angetan. Das lässt sie den unerwünschten Gast auch während des gesamten Abendessens spüren – mit Erfolg. Er zieht nach dem Essen ab und der Abend endet ausgelassen im Rotweinrausch. Am nächsten Morgen sitzt Beatrix wieder allein am Tisch – enttäuscht, die Freundin muss los, keine Zeit für ein gemeinsames Frühstück.

Zwischen Erwartung und Enttäuschung

Ein weiterer Besucher (Silvester von Hößlin) kommt ins Haus, dieses Mal ist es Beatrix‘ Gspusi. Sie hat sich und das Wohnzimmer zurecht gemacht, doch nun sitzt sie versteinert neben ihm, wehrt seine vorsichtigen Annäherungsversuche ab. Nicht die einzige Stelle im Film, bei der man irritiert zurückgelassen wird.

Das Wechselspiel von Erwartung und Enttäuschung prägen Beatrix‘ Gefühlswelt, Annäherung und Distanz ihr Verhalten. Sie wirkt planlos, suchend, aber nicht ruhelos. Und sie sehnt sich nach Gesellschaft. Denn Beatrix ist nicht mehr allein in dem Haus, Geräusche kommen aus der Küche, sie hat nun eine Mitbewohnerin (Marthe de Crouy-Chanel). Man grüßt sich, mehr nicht. Doch Beatrix will mehr – man merkt es an ihren Blicken, an ihren Versuchen, ein Gespräch zu beginnen. Das Eis schmilzt langsam. Letztendlich ist es das gute alte Stamperl Schnaps, das es zum Einsturz bringt. Hoffentlich geht Beatrix nicht unter.

Szene aus „Beatrix“, Milena Czernovsky, Lilith Kraxner, Österreich 2021, V’21 Features
Viennale
Beatrix zelebriert die Kunst des Nichtstuns

Sein im Hier und Jetzt

Mit „Beatrix“ laden die beiden Regisseurinnen Milena Czernovsky und Lilith Kraxner zu einer entschleunigten Wahrnehmung ein und schärfen den Blick für das Alltägliche, das zuweilen so banal wirkt. Handgriffe, die jeder Mensch unzählige Male macht, so unscheinbar, dass sie fast nicht der Rede wert sind, werden ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Der Film gibt sich vollkommen dem Sein einer Frau im Hier und Jetzt hin, Parallelen zu Marlen Haushofers „Die Wand“ sind erkennbar.

In Zeiten von Gesellschaftstrends wie Meditation, Achtsamkeitstrainings und „Niksen“ (Nichtstun) greift der Film ein Lebensgefühl auf, das sich in einem ambivalenten Spannungsverhältnis wiederfindet: Einerseits in dem Bedürfnis nach Stille und dem Erfassen des Moments, andererseits in Einsamkeit, Langeweile und der Sehnsucht nach Gesellschaft. Inspiriert von Ingeborg Bachmanns Erzählung „Probleme Probleme“ entzieht sich die Protagonistin der Gesellschaft, in der sie nicht so recht ihren Platz findet.

Filmhinweis

„Beatrix“ ist im Rahmen der Viennale am 24.10. um 21.00 Uhr und am 30.10. um 16.00 Uhr im Metro Kino zu sehen.

Die Intensität des Banalen

Die spezielle Kameraperspektive, die oftmals das scheinbar Nebensächliche in den Fokus nimmt, ist ein zentrales Charakteristikum des im 16mm-Format gedrehten Films. Kamerafrau Antonia de la Luz Kasik verwehrt den Zusehenden manche Beobachtungen, die sich am Rande oder außerhalb des erfassten Blickfelds ereignen, und die so teilweise nur zu erahnen sind. Oftmals verweilt die Kameraeinstellung in ihrer Position – egal ob Bewegung im Bild stattfindet oder nicht, egal ob die Protagonistin den Bildausschnitt verlässt und dann wieder auftaucht. Es bleibt Zeit, um Details zu erkennen; etwa die Struktur der Bodenfliesen, auf denen Beatrix rauchend liegt. Die reine Geräuschkulisse bietet in den gesamten 95 Minuten keinerlei Ablenkung, ganz im Gegenteil – sie entlockt dem Visuellen noch ein Stück weit mehr Intimität.

Kann „Beatrix“ als eine Art Selbstfindungsversuch einer jungen Frau gesehen werden? Der Ausbruch aus der gewohnten Umgebung und das Zurückgeworfensein auf sich selbst scheinen jedenfalls eine ideale Voraussetzung dafür zu bieten.