Szene aus dem Film „Land of Dreams“
Viennale
„Land of Dreams“

Nachrichten aus der Traumbehörde

Eine junge Frau mit iranischen Wurzeln lässt sich amerikanische Träume erzählen, so kann man die Handlung von „Land of Dreams“ zusammenfassen. Shirin Neshats jüngster Film ist ein metaphorisches Statement zur amerikanischen Politik während der Jahre der Präsidentschaft Donald Trumps.

„Was haben Sie letzte Nacht geträumt?“ Die Frage stellt eine junge Frau, professionelles Lächeln, dunkle Haare, Clipboard in der Hand, sitzend auf einem Wohnzimmersofa. Simin (gespielt von „A Girl Walks Home at Night“-Star Sheila Vand) ist Angestellte des amerikanischen Volkszählungsbüros und hat die Aufgabe, die Familienverhältnisse und vor allem die Träume der Amerikanerinnen und Amerikaner aufzuzeichnen. Die Regierung will das Volk, seine Ängste und Fantasien genauer kennenlernen. Doch wozu?

Die Szene aus dem jüngsten Film der iranischstämmigen Regisseurin Neshat spielt irgendwann in der nahen Zukunft. In mehreren Episoden wird die ebenfalls aus dem Iran stammende Simin in Privathäuser geschickt, in eine iranische Diaspora-Siedlung, sie begegnet dort gesprächigen Menschen (unter anderem Isabella Rosselini), wird abgewiesen, zu Familienessen eingeladen, wird Zeugin pseudoreligiöser Rituale, bedroht und umworben.

Surreale Untertöne

Als Beschützer auf ihrer merkwürdigen Mission bekommt sie von der Behörde einen cowboyhaften Polizisten namens Alan (Matt Dillon) zur Seite gestellt, der Motorrad fährt und nicht klischeehafter amerikanisch sein könnte. Und der schüchterne junge Mark (William Moseley) stellt ihr zaghaft nach.

Die traumartig anmutende Handlung des Spielfilms ist aus einem gleichnamigen Werkzyklus aus Fotografien und Videos entstanden, den Film hat Neshat mit ihrem langjährigen Kreativpartner Shoja Azari („Women without Men“) gemacht. Am Filmdrehbuch hat der inzwischen verstorbene Bunuel-Weggefährte Jean-Claude Carriere entscheidend mitgearbeitet, was sich weniger in der schwebenden Qualität der Erzählweise als in den vielen surrealen Momenten niederschlägt.

Dillon, der sich gegenüber ORF.at als großer Fan von Neshats Kurzfilmen bezeichnet, sagt zum Drehbuch: „Die Figur, die ich spiele, wurde von Jean-Claude Carriere geschaffen, ebenso wie Mark, den William Moseley spielt.“ Die Zusammenarbeit mit Carriere sei fruchtbar gewesen, berichtet auch Neshat: „Er mochte meine Idee, dass eine Iranerin die Träume von Amerikanern sammelt.“

Alan und Mark repräsentieren nach Carrieres Überlegung zwei gegensätzliche Teile der amerikanischen Identität, so Neshat: „Alan als dieser Supermacho, der arrogante, überhebliche Alleswisser, ein John Wayne auf dem Motorrad, und Mark als dieser supernaive romantische moderne Hippie.“

„Was hält mich denn zurück?“

Simin, die offenbar ein Alter Ego der Regisseurin ist, bleibt zwischen diesen beiden Seiten der amerikanischen Identität gefangen, so Neshat, die nach eigener Aussage „sehr metaphorisch“ arbeitet. Der Film arbeitet intensiv mit Ängsten, dem Unausgesprochenen, handelt von Rassismus und Fremdenhass. Es ist das erste Mal, dass Neshat sich mit den USA in einem Kinofilm befasst, im Grunde ist „Land of Dreams“ ein Produkt der Trump-Jahre, „vielleicht sogar zu offensichtlich.“

Szene aus dem Film „Land of Dreams“
Viennale
Simin (Sheila Vand) unterwegs durch die Wüste New Mexicos

„Trump war derjenige, der den Muslim Ban eingesetzt hat, er wollte die Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen, und dann gab es all diese konservativen Republikaner, die davon geredet haben, Amerika zu reinigen und Einwanderung zu stoppen“, so Neshat. Das habe großen Zorn unter den Minderheiten ausgelöst, Feindseligkeit und Rassismus haben in allen Lebensbereichen enorm zugenommen, auch Neshat, die seit Mitte der 70er Jahre in den USA lebt, hat erstmals Rassismus gegen sich selbst erlebt.

Dabei lebt Neshat inzwischen schon länger in den USA, als sie je im Iran gelebt hat: „Ich dachte mir, Moment einmal, ich erhebe meine Stimme, wenn es um die Repressionen der iranischen Regierung geht und mache Kunst mit einer scharfen Klinge – aber warum kann ich nicht über dieses Land reden, das jetzt meines ist? Was hält mich denn zurück? Dass ich einer Minderheit angehöre?“

Ängste sind für alle gleich

Zugleich handelt „Land of Dreams“ davon, dass die Regierung die intimsten Emotionen ihrer Bürgerinnen und Bürger kontrollieren will. „Letztlich ist über Social Media etwas Ähnliches bereits Realität“, so Neshat. „Das hat begonnen mit Trump und all diesen Verschwörungstheorien, die sich über Twitter und Facebook Media verbreitet haben, und wie sich online Gemeinschaften gebildet haben, die diese Absurditäten glauben und weiterverbreiten. Die Regierung wurde zu einem Theater des Absurden.“

Filmhinweis

„Land of Dreams“ wird im Rahmen der Viennale noch am 28.10. um 14.30 im Gartenbaukino gezeigt.

Der Vergleich zum Iran, „wo Khomeini und seine Leute mit ihrem Fanatismus den ungebildeten Leuten eine Gehirnwäsche verpasst und sie dazu gebracht haben, an irreale Dinge zu glauben“, liege nahe. Dabei spiele Religion eine gewaltige Rolle: „Trump macht das genauso. Seine Politik ist enorm attraktiv für die hyperkonservativen Christen, die gegen Abtreibung sind, gegen Homosexualität, das sind wirklich gefährliche Entwicklungen.“

Direkt angesprochen wird davon in „Land of Dreams“ nichts. Neshat schwelgt in der kinematografisch reizvollen Landschaft New Mexicos, den Gesichtern, Schauplätzen und Erzählungen einer archetypischen Gegend, die gerade dadurch so amerikanisch ist, dass hier Menschen unterschiedlichster Herkunft leben, in einem der ärmsten Bundesstaaten der USA. Die Ängste und Unsicherheiten sind hier für alle gleich, die Träume aber ganz unterschiedlich.