Szene des Films „Spencer“ mit Kristen Stewart
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„Spencer“

Dianas Kampf gegen das Protokoll

Kaum jemand stand zu ihrer Zeit mehr im medialen Rampenlicht als Lady Diana. Der chilenische Regisseur Pablo Larrain erzählt in seinem Biopic „Spencer“ alles andere als ein Prinzessinenmärchen, sondern die „Fabel einer wahren Tragödie“. Mit Kristen Stewart als Hauptdarstellerin konzentriert er sich dabei auf drei Weihnachtstage 1991, die für Diana und die Königsfamilie alles veränderten.

„Spencer“ lautete der Nachname von Lady Diana vor ihrer aufsehenerregenden Hochzeit mit Prinz Charles im Jahr 1981. „Spencer“ steht in Larrains Film für ein Leben in Freiheit und Freude, das Diana mit der Heirat mit dem britischen Thronfolger aufgegeben hatte und nach dem sie sich nach zehn Ehejahren sehnte.

Larrain kann man inzwischen als Spezialisten für Frauen in der medialen Öffentlichkeit bezeichnen. In „Jackie: The First Lady“ (2016) wählte er den Vornamen seiner Protagonistin Jackie Kennedy als Titel. Ging es damals darum, von Kennedys Selbstinszenierung als berühmteste Witwe ihrer Zeit zu erzählen, handelt „Spencer“ von der Suche nach dem Eigenen, dem Unverwechselbaren und somit auch von der Flucht aus einem streng reglementierten System.

Szene des Films „Spencer“ mit Kristen Stewart
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Kristen Stewart hat die Kopf- und Körperhaltung von Lady Diana perfekt einstudiert

Der Film eröffnet mit einer Irrfahrt Dianas über englische Landstraßen und Feldwege. Allein braust sie im Porsche durch die Landschaft, um rechtzeitig zu den Weihnachtsfeierlichkeiten in Sandringham House in der Grafschaft Norfolk einzutreffen. Doch der Weg führt sie zu einem Feld mit einer Vogelscheuche, der man eine alte Jacke ihres Vaters John Spencer umgehängt hat, schließlich befand sich ihr Elternhaus in unmittelbarer Nähe der Residenz.

Larrain präsentiert die Fürstin unkonventionell: In eleganten Stöckelschuhen eilt Diana zur Vogelscheuche, um sich die zerschlissene Jacke des Vaters zu holen. Das vertraute Kleidungsstück wird sie in den folgenden Tagen begleiten und den Gegenpol zur strengen Kleiderordnung bilden, der sie sich laut Protokoll der königlichen Familie unterzuordnen hat.

Prinzessin am Rande des Nervenzusammenbruchs

Unterwerfung und Überwachung treiben Diana an den Rand eines Nervenzusammenbruchs, sie hält das königliche Selbstverständnis der Trennung von Rolle und Privatmensch nicht länger durch. Dazu kommt, dass sie kurz davor von Charles’ Affäre mit Camilla erfahren hat.

In einer der wenigen Szenen mit ihm erklärt er ihr das Spiel mit der medialen Wahrnehmung: „Es gibt immer zwei von uns. Eine echte Person und eine für die Öffentlichkeit, die man fotografiert.“ Dann rollt er ihr eine schwarze Billardkugel zu, die sie zuerst nimmt und dann zu Boden fallen lässt.

Für Diana, die durch die ständige Kontrolle an paranoiden Wahnvorstellungen leidet, gewinnen die scheinbar banalsten Objekte Symbolkraft, zugleich ziehen sie sich leitmotivisch durch den Film. Zu Beginn sieht man im Close-up einen toten Fasan auf dem Boden einer Allee, die zum Landsitz führt. Militärwagen rasen darüber. Für Diana werden die eigens für die Jagd gezüchteten Hühnervögel zu Identifikationsobjekten.

In ihrer Einsamkeit plaudert sie mit einem besonders schönen Exemplar und rät ihm zur schnellen Flucht. Auch die Perlenkette gewinnt übermäßige Bedeutung, sie ist ein Geschenk von Charles – das gleiche machte er Camilla. Diana trägt sie wie eine Todesschlinge, die ihr die Luft raubt.

Anne Boleyn als Vorgängerin?

Als sie auf dem Bett ein Buch über das tragische Schicksal von Anne Boleyn findet, interpretiert sie die Lektüre als Morddrohung. König Heinrich VIII. dichtete seiner Frau Anne eine Liebschaft an und ließ sie 1536 enthaupten, um für seine dritte Frau Jane Seymour frei zu sein.

In Dianas Angstfantasien erscheint Boleyn (Amy Manson) als warnende Vorgängerin. Kamera (Claire Mathon) und Filmmusik (Jonny Greenwood) betonen die bedrohliche Stimmung , fokussieren den Stechschritt der Soldaten, die zu Beginn die Lebensmittel in Sicherheitskisten anliefern. Wie schöne, gefährliche Waffen liegen die Langusten, Hühnerteile und Karotten auf Eis, um von den Köchen zubereitet zu werden.

Tage im Nebel

Der gewählte Filmlook – entsättigte Farben und schwache Kontraste dominieren – trägt wesentlich zur Verstärkung der belastenden Grundstimmung bei. Die britische Landschaft ist in Nebel getaucht, die ungemütlichen Räume unterstreichen die dauernde Kälte, unter der Diana und ihre Söhne in Sandringham leiden.

Die Kameraarbeit manifestiert nicht nur Dianas innere Not und zerrüttete Nerven, sie illustriert auch die Macht der Ikonografie. Die 1991 längst als Stilikone etablierte Lady Di muss sich zu Weihnachten einer strengen Kleiderordnung unterwerfen: Mit unbewegter Miene rollen die Garderobieren einen voll beladenen Kleiderständer über die Gänge.

Doch die elegantesten Roben wirken an Diana wie seltsame Kostüme, die wenigen Male, da sie sich ausgelassen gibt, trägt sie Jeans und Pulli. Die kleinste Abweichung der Etikette wird beredet, und selbst das Körpergewicht unterliegt einem strengen Protokoll, um unter Beweis zu stellen, wie sehr die Royals ihr Weihnachtsfest genießen.

Der königliche Körper als Währung

Seit über 150 Jahren befiehlt es die Tradition, dass alle Mitglieder des Königshauses beim Betreten des Schlosses abgewogen werden. Auch wenn die weiblichen Mitglieder dieser entwürdigenden Prozedur mit dem Scherz begegnen, dass doch der Schmuck ohnehin die Hälfte des Gewichts ausmache, wird die merkwürdige Tradition strikt eingehalten, mit dem Ziel, nach den drei Weihnachtstagen mindestens „drei Pfund mehr“ zu verzeichnen.

Diana aber wird in der feindseligen Atmosphäre immer dünner. Larrain bewegt sich in seiner Darstellung zwischen Fiktion und historischer Seriosität, so hat etwa Diana ihre Bulimieerkrankung öffentlich gemacht, auch sind ihre Selbstverletzungen bekannt. Ihr offener Umgang entsprach jedoch nicht Konventionen der Königsfamilie, die sich streng an Regeln des 19. Jahrhunderts hält.

Szene des Films „Spencer“ mit Kristen Stewart
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Ein Gegenpol zum höfischen Protokoll: Diana im leer stehenden Haus ihrer Eltern

„Die Königsfamilie lebt in der Vergangenheit, das ist ihre Gegenwart, Zukunft gibt es keine“, erklärt Diana ihren Söhnen. Nur mit ihnen sowie ihrer Ankleiderin und Vertrauten Maggie (Sally Hawkins) spricht sie frei, denn jede Intimität ist für das Personal wertvolles Wissen, wie ihr der Chef de Cuisine Darren McGrady (Sean Harris) anvertraut, der eigens für sie ein Marillendessert zubereiten lässt. Doch Diana sehnt sich – wie ihre Söhne – nach einem „normalen“ Leben, nach Chicken und Pommes.

Die österreichische Schauspielerin Lore Stefanek spielt Queen Elizabeth als freundliche Queen Mother, die beim Spaziergang mit ihren Hunden für einen Moment mit Diana über das Missachten der Kleiderordnung plaudert. Auch sie sei manchmal widerständig, man dürfe nur nie vergessen, dass man „Währung“ sei, dass man sich so zu verhalten habe, wie einen das Volk sehen möchte.Für die Nonkonformistin Diana reicht das aber nicht. Sie möchte mehr vom Leben, als ein Bild auf einer Geldnote zu sein. Doch dafür braucht es Wunder. Oder „Liebe, Schock und Lachen“, wie ihr Maggie attestiert.

Eindringliche Kristen Stewart

Stewart verdeutlicht mit großer Eindringlichkeit die Anspannung, unter der Diana wohl stand. An vielen Stellen allerdings zu intensiv, denn während Kopf- und Körperhaltung als von der echten Diana gut studiert durchgehen, beginnt der Druck, den Stewart in der Artikulation zeigt, im Laufe des Films zu nerven.

Selbst in den Szenen, wo sie sich endlich unbeschwert geben kann, wie zum Beispiel im Spiel mit ihren Söhnen oder beim Spaziergang am Meer mit Maggie, kommt sie aus der gepressten Sprechhaltung nicht heraus. Dennoch gelingt ihr die genaue Darstellung einer Frau, deren Wunder nicht darin besteht, Prinzessin geworden zu sein, sondern sich daraus befreit zu haben. Zum Song „All I Need Is a Miracle“ (1985) von Mike & The Mechanics läuft sie gleichsam um ihr Leben, dessen schrecklichster Tag der angeblich schönste hätte sein sollen. „Spencer“ ist ein gelungenes Porträt über eine nonkonformistische Frau, das man nicht versäumen sollte.