Szene aus „El vampiro negro“
UCLA Film & Television Archive
Argentinischer Film Noir

Düstere Männlichkeit in Buenos Aires

Aficionados und altgediente Cineastinnen widmen sich bei der Viennale gern den Spezialprogrammen abseits der großen Filme der Saison. Die „Historiografie“ rund um den argentinischen Film Noir verspricht Bildungslücken zu schließen. Sei es der Chauffeur als Serienkiller oder der nach Rache sinnende Krimiautor: Toxische Männlichkeit war während der Peron-Ära ein kinematographisches Spezialgebiet am Rio del la Plata.

Verworrene Plots, angegriffene Helden, reichlich vernuschelter Machismo: In einem südamerikanischen Winkel der Kinogeschichte lauert Dunkles, das man bei der Viennale etwa stilecht im Metrokino ausleuchten kann. Schon in den 1930er Jahren bildete das Argentinische Kino ab der Erfindung des Tonfilms eine Vorliebe für Krimis in allen Facetten aus – war das Genre doch in der Unterhaltungsliteratur ungeheuer populär.

In den 1940er Jahren speiste sich die argentinische Filmpoduktionsmaschinerie, die – wie die Verlagsbranche des Landes – ein Zentrum für den riesigen spanischsprachigen Markt Lateinamerikas war zunehmend aus internationalen Talenten: Flüchtlinge aus dem spanischen Bürgerkrieg trafen auf Exilanten aus Belgien und arbeiteten gemeinsam an Drehbüchern.

Buenos Aires durfte Chicago werden

Teil des Spezialprogramms ist der belgische Regisseur Pierre Chenal, der etwa „The Postman Always Rings Twice“ als französischen Noir verfilmt hatte und im argentinischen Exil vier Filme drehte. Für „Native Son“ (1951) – in dem Buenos Aires zu Chicago wird – lud er den Autor Richard Wright nach Argentinien ein um gemeinsam dessen gleichnamigen Roman zu verfilmen. Der Roman gilt mit seiner marxistischen, „schwarzen“ Perspektive als kontroverser Meilenstein in der US-Literatur. In der Verfilmung spielt Wright selbst den Chauffeur „Bigger“, der aus Angst wiederholt tötet – Gewaltausbrüche, die für die Rassisten wie für die Antirassisten im Film zum Ausgangspunkt ihrer Kampagnen werden.

Szene aus „Native Son, Sangre negre“ zeigt Frau neben einem Chauffeur in Auto sitzend
Kino Lorber
Richard Wright spielt seine eigene Serienmörderfigur „Bigger“

Die Filmauswahl präsentiert Durchwegs spannende Beispiele für ein Genre in dem Männlichkeitsmodelle auf den Prüfstand gestellt werden – und das mitten in einer Zeit, als Argentinien seine eigene Form der charismatischen Führerschaft in der Peron-Ära durchlebte, in der vieles auf regide Geschlechterstereotype genormt wurde.

Männer auf Abwegen

In „La Bestie debe morir“ (1952) sinnt ein Krimiautor auf Rache für seinen Sohn, der bei einem Autounfall überfahren wurde. Die Verantwortlichen – zynische Mitglieder der Upperclass – begehen Fahrerflucht: Eine verwinkelte Geschichte rund um Vaterschaft, Schuld und den machistischen Ehrenkodex der Rache.

Szene aus „La bestia debe morir, The Beast Must Die“ zeigt Mann und Bild von aufgerissene Augen übereinander geblendet
UCLA Film & Television Archive
Ein Krimiautor verliert seinen Sohn – und begibt sich auf die Jagd nach der „Bestie“

Männer auf Abwegen gibt es auch in Roman Vinoly Barretos „El Vampir negro“ (1953), einem visuell überzeugenden Remake von Fitz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) zu sehen. In „Apenas un delinquente“ (1949) und „Los Tallos Amargos“ (1956) folgt man einem Buchhalter bzw. zwei Journalisten, die mit ihrer Rolle in der Gesellschaft nicht zufrieden sein können – wo bleiben Bitteschön die Abenteuer und Anerkennungen für echte Helden? – auf ihrem Weg auf die schiefe Bahn. Allein schon die Massenszenen in „Apenas un delinquente“ und die Musik in „Los Tallos Amargos“ (von Astor Piazzolla) sind ein Grund für den Kinobesuch.