Rooney Mara stars as Ona
2022 Orion Releasing LLC. All Rights Reserved.
„Women Talking“

Die letzten Tage des Patriarchats

Liebe, Heimat, Familie, Freiheit, Schuld und Vergebung – die kanadische Regisseurin Sarah Polley verhandelt in „Women Talking“ die ganz großen Themen. Ausgehend von einer wahren Geschichte und einem internationalen Bestseller zeigt der Film eine Gruppe von Frauen, die sich gegen jahrelangen Missbrauch und Unterdrückung durch ihre Männer zur Wehr setzen wollen.

Waren es Geister oder gar der Teufel selbst? Diese Frage stellen sich Salome, Ona, Mariche und die anderen Frauen nicht mehr, seit sie wissen, wer für die sexuellen Übergriffe und Gewalttaten, denen sie in den letzten Jahren ausgeliefert waren, verantwortlich ist. Dass übernatürliche Kräfte Schuld an den Vorkommnissen seien, das haben ihnen die Männer eingeredet, mit denen sie und ihre Kinder in einer abgeschiedenen, mennonitischen Kolonie leben. Wir schreiben das Jahr 2010.

Als eines Nachts einer der Täter entlarvt und überführt wird, kommt die schreckliche Wahrheit ans Licht: Jahrelang haben ihre Ehemänner und Nachbarn sie immer wieder betäubt und brutal vergewaltigt. Mehr als ihre geschundenen Körper hatten die Frauen am nächsten Morgen nicht als Beweis für die Verbrechen vorzuweisen.

Nichtstun ist keine Option

Doch jetzt ist alles anders. Über die Schuld der Angeklagten wird in der Stadt verhandelt, während die Frauen zu Hause eine Wahl abhalten: Jede darf abstimmen, wie die Zukunft der Gemeinde aussehen soll. Soll man nichts tun und den Männern vergeben? Soll man bleiben und kämpfen? Oder die Kolonie verlassen? Die Zeit drängt, und die demokratische Abstimmung macht klar: Nichtstun ist keine Option.

Acht Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, werden ausgewählt, um alle Vor- und Nachteile abzuwägen und eine Entscheidung für alle zu treffen. Sie versammeln sich in einer Scheune und müssen einen Mann als Protokollführer hinzuziehen, da die Mädchen in der Kolonie nicht zur Schule gehen dürfen und somit alle Frauen Analphabetinnen sind.

Doch dem sanftmütigen Lehrer August (Ben Whishaw), dessen Mutter ins Exil geschickt wurde, weil sie sich gegen die sexistischen Strukturen innerhalb der Gemeinschaft ausgesprochen hatte, vertrauen sie. Er wird sie nicht verraten.

Ben Whishaw stars as August, Rooney Mara as Ona and Claire Foy as Salome
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Der Lehrer August (Ben Whishaw) ist der einzige Mann, dem die Frauen vertrauen

Und so werden akribisch alle Pros und Contras aufgelistet, und es entspinnt sich eine leidenschaftliche, hochemotionale Debatte, bei der die wütende Salome (Claire Foy), die optimistische, sanfte Ona (Rooney Mara) und die verbitterte, ängstliche Mariche (Jessie Buckley) federführend sind. Wie sollen die Frauen ihren Glauben, der den Demütigen unter ihnen ewiges Leben im Himmelreich verspricht, mit ihrem Wunsch nach Freiheit in Einklang bringen? Die fromme Janz (Frances McDormand) kann das nicht und weigert sich, an dem ketzerischen Aufstand teilzunehmen. Die Spannungen eskalieren.

Erschütternd und hochaktuell

„Women Talking“ ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Miriam Toews aus dem Jahr 2018, der von realen Ereignissen in einer mennonitischen Kolonie in Bolivien inspiriert wurde. Regisseurin Polley legt mit ihrem zweiten Spielfilm nach „Take This Waltz“ (2011) und ihrer großartigen Doku „Stories We Tell“ (2013) einen erschütternden, poetischen und hochaktuellen Film vor, der an das beklemmende Setting von „The Handmaid’s Tale“ erinnert.

Filmhinweis

„Women Talking“ wird bei der Viennale noch am 28.10. um 15.30 Uhr im Gartenbaukino gezeigt.

Im Jänner 2023 startet der Film in den österreichischen Kinos.

Die intensive, aber niemals theatralische Darbietung der Schauspielstars würde eine Oscar-Nominierung des Ensembles mehr als rechtfertigen. Bleibt abzuwarten, wie die Academy, deren Mitglieder immer noch zu 66 Prozent männlich sind, auf eine Gruppe von diskutierenden Frauen reagieren wird.

„Women Talking“ gibt Frauen eine Stimme, die diese verloren geglaubt haben, und lässt am Ende – nach zahlreichen bewegenden Rückblicken und spannenden Wendungen – die Hoffnung aufkommen, dass weibliche Solidarität die Welt verändern kann.

In einer Zeit, wo in diesem Augenblick Frauen auf der Straße um ihre Rechte kämpfen müssen, braucht es einen Film wie diesen, der zeigt, dass das Ende des Patriarchats alternativlos ist.