Szene aus A New Leaf mit Elaine May und Walter Matthau im Boot sitzend
Viennale
Monografie Elaine May

Vom Geheimtipp zur Komik-Ikone

Im Grunde ist es ein Skandal, dass Elaine May als Regisseurin nur vier Spielfilme realisieren konnte. Doch so bitter das Versäumte ist, die existierenden Filme sind Kleinode des Komischen. Die Viennale zeigt sie alle vier.

Lenny lernt Lila an der Bar kennen. Sie lacht über seine Witze, findet ihn hinreißend. Ihre große jüdische Familie mag ihn, mit dem Sex will sie aber bis nach der Hochzeit warten. Also kommt es, wie es kommen muss: Ein weißes Kleid wird angeschafft, Omas vergießen Tränen, er zertritt ein Glas, es wird zu „Hava Nagila“ getanzt, und dann, endlich, die Hochzeitsreise. Normalerweise ist das der Stoff einer Romcom, in „The Heartbreak Kid“ von May sind es die ersten fünf Minuten.

Der Film aus dem Jahr 1972 war in Deutschland und Österreich unter dem schauderhaften Titel „Pferdewechsel in der Hochzeitsnacht“ zu sehen, er ist Mays zweite Regiearbeit und ein absolutes, makelloses Meisterwerk. May ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 40 Jahre alt und vor allem als Schauspielerin erfolgreich. Mit „The Heartbreak Kid“ gelingt ihr einer der besten Filme über notorische Unzufriedenheit und verlogene Beziehungen überhaupt.

Szene aus The Heartbreak Kid, Mann und Frau sitzen im Auto und lachen
Viennale
„Kau nicht so laut!“ – Lenny (Charles Grodin) hat sich die Ehe mit Lila (Jeannie Berlin) anders vorgestellt

Ein grandios besserwisserisch-unsicherer Charles Grodin spielt da den Bräutigam Lenny Cantrow, der mit seiner Braut Lila (gespielt von Mays Tochter Jeanny Berlin) mit dem Auto in die Flitterwochen nach Florida fährt. Doch schon bei der Anreise dämmert Lenny, dass die Heirat ein entsetzlicher Fehler war: Lilas Art zu singen nervt ihn, ihren Musikgeschmack findet er fürchterlich, die Art wie sie bestellt, wie sie isst, wie sie atmet, wie sie sich laut freut.

Heiraten für Anfänger

Im Hotel angekommen, vertiefen sich die Unterschiede: Sie genießt die Sonne am Hotelpool, er stürzt sich ins Meer. Trotz seiner Ermahnungen hat sie ihre blasse Stadtmädchenhaut nicht gut eingecremt, und als sie am nächsten Tag mit einem entsetzlichen Sonnenbrand aufwacht, muss sie zu Lennys Erleichterung im Zimmer bleiben – während er die Gelegenheit nützt, am Strand mit der blonden, reichen Midwest-Schönheit Kelly (die göttliche Cybill Shepherd) zu flirten.

Die aus Lennys Fehlentscheidungen resultierende Katastrophe ist die köstliche Demontage eines jungen Mannes, der behauptet, alles im Griff zu haben. Dabei verrät May keine ihrer Figuren, weder den unglückseligen Lenny, noch die arme, verbrannte Lila – ganz im Gegenteil übrigens im fürchterlichen Farrelly-Brothers-Remake aus dem Jahr 2007, wo Ben Stiller als bemitleidenswerter Bräutigam irrtümlich eine Furie heiratet, und erst bei der rettenden Begegnung mit einer sanftmütigen anderen Frau seinen Fehler erkennt.

Dieses Gespür für ihre Figuren ist es, das May, die in den 70er Jahren die einzige Frau ist, die innerhalb des Hollywood-Studiosystems arbeitet, vor vielen ihrer Kollegen auszeichnet, was auch mit ihrer Schauspielerfahrung zu tun haben kann. Trotzdem werden ihr insgesamt nur vier Spielfilme ermöglicht, unter anderem, weil sie als Perfektionistin mehr Filmmaterial verbraucht als geplant. Möglicherweise ist das aber nicht der einzige Grund.

#ReleaseTheMayCut

In ihrem ersten Spielfilm „A New Leaf“ („Keiner killt so schlecht wie ich“, 1971) spielt sie selbst die reiche und naive Botanikerin Henrietta Lowell, die der in Geldschwierigkeiten geratene Playboy Henry Graham (Walter Matthau) heiraten will, um sie daraufhin umzubringen und so seine finanziellen Sorgen zu lösen. Die schwarze Komödie ist ein schlanker, boshafter Film, doch hätte er nach Mays ursprünglichen Plänen ganz anders aussehen können: Sie wollte eine 180-Minuten-Fassung herausbringen, mit zwei Morden und Szenen, die sich mit Frauenfeindlichkeit befassen.

Der Paramount-Studiochef verweigerte das, ließ den Film auf 102 Minuten kürzen und ganze Nebenplots herausschneiden. May klagte, aber Paramount blieb stur und bekam einen Film, der seine Herstellungskosten leicht einspielte. So wunderbar „A New Leaf“ ist, fragt man sich doch, wie die May-Variante ausgesehen hätte. Unglücklicherweise gab es damals keine weltweite Fangemeinde als Lobby, die Paramount mit einer #ReleaseTheMayCut-Kampagne unter Druck setzen hätte können.

Kleinmafiosi unter sich

Zumindest gab es ein Jahr später bei „The Heartbreak Kid“ keine größeren Unstimmigkeiten. Ganz anders dann bei der Produktion von „Mikey und Nicky“ (1976), in dem Peter Falk (später bekannt als Inspektor Columbo) und John Cassavetes zwei kleine Mafiagangster spielen, eine raue Ergänzung zum Glamour von Coppolas New-Hollywood-Mafiaepos „The Godfather“ und Antwort auf Cassavetes’ eigene Gangsterfilme. May ließ Falk und Cassavetes frei improvisieren und in vielen Szenen gleich drei Kameras mitlaufen, um keinen wertvollen Moment zu verpassen, was zu glanzvollen Resultaten führte.

Doch erneut sprengte sie das Budget. Ein weiterer heftiger Rechtsstreit war die Folge, kurz drohte das Studio, den Film gar nicht zu veröffentlichen. Die Kritiken waren vernichtend, und die Karriere der Regisseurin May damit bis auf Weiteres beendet. Als Schauspielerin und Drehbuchautorin arbeitete sie unterdessen weiter, wurde für Warren Beattys „Heaven Can Wait“ (Der Himmel kann warten“, 1978) gemeinsam mit Beatty für das Drehbuch oscarnominiert, und arbeitete am Drehbuch für „Tootsie“ (1982) mit.

Filmhinweis

„Mikey and Nicky" wird in der Urania am 28.10. um 11.00 Uhr, „Ishtar“ in der Urania am 1.11. um 11.00 Uhr und „The Heartbreak Kid“ im Metro Kino (Historischer Saal) am 1.11. um 16.00 Uhr gezeigt.
 

Beatty und Dustin Hoffman, den sie durch „Tootsie“ kennen gelernt hatte, gaben May dann auch die Chance für ihren vierten und letzten Spielfilm, den berüchtigten „Ishtar“ (1987). Der Titel galt lange als Synonym für einen niederschmetternden Flop, schon die Vorberichterstattung war monatelang nur davon geprägt, was alles schiefgegangen war und wer sich am Set alles zerstritten hatte – eine Vorgeschichte, die nicht von ungefähr an Olivia Wildes „Don’t Worry Darling“ erinnert. Bei der Premiere hatte der Film dann keine Chance mehr.

Szene aus Ishtar, zwei Männer in der Wüste auf vier Füßenneben einem Kamel, beobachen einen LKW
Viennale
Links im Bild das unentbehrliche Kamel in „Ishtar“

Dustin Hoffman und das blinde Kamel

In „Ishtar“ landen die talentlosen New Yorker Musiker Lyle (Beatty) und Chuck (Hoffman) in einem kleinen Club in Marrakesch, wo sie unversehens Mittelpunkt einer Verschwörung werden. Der Film ist eine irre, sehr lustige, streckenweise schiefe Agentenkomödie voller wilder Kostüme, komödiantischer Höhepunkte (unter anderem einer mit einem blinden Kamel), zwar nicht das heimliche Meisterwerk, als das den Film manche wiederentdecken wollten, aber ganz bestimmt auch nicht der schlechte Totalverhau, als der der Film damals geschildert wurde.

Mays Karriere als Regisseurin war damit allerdings zu Ende. Welche Filme Elaine May hätte machen können, hätte sie ein paar Versuche mehr gehabt, wären ihr die Filme nicht umgeschnitten worden, darüber ist nur zu spekulieren. Dass sie womöglich das Zeug zu einer Filmografie irgendwo zwischen Woody Allen und Nora Ephron gehabt hätte, oder vielleicht auch ganz anders – darauf deuten ihre existierenden Filme und Drehbücher hin, darunter für Mike Nichols’ „The Birdcage – Ein Paradies für schrille Vögel“ (1996) und Nichols’ „Primary Colors“.

Als Schauspielerin wurde May noch bis vor kurzem eingesetzt, etwa in Kenneth Lonergans Stück „The Waverly Gallery“ am Broadway, wofür sie 2019 ihren ersten Tony Award gewann, und erst letztes Jahr spielte sie in der Serie „The Good Fight“ zwei Folgen lang keine Geringere als Ruth Bader Ginsburg. Die Anerkennung, die May spät in ihrer Karriere zuteil wird, ist groß, Preise für ihr Lebenswerk hat sie in den letzten Jahren einige bekommen. Demnächst erscheint eine neue Biografie, geschrieben von der New Yorker Filmkritikerin Carrie Courogen. Die späte Wiederentdeckung ist im Gange.