Filmstill aus „Eigentlich vergangen“
Nicole Foelsterl “Eigentlich vergangen"
VIS-Abschluss

Preisregen für zwei Regisseurinnen

Bei der Preisverleihung des Wiener Kurzfilmfestivals Vienna Shorts (VIS) ist es um viel gegangen: Oscar-Nominierungen und 20.000 Euro Preisgelder. In den Hauptbewerben triumphierten die Regisseurinnen Nicole Foelsterl und Martina Scarpelli. Der ORF.at-Publikumspreis ging an das poetische Animationswunderwerk „Apfelmus“ von Alexander Gratzer.

Das VIS ist kein Filmfestival wie die anderen. Die Regisseurinnen und Regisseure sind jünger, der Frauenanteil ist höher und weil die Produktionsdauer für kurze Filme naturgemäß kürzer ist als für lange, können sie schneller auf aktuelle Ereignisse und Stimmungslagen reagieren. Sprich: Alles ist hier ein wenig frischer, knackiger, aktueller. Dieser ganz spezielle VIS-Spirit war auch heuer wieder zu spüren, vom Eröffnungsfest im Wiener Gartenbaukino am Dienstag bis zur Preisverleihung am Sonntagabend im Stadtkino im Künstlerhaus.

Die Festivalleitung, bestehend (seit heuer) aus Doris Bauer und (schon bisher) Daniel Ebner, eröffnete den Abend mit Witzen, die eine Klammer zur Eröffnung schlossen. War da was außer Kurzfilmen in den letzten zehn Tagen? Verschiedene Kanzler bzw. Kanzlerinnen? Niki Lauda? Die Causa Prima freilich waren die Vienna Shorts. Die Moderation des Abends bestritt gewohnt leichtfüßig Neil Young (der nicht verwandt mit dem Neil Young ist).

Filmstill aus „Black Bus Stop“
Kevin Jerome Everson („Black Bus Stop“) VIS
Filmstill aus „Black Bus Stop“, der einen Preis der Jury erhalten hat

Und die Oscar-Nominierung geht an …

Die österreichische Filmemacherin Foelsterl gewann mit ihrem sehr persönlichen Dokumentarfilm “Eigentlich vergangen" (siehe Bild ganz oben) den Hauptpreis im österreichischen Wettbewerb sowie den Elfi-Dassanowsky-Preis für die beste Regisseurin des Festivals. Der Film qualifizierte sich zudem sowohl für den Österreichischen Filmpreis als auch für die Oscars und lag auch beim Publikumsvoting im Vorderfeld.

Großes Lob sprach die Jury im Stadtkino „Eigentlich vergangen“ aus: „Der Film ist zutiefst bewegend, lyrischer Realismus an der Schnittstelle von Überleben und Nostalgie, Traum und Dokumentation. Er gibt eine Vorstellung davon, was Geschichte ist und tut.“ Sie selbst war sich nicht so sicher – nur halb scherzhaft empfahl sie den anwesenden Filmemacherinnen und Filmemachern, lieber keine Streifen über die eigene Familie zu drehen – das gibt Ärger.

„Eine Dringlichkeit, die anhält“

Der Italienerin Martina Scarpelli gelang ein ähnliches Kunststück: Sie überzeugte die Jury im internationalen Wettbewerb „Animation Avantgarde“ (für Animations- und Experimentalfilme) mit ihrer in Frankreich und Dänemark produzierten Schwarz-Weiß-Animation „Egg“ und wurde nicht nur ins Oscar-Rennen geschickt, sondern auch in jenes um den Europäischen Filmpreis. Zudem erhielt sie die höchste Punkteanzahl beim Zuschauervoting und gewann damit den VIS-Publikumspreis 2019.

Die Jury zeigte sich in ihrem Statement hellauf begeistert: „Selten schafft es ein Film so gut, einen Gemütszustand einzufangen, ausgehend von einem zutiefst persönlichen Dilemma. Einfallsreicher Symbolismus verschränkt mit der kompromisslosen Darstellung der Protagonistin vermittelt eine emotionale Intensität und Dringlichkeit, die lange anhält.“ Scarpelli schickte eine charmante Grußbotschaft per Video.

ORF.at-Publikumspreis für pure Poesie

Der ORF.at-Publikumspreis für österreichische Kurzfilme unter zehn Minuten ging – mit ganz eindeutigem Voting – an Alexander Gratzers siebenminütigen Animationsfilm „Apfelmus“. Gratzer hatte schon früher bei Festivals mit Filmen wie „Espresso“ und „Im Wohnzimmer“ für Furore gesorgt, die beide online frei verfügbar sind.

„Apfelmus“ ist ein Hohelied auf das Herumpalavern, auf die süße Sinnlosigkeit menschlicher Kommunikation, auf absurde Alltagsphilosophie, auf unbedachte Küchenpsychologie, auf die Liebe zum Miteinander. In nur drei kurzen Szenen reflektieren zwei Vögel und zwei Eisbären über das Leben und darüber, was ihre Identität ausmacht, und zwei Soldaten exerzieren die Skurrilität von Gehorsam und Gruppenchoreografie. Gratzer stellt den Leserinnen und Lesern von ORF.at „Apfelmus“ sieben Tage lang frei zur Verfügung.

Ausbrechen aus Zeit und Raum

Den Hauptpreis im zweiten internationalen Wettbewerb für Kurzspielfilme und Kurzdokus (Fiction & Documentary) gewann das stilisierte Drama „Blessed Land“ des vietnamesischen Regisseurs Pham Ngoc Lan. Sein Film beschäftigt sich laut Jurystatement „auf durchwegs überraschende Weise mit komplexen Themen wie Geschichte, Ort und Erinnerung, indem er Figuren zeigt, die in einem bestimmten Umfeld verwurzelt sind, jedoch aus den Regelwerken von Zeit und Raum ausbrechen“. In seiner Grußbotschaft ließ er die Freude seine zweijährige Tochter zeigen – das Publikum schmolz dahin.

Die Preise der Jury, jeweils verbunden mit geförderten Aufenthalten für Filmemacherinnen und Filmemacher in Wien (Residencies), gingen in den zwei internationalen Wettbewerben an „Black Bus Stop“ von Kevin Jerome Everson und Claudrena N. Harold (US) und an „Splash“ des chinesischen Animationsfilmers Shen Jie, der Preis der Jury im nationalen Wettbewerb an den Film „Nuit“ der Newcomer Grzegorz Kielawski und Alexander Bayer.

Filmstill aus „Guy Proposes“
Patrick Wenger („Guy Proposes“)
Filmstill aus „Guy proposes to his girlfriend on a mountain“ von Bernhard Wenger

Musikvideopreis für Soap&Skin-Video

Mit dem Österreichischen Musikvideopreis wurden Anja Plaschg und Ioan Gavriel für ihr Video „Italy & (This Is) Water“ von Soap&Skin ausgezeichnet. Lobende Erwähnungen erhielten Rupert Höllers Musikvideo „Wannabe“ für Leyya (Musikvideowettbewerb), das Pflegedrama „Hörmanns“ von Siegmund Skalar (Österreich-Wettbewerb) sowie das dokumentarische Roadmovie „Back to Wonderland“ von Alice Fargier (Frankreich) und die Animation „Slug Life“ von Sophie Koko Gate (Großbritannien).

Viel Liebe für österreichische Komödien

Den erstmals vergebenen Vimeo Staff Pick Award, vergeben von den Kuratorinnen und Kuratoren der US-Onlineplattform, erhielt der schottische Animationskünstler Ross Hogg für sein humorvolles 16-mm-Experiment „4:3“. Den Preis der Jugendjury durfte der Österreicher Bernhard Wenger für seine in einer einzigen Einstellung aufgenommenen Komödie „Guy proposes to his girlfriend on a mountain“ entgegennehmen.

Bereits am Freitag erhielt die Norwegerin Anna Mantzaris den „Prix Tres chic pour le film le plus extraordinaire“. VIS Vienna Shorts zeigte in seiner 16. Ausgabe an sechs Spieltagen 305 Filme aus 55 Ländern. Am Sonntag ging der Kurzfilmreigen mit den Publikumslieblingen sowie den von den Jurys prämierten Filmen – und mit Sekt und Brötchen – zu Ende.