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Markus Müller-Schinwald, Ö1 Außenpolitik , 11.5.

Song-Contest: Wir sind GAYROPA!

In den russischen Medien wird der Sieg von Conchita Wurst als weiteres Zeichen der moralischen Verkommenheit Westeuropas dargestellt. Russische Seperatisten in der Ostukraine verwenden sie bereits für ihre Propaganda gegen die Regierung in Kiew.

„Es war ein Fehler diesem Land die Freiheit zurückzugeben!“ so kommentiert der russische Politiker Wladimir Schirinowski den Sieg von Conchita Wurst. In Europa gebe es keine Männer und Frauen mehr sondern nur mehr ein „Es“, der Sieg von Wurst bedeute das Ende Europas. Diese Aussage ist nur einer der Höhepunkt einer Welle der Empörung, die derzeit durch die russischen Medien schwappt. Das zeigt ein kurzer Blick in die Kommentarseite der populären Nachrichtenseite „Lifenews“: Sünde, der Song-Contest sei eine Päderasten-Show, eine Veranstaltung wie im dekadenten alten Rom. Ein User zitiert Maxim Gorki: „Um den Faschismus auszurotten, muss man alle Homosexuellen vernichten“. Europa sei ein Planet der depressiven Affen, dem Untergang geweiht, das Christentum werde schon bald dem Islam Platz machen. In der Minderheit bleiben Aufrufe wie die des bekannten Sängers Filip Kirkorov, man solle Wurst als Künstler respektieren, ganz unabhängig von ihrem Aussehen.

Europa verrät seine christliche Identität

Der einflussreiche Vizepremier Dmitrij Rogosin schreibt auf Twitter, der Song-Contest habe allen Befürwortern einer Euro-Integration das wahre Gesicht Europas gezeigt: Es sei ein bärtiges Mädchen. Und ein Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche lässt mitteilen, dieser Sieg sei ein weiterer Schritt hin zur Abkehr Europas von seiner christlichen Identität. Schon vor dem Finale hatten mehrere Politiker gefordert, die Ausstrahlung des Song-Contest zu verbieten: Der Auftritt von Conchita Wurst verstoße gegen das Gesetz mit dem „Propaganda für Homosexualität“ unter Strafe gestellt wird. Dass die staatliche Nachrichtenagentur Ria-Novosti den Sieg vorübergehend Australien und nicht Österreich zuschrieb ist da nur mehr eine Fußnote.

Schwule und Lesben sind für Putin Kinderschänder

Der Triumph von Conchita Wurst ist tatsächlich Wasser auf die Mühlen der Kreml-Propaganda. Seit Jahren wird der Westen darin als dekadent dargestellt, er habe keine Werte mehr, sei dem Untergang geweiht. Die immer weitergehende Gleichstellung von sexuellen Minderheiten wird als Kennzeichen des moralischen Verfalls gesehen, das schwule „Gayropa“ werde schon bald aussterben. Er habe keine besondere Meinung zur Homosexualität, meinte Wladimir Putin vor einigen Jahren, aber Homosexuelle würden eben keine Kinder bekommen. Dabei hat das Bild dessen, was in Russland als „LGBT-Gemeinde“ bezeichnet wird, nicht viel mit der Realität zu tun. Schwule und Lesben werden pauschal als Kinderschänder dargestellt. So erklärte Putin in einer Pressekonferenz vor den olympischen Spielen in Sotschi: Schwule seien gerne willkommen. Sie sollten nur die russischen Kinder in Ruhe lassen.

Russland als Retter des christlichen Abendlandes

Wer meint, das seien alles nur Ausrutscher, irrt. Die Gegenüberstellung des verkommenen Europa und dem moralisch aufrichtigen Russland ist ein Kern der neuen staatlichen Ideologie: Russland unter Putin sei der Retter des christlichen Abendlandes, eine Nachricht die in den staatlichen Medien immer wieder in den verschiedensten Facetten wiederholt wird. Dmitrij Kiselov, Leiter der neuen staatlichen Nachrichtenagentur „Russland heute“ und stellvertretender Direktor des staatlichen Fernsehens meinte etwa: Man müsse das Herz von Schwulen nach deren Tod verbrennen, um so zu verhindern, dass es im Zug einer Organspende versehentlich einem „normalen“ Menschen eingepflanzt werde. Kiselov steht übrigens auf der Liste der Personen gegen die die EU Sanktionen und Einreisesperren verhängt hat.

Propaganda im ukrainischen Bürgerkrieg

Auch im Konflikt in der Ukraine wird Conchita Wurst bereits instrumentalisiert. Im Internet kursiert ein Photo in dem die Führung der Regierung in Kiew mit aufgemalten Bärten dargestellt wird. „Wir sind alle eine europäische Familie“, heißt es im Text. Schon Ex-Präsident Janukowitsch hatte seine Abkehr von der EU damit begründet, Brüssel wolle die Ukraine zwingen ,gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzuführen. Und in den Kommentarseiten der russischen Medien heißt es immer wieder: Jetzt müsse auch der dümmste russisch-sprachige Ukrainer verstehen, welches Schicksal ihn in der EU erwarte. Wenigstens in Sachen Homophobie ist die russische Führung dabei einer Meinung mit den verfeindeten ukrainischen Ultranationalisten. Der „Rechte Sektor“ fragt auf seiner Facebook-Seite unter einem Photo von Conchita Wurst: „Brauchen wir wirklich ein solches Europa?“ Es sei Zeit, einen starken Staat zu errichten, der unabhängig sei sowohl von Moskau als auch von von den Liberalen des Westens.

Bei der Führung verhasst, beim Publikum beliebt

Einziger Trost: Die flächendeckende Propaganda der Führung im Kreml ist zumindest bei einem Teil der Russinnen und Russen noch nicht angekommen, in der Publikumswahl konnte Conchita Wurst den guten dritten Platz erreichen. Nur durch das zusätzliche Votum der Jury rutschte sie auf den sechsten Platz zurück. Wahrscheinlich weiß der Kreml, warum er bei freien Wahlen normalerweise etwas zurückhaltender ist.

Schirinowskis Ansichten sind übrigens nichts neues. Schon bei einem Interview im Jahr 2012 erzählte er mir, er halte den Abzug den Roten Armee aus Österreich für einen Fehler. Reaktionen auf diese Aussage blieben damals aus – obwohl das Interview ausgerechnet beim Empfang der Österreichischen Botschaft in Moskau anlässlich des österreichischen Nationalfeiertages geführt wurde.