Pflegesituation
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100 Millionen Euro

Maßnahmenpaket soll Pflegekrise verhindern

Die Ausbreitung des Coronavirus könnte in den kommenden Wochen auch den Pflegebereich unter Druck bringen. Dem will die Bundesregierung mit einem Maßnahmenpaket entgegenwirken. 100 Millionen Euro soll es umfassen, seine Umsetzung bei den Ländern liegen. Klar scheint bereits: Viele Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, werden sich in den kommenden Wochen auf Änderungen einstellen müssen.

Die Frage der Pflege rückt in in der vom Coronavirus ausgelösten Krise zunehmend in den Fokus. Schon allein aufgrund der Zahlen ist das Thema alles andere als ein Randphänomen: 460.000 Menschen in Österreich seien derzeit auf Pflege angewiesen, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Dienstag. Der größte Teil von ihnen, nämlich um die 175.000, wird von Angehörigen gepflegt. 100.000 wohnen in Pflegeheimen, 153.000 werden von mobilen Diensten betreut. Rund 33.000 Personen nehmen eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch.

Herausforderungen sieht Anschober auf alle Bereiche zukommen. Besonders schwierig könnte sich die Situation laut dem Gesundheitsminister aber bei pflegenden Angehörigen und in der 24-Stunden-Pflege entwickeln. Erkrankungen und Quarantänemaßnahmen könnten in den kommenden Wochen und Monaten dazu führen, dass Angehörige ihre Pflegetätigkeiten nicht mehr wahrnehmen können.

Pressekonferenz: Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflege- und Altenbetreuung

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und die für den Zivildienst zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) skizzierten am Dienstag, wie die Regierung in der Coronavirus-Krise einen Pflegenotstand verhindern will.

Zudem werde ein Teil der Betreuungskräfte in der 24-Stunden-Pflege ausbleiben, so der Gesundheitsminister. So würden einerseits Grenzschließungen verhindern, dass Betreuerinnen und Betreuer, die zumeist aus osteuropäischen Ländern kommen, zurück nach Österreich gelangen können. Andererseits sei zu erwarten, dass manche von ihnen selbst erkrankten beziehungsweise zu Hause die eigenen Angehörige pflegen müssten.

Tortengrafik über die Verteilung der Pflegegelder
Grafik: APA/ORF.at, Quelle: APA/Gesundheitsministerium

Umsetzung bei Ländern

Um diese Ausfälle aufzufangen, habe man mit den Bundesländern und dem Finanzministerium ein Konzept erarbeitet: 100 Millionen Euro würden den Ländern aus dem „Covid-Sonderfonds“ zur Verfügung gestellt, damit diese „zusätzliche Betreuungs- und Pflegeangebote aufbauen können“, so Anschober bei einer gemeinsamen Pressekonferez mit der für den Zivildienst zuständigen Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Gesundheitsminister Rudolf Anschober
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Statt einer Pflegereform ist Anschober jetzt mit Krisenbewältigung beschäftigt

Dass die Umsetzung den Ländern überlassen werde, liegt laut Anschober daran, dass schon jetzt die Pflege von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt sei. Zwar wäre es eines der ersten großen Projekte der Koalition aus ÖVP und Grünen gewesen, die Pflege zu reformieren. Jetzt müsse man aber eben auf Krisenbewältigung setzen.

„Bestehende Situation nicht überall aufrechtzuerhalten“

Das Geld soll in den Ausbau der Hotlines, in mehr Personal und auch in räumliche Ressourcen fließen. Denn eines stellte der Gesundheitsminister bereits recht deutlich in den Raum: „Es wird nicht möglich sein, dass die bestehende Pflegesituation überall aufrechterhalten wird. Wir können nicht garantieren, dass jeder zu 100 Prozent zu Hause bleiben kann.“ Das Ziel sei aber, „Ressourcen zu schaffen, dass niemand alleine bleibt“.

Dazu gehört laut Anschober auch, dass der Bund den Ländern jene Kapazitäten zu Verfügung stellen werde, die durch die Schließung der Kur- und Pflegehäuser frei wurden. Er appelliere deshalb auch an die Betreiber dieser Einrichtungen, nicht sofort in Kurzarbeit zu gehen, sondern noch zuzuwarten. „Wir sind im Gespräch mit den Trägern“, so der Minister.

Flexibler werden sollen auch die Förderungen für die 24-Stunden-Pflege. Bisher sind die Förderungen daran gebunden, dass die Betreuerinnen und Betreuer alle 14 Tage wechseln. Das sei in der derzeitigen Situation aber nicht möglich. Die Regierung werde sich darum kümmern, dass die Förderungen auch dann ausbezahlt werden, wenn die Betreuungsperson drei oder vier Wochen auf einmal ihrem Dienst nachgehe.

Wie viele Betreuungskräfte aus dem Ausland wegfallen werden, wollte der Gesundheitsminister noch nicht im Detail beziffern. Derzeit sei der „überwiegende Teil noch da“, sagte Anschober, „aber es wird der Tag X kommen“. Er zählte auf, welche Hürden Pflegekräfte zurzeit überwinden müssten, um aus ihren jeweiligen Heimatländern zurück nach Österreich zu kommen. „Es ist sehr unterschiedlich und für die Betroffenen sehr verwirrend“, so Anschober. Das Außenministerium arbeite aber daran, Ausnahmeregelungen zu schaffen.

3.500 zusätzliche Zivildiener

Zur Entlastung der Personalsituation werden laut Anschober jedenfalls sowohl Helferinnen und Helfer als auch Zivildiener herangezogen. Letztere sollen allerdings nur für die Basisversorgung zum Einsatz kommen. Ausgebildete Pflegekräfte könnten sie nicht eins zu eins ersetzen. 1.500 Zivildiener, die mit März ihren Dienst beendet hätten, würden nun für weitere drei Monate verlängert, sagte die dafür zuständige Ministerin Köstinger. Zugleich würden Zivildiener, die derzeit in Bundeseinrichtungen wie Museen arbeiteten, per Bescheid Organisationen zugewiesen, die Unterstützung brauchten. Köstinger nannte etwa den Krankenhaus- und Pflegebereich. Einrichtungen und Personen, die Unterstützung brauchen, müssten ihren Bedarf an Zivildienern bei der jeweiligen Landesstelle des Roten Kreuzes melden.

Die für den Zivildienst zuständige Ministerin, Elisabeth Köstinger
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Köstinger erneuerte ihren Aufruf, sich zum freiwilligen Zivildienst zu melden

Überdies würden mit 1. April mehr als 2.000 freiwillige Zivildiener ihren außerordentlichen Dienst antreten, so die Ministerin. Sie erneuerte zugleich ihren Aufruf, sich freiwillig zu melden. „Sollten Sie sich vorstellen können, einen außerordentlichen Zivildienst zu absolvieren: Bitte melden Sie sich! Die kommenden Wochen werden entscheidend sein“, so Köstinger.

Hotline für Fragen

Für Fragen zum freiwilligen Zivildienst ist eine eigene Hotline eingerichtet. Sie ist unter 0800 500 183 erreichbar.

Sie sei auch mit ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann in Kontakt, um Möglichkeiten zu finden, wie der außerordentliche Zivildienst für Studenten attraktiver werden könnte. Das Engagement solle den jungen Männern einen Vorteil und nicht einen Nachteil bringen, so Köstinger. Sie verwies überdies auf die eigens eingerichtete Hotline, bei der Fragen zum freiwilligen Zivildienst beantwortet würden. Frauen, die sich engagieren wollten, sollen sich beim „Team Österreich“ oder direkt bei den Trägern von Pflegeeinrichtungen melden.

Hilfsorganisationen begrüßen Maßnahmen zur Pflege

Die Hilfsorganisationen begrüßen die Maßnahmen der Regierung. Es sei „gut und richtig, dass in dieser Notsituation Mittel zur Verfügung gestellt werden“, sagte etwa Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter gegenüber der APA. Auch Diakonie, Hilfswerk und Volkshilfe zeigten sich erfreut, forderten teils aber noch weitere Schritte. Wichtig sei, dass niemand zurückgelassen werde, betonte Wachter. Für Mittwoch ist ein Gespräch zwischen den Hilfsorganisationen und Anschober angesetzt.

Gerade in der 24-Stunden-Betreuung brauche es Ersatzmaßnahmen für die erwarteten Personalausfälle. Spätestens in zwei, drei Wochen werde es so weit sein, dass es in etlichen Fällen zunehmend schwieriger wird, schätzt er. Zwar gebe es in der 24-Stunden-Betreuung Ersatz durch Zivildiener, diese könnten aber die ausgefallenen (ausländischen, Anm.) Betreuerinnen und Betreuer nur bedingt ersetzen, sagte Wachter. So würden diese nicht bei den zu betreuenden Personen übernachten. Die in Aussicht gestellten Ersatzbetreuungsangebote seien schon ein Teil der Lösung.

Menschen sollen in gewohnter Umgebung bleiben

Die Diakonie begrüßte es insbesondere, „dass die mehr als 175.000 Menschen, die ausschließlich und ohne professionelle Unterstützung von Angehörigen gepflegt werden, in den Blick kommen“. Stationäre Ersatzpflegeplätze in Rehazentren sind allerdings nur als „Ultima Ratio“ zu sehen, hieß es bei Diakonie und Hilfswerk unisono. Zunächst müsse alles dafür getan werden, dass Menschen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können.

„Man sollte alles tun, was man tun kann, um die Menschen zu Hause zu lassen“, sagte Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm. Um das zu ermöglichen, sollten Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen – egal, ob sie schon mobile Dienste in Anspruch nehmen oder nicht – „großzügige Pakete für Tagesbetreuung und mobile Pflege zur Verfügung gestellt werden“, so die Diakonie.

Auch Kostelka unterstützt Paket

Zustimmung kam indes auch vom Österreichischen Pensionistenverband (PVÖ). „Niemand, der Pflege und Betreuung bedarf, darf jetzt im Stich gelassen werden“, sagte Präsident Peter Kostelka in einer kurzen Mitteilung. Weiters zeigte er sich erfreut darüber, dass sein Vorschlag, die aktuell geschlossenen Kur- und Reha-Einrichtungen für Betreuungsplätze zu nützen, von der Regierung angenommen wurde.

Kostelka wies jedoch darauf hin, bei Ausfällen von 24-Stunden-Betreuungskräften könne zwar einiges von örtlichen Pflege- und Hilfsdiensten und Zivildienstleistenden und ehemaligen Zivildienern kompensiert werden, jedoch sei das „keine Dauerlösung“.