Szene aus Four Days in September
Nurith Wagner-Strauss
„Four Days in September“

Politisches Theater mit Quietschentchen

Bei den Festwochen bietet der thailändische Regisseur Wichaya Artamat mit „Four Days in September“ ein besonderes Lustspiel. Vor einer federleicht-bunten Kulisse wird dabei das Schicksal der Demokratiebewegung des Staats verhandelt. Viel hintersinnigen Spott setzt es für das Königshaus. Einzig im Finale geht der gelungenen Produktion die Luft aus.

Quietschente gefällig? Die gelben Badetiere sind derzeit bei den Wiener Festwochen erhältlich. Wer die jüngste Protestbewegung in Thailand verfolgt hat, stellt vielleicht schon die Verbindung her: Letzten Herbst wurden in Bangkok große aufblasbare Schwimmtiere als Schutz gegen die Wasserwerfer der Polizei verwendet.

Seither gilt die Badeente als Symbol gegen Regierung und König. Das Theaterstück „Four Days in September (The Missing Comrade)“ des Regisseurs Wichaya Artamat versucht das Unmögliche: mit einem 90-minütigen Lustspiel aufzurollen, warum der asiatische Staat bis heute keine Demokratie hat.

Goldener Lüfter

Alles so schön bunt hier: Auf der Bühne der Spielstätte Brut West türmen sich Luftmatratzen in Form von Pizzaschnitten, Regenbogen oder Palmen, dazu steht eine Armada aufblasbarer Wassertiere bereit. Fünf Freunde haben sich getroffen, um den Geburtstag ihres Deckenventilators zu feiern. Dieser verrichtet seinen luftzugspendenden Dienst an der Decke, kann aber auch als über den Köpfen schwebende Bedrohung gedeutet werden. Verweise auf die täglich gesungene National- und Königshymne machen klar: Das goldene Rotationsgerät steht für den Regenten Rama X., den reichsten Monarchen der Welt. Da die Fernbedienung des Lüfters verlegt wurde, dreht er sich nonstop.

Szene aus Four Days in September
Nurith Wagner-Strauss
Ein Deckenlüfter steht als Metapher für Rama X.

Das Stück ist in vier Abschnitte unterteilt, die mit einem Datum markiert sind und fließend ineinander übergehen. Immer wieder geht es turbulent zu, etwa als der Hamster der skurrilen WG verschwunden ist. „Wenn Tiere die Freiheit kennengelernt haben, wollen sie nicht zurück in den Käfig“, sinniert eine Darstellerin. Sie spielt damit wohl auch auf die allererste Demokratiebewegung des Landes an. Diese setzte 1932 eine Verfassung wider die absolute Monarchie durch. Die Passage gipfelt in der Paarung des entlaufenen Hamsters mit einer Ratte, die als orgiastisches Quietschen hörbar wird.

Vermisster Freund

Wie war das noch einmal mit Siam und Frankreich? Es empfiehlt sich, vor dem Theaterabend die Chronik Thailands zu studieren, die der Regisseur auf der Festwochen-Homepage bereitstellt. Artamats Inszenierung ist zwar auch ohne diese Infos unterhaltsam, aber je mehr Anspielungen man versteht, desto reizvoller wird sie. Durch die historischen Militärputsche gerät das Ensemble immer wieder ins Taumeln und da passiert es: Plötzlich ist einer der Freunde verschwunden; ausgerechnet jener Kamerad, der Gitarre spielt und so poetische Lieder singt. Einen Verweis auf verschleppte Oppositionelle derart spielerisch rüberzubringen, das muss dem Regisseur erst einmal jemand nachmachen.

Die Inszenierung beherrscht den Umgang mit Effekten, die auf europäischen Bühnen State of the Art sind. Egal ob Live-Video, Projektionen von Zeitungsfotos und Einspielungen von Demos oder Stroboskoplicht: hier wirkt nichts erzwungen oder vom postdramatischen Theater abgekupfert. Eine transparente, gestreifte Stoffbahn, die an die Regenbogenfahne erinnert, fungiert als Raumtrenner, Zelt, Vor- und Umhang. Das federleichte Bühnenbild aus Wasserspielzeug eignet sich auch bestens für Kampf oder kollektives Heulen. Die Wohlfühlkulisse lässt an Thailand als günstige Urlaubsdestination denken, deren Touristen von politischen Konflikten kaum behelligt werden.

Szene aus Four Days in September
Nurith Wagner-Strauss
Das Bühnenbild und Effekte sind State of the Art und haben großen Anteil an der gelungenen Inszenierung Artamats

Postnatale Pizza

Für die immer wieder verschleppte Demokratie benützt Artamat die Metaphern Schwangerschaft und Geburt. Eine Darstellerin trägt ein Kind, aber das will und will nicht herauskommen. Die Mutter liegt in heftigen Wehen, aber etwas sperrt sich. Da hilft es auch nichts, dass alle Beteiligten laut „Baby“ in ihren Schoß schreien und ihm eine postnatale Pizza versprechen. Das Kind möchte wohl nicht in eine solche Welt geboren werden. Es bleibt lieber jahrzehntelang im sicheren Mutterbauch und erspart sich die vielen Militärputsche (der letzte erst 2017) in seinem Geburtsland.

In der Zwischenzeit ist der verlorene Freund wieder aufgetaucht. Er versucht sich kurz als Mönch, als er jedoch als Geburtshelfer versagt, legt er die orangefarbene Kutte ab. Soll man sich eher in sein Karma fügen, oder die Geschichte selbst in die Hand nehmen? Inzwischen zeigt das Datum das Jahr 2032. Die Schwangere erinnert sich, dass sie im Traum ein Geist um Nahrung gebeten hat. Blöd nur, dass dieses Gespenst einen zu winzigen Mund hat, um sich endlich einmal sattzuessen. Erst im Jahr 2032 zeigt der Geist sein kleines Affengesicht, die WG freut sich über dessen Geburt.

Rosige Zukunft?

Wie die Zukunft im thailändischen Staat aussehen könnte, bleibt offen. Der Ventilator ist 2032 vom Dauerbetrieb verbogen, aber er dreht sich immer noch. Warum ihm nicht abermals das verdiente Geburtstagsständchen bringen? Der Abschaltknopf ist ja auch wieder aufgetaucht. Ein erstaunlich versöhnliches Ende für das Stück – zumal vor dem Hintergrund, dass Artamats von europäischen Theatern koproduzierte Uraufführung in seinem Heimatland ziemlich sicher bestraft würde. Erst zu Jahresbeginn wurde eine Frau für Majestätsbeleidigung zu drakonischen 43 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Verbrechen: Die Verbreitung regierungskritischer Audioclips im Internet.