Szene aus „Burt Turrido“
Jessica Schaefer
„Burt Turrido. An Opera“

Country, UFOs, kurze Hosen

Ein Opernabend wie kein anderer: „Burt Turrido“ ersetzt Klassik durch Countrymusik und Rüschen durch kurze Hosen. Das Nature Theater of Oklahoma hält der Oper den Spiegel vor, mit einer wilden Story, die wie der „Fliegende Holländer“ anfängt und beinahe in einem UFO endet. Die Wien-Premiere am Donnerstag dauerte fast vier Stunden – das mag abschreckend klingen, ist aber äußert unterhaltsam, auch und gerade für Opernskeptiker.

Countrymusik in einer Oper – das mag schon von der Idee her für manche nach Provokation klingen, spätestens nach der ersten Szene steht bereits fest, dass das kein gewöhnlicher Abend wird. Drei Geister – erkennbar an ihren weißen Leintüchern – finden einen Schiffbrüchigen (Gabel Eiben), einer der Geister, Emily (Kadence Neill), holt zur Rettungsaktion aus, allerdings unter der Bedingung, dass ihr der Gerettete sein Herz schenkt. Bis dahin klingt das alles noch nach einer Hommage an Richard Wagners „Fliegenden Holländer“.

Dass der Gekenterte aber so gar nichts von dem Vorschlag hält und nur widerwillig zustimmt, weil ihm die nun erzürnte Emily droht, ihn alternativ einfach wieder ins Wasser zu werfen, sorgt für die ersten Lacher des Abends. Auch weil es statt eines großen Orchesters Country vom Band gibt und weil dazu Line Dance getanzt wird.

Oper mit wenig Opernerfahrung

Und auch wenn erst einige erstaunte Gesichtsausdrücke zu vernehmen waren (der Saal blieb den Großteil des Abends hell) – Klamauk allein ist die Oper des New Yorker Performance-Kollektivs jedenfalls nicht. Die Truppe ist dafür bekannt, quer durch die Darstellungsformen zu reisen: Tanz, Theater und sogar Film – zuletzt wurde 2019 ihr eigenwilliges Filmprojekt zu Elfriede Jelineks „Die Kinder der Toten“ beim Grazer Festival Diagonale gezeigt.

Jetzt wagen sich die Gründer Kelly Copper und Pavol Liska an Oper. In einem Interview mit dem „Falter“ gaben sie bereits einen Einblick in ihre Opernerfahrung: „Wir gehen nie in die Oper, also wissen wir gar nicht, warum Leute hingehen“, so Copper. „Dafür haben wir die Anleitungen genau studiert, die es im 19. Jahrhundert für Libretti gab. ‚Einfach bleiben, nicht zu viele Worte verwenden‘, steht da“, so Liska über ihren Ansatz.

Szene aus „Burt Turrido“
Jessica Schaefer
Auf der Bühne wird fast durchgehend getanzt, auch die Leichen bewegen sich mit

Und wenn man die Musik ausklammert, zeigt „Burt Turrido“ durchaus viele typische Opernmerkmale: In erster Linie ist es eine Liebesgeschichte mit großen Gefühlen, es wird praktisch ausschließlich und durchgehend gesungen, wenn auch oft nicht treffsicher. Und in Abgrenzung zum Musical und zur Operette ist der Stoff durchaus ernst – und bei genauerem Hinsehen eigentlich gar nicht zum Lachen.

Willkommen im Banana Kingdom

Doch Geschichte und Performance werden zunehmend schräger. Der nun Gerettete erwacht auf einer Insel und wird von Königin Karen (Anne Gridley) und König Bob (Robert M. Johanson) gefunden. Der schon fast für tot Erklärte kann sich nicht mehr an seinen Namen erinnern und wird daraufhin vom Königspaar Burt Turrido genannt. Das klinge „wie in einer zum Scheitern verurteilten Oper“, attestiert der frisch Umgetaufte.

Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass die Insel einer der letzten bewohnbaren Flecken der Erde ist: Ehemals Grönland, heißt das Inselreich nun Banana Kingdom – Klimakrise sei Dank. In der Nacht treiben zudem Geister ihr Unwesen, teils Opfer der Kriege um das Land, teils von König Bob Ermordete. Und auch Emily ist wohl durch Fremdeinwirkung ums Leben gekommen, während sich ihr Mann Joseph (Bence Mezei) in die Königin verliebte und dafür in ein Loch verbannt wurde.

Hinweis

„Burt Turrido. An Opera“ ist im Rahmen der Festwochen noch am Freitag und Sonntag im Wiener Theater Akzent zu sehen. Im Anschluss an die Vorstellung am Freitag findet ein Publikumsgespräch statt.

UFO als Fluchtfahrzeug

Trotz nur insgesamt fünf Künstlern auf der Bühne gibt es also, ganz tragödienkonform, recht verworrene Beziehungen, noch dazu zwischen Figuren im Dies- und Jenseits. Jeder hat gute Gründe, den anderen loswerden zu wollen – nur Burt will eigentlich nichts davon wissen. Logische Erklärung: Er muss ein Außerirdischer sein – und plant, mit einem hell leuchtenden UFO die Erde zu verlassen.

Vielleicht ist das Lachen im Verlauf des Abends im Wiener Theater Akzent auch ein bisschen Abwehrreaktion, während man insgeheim denkt: „Was zum Teufel geht hier gerade vor?“ Am Ende gibt es jedenfalls viele Tote – keine Nacherzählung hält wohl der kompletten Geschichte stand. Nicht immer ist klar, ob sich Texte vielleicht direkt an den Zuschauer richten: „Es ist unsinnig“, wird an einer Stelle gesungen – „Was ist unsinnig?“ – „Alles.“

Ohrwurmpotenzial mit gesanglichen Schwächen

Und dennoch geht „Burt Turrido“ schlussendlich auf: Musikalisch (von King-Bob-Darsteller Johanson geschrieben) gehen die Countrynummern ins Ohr, gesanglich überzeugen vor allem Johanson und Neil, die mit ihrer Stimme den Nummern einen Dolly-Parton-Anstrich gibt. Gleichzeitig treffen aber nicht alle die Töne, manche gar selten – das wäre bei einer herkömmlichen Oper wohl ein K.-o.-Kriterium.

Szene aus „Burt Turrido“
Jessica Schaefer
Auch ein Narwal schafft es auf die Bühne

Schauspielerisch beeindruckt vor allem ein Detail: Die Darsteller kommen praktisch nie zur Ruhe, selbst als Leiche wippen die Füße noch zum Rhythmus mit. Die Line-Dance-Bewegungen sind über vier Stunden hinweg freilich auch enorm anstrengend, rein körperlich ist das beeindruckend. Darüber hinaus kümmern sich die fünf auch noch um den Umbau der Bühne, Vorhang gibt es keinen.

Ist „Burt Turrido“ eine Oper?

Die Geschichte ist zweifellos schräg, manchmal vielleicht zu schräg – aber im Gegensatz zu vielen anderen Opern kann man ihr leicht und ohne Vorwissen folgen, dazu tragen sicher auch die klar gesungenen englischen Texte (mit deutschen Übertiteln) bei. Gerade das ist für Opernneulinge und -skeptiker durchaus ein Verkaufsargument. Die Länge hingegen ist eine Herausforderung: Fast vier Stunden dauert „Burt Turrido“, nicht alle kamen nach der Pause wieder in den Saal. Zum Vergleich: Der heurige Wagner-„Holländer“ in Bayreuth war schon nach knapp zweieinhalb Stunden vorbei.

Aber auch wenn die Gründer des Nature Theater ihren Aussagen nach selten hingehen: „Burt Turrido“ ist eine clevere Beobachtung der Oper und spielt mit ihren Elementen. Die Frage, ob man auch mit Countrymusik eine Oper machen kann, ist nach der ersten Aufführung bei den Festwochen ganz eindeutig mit Ja zu beantworten – auch wenn sich die Frage davor vielleicht nie gestellt hat. Das Publikum – der Teil, der bis zum Schluss durchgehalten hat – spendete kräftigen Applaus.