Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
„Verrückt nach Trost“

Ein erlösendes Schauspiel

Mit der Uraufführung von „Verrückt nach Trost“ haben die Salzburger Festspiele ein Schauspielfeuerwerk gezündet, das am Premierenabend nicht nur mit „Erlösung für alle“, sondern auch mit minutenlangem Jubel gefeiert wurde. Das witzig-melancholische, teils absurde Episodenstück von Thorsten Lensing steckt voller Gedankenschätze – gehoben und getragen wird es von einem grandiosen Viererensemble: Sebastian Blomberg, Andre Jung, Ursina Lardi und Devid Striesow.

Für Lensing war der Abend eine doppelte Premiere: Seit den späten 1990ern arbeitet er als freier Regisseur, immer angedockt an große bis ganz große Theater und Festivals quer durch Europa. Nach seinem jüngsten Erfolg mit einer Romanadaption von David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“ (2019) inszenierte er nun erstmals einen eigenen Text.

„Verrückt nach Trost“ ist kein stringentes Drama, vielmehr eine Aneinanderreihung von Szenen mit losem Zusammenhang. Den roten Faden spinnen die Geschwister Charlotte (Lardi) und Felix (Striesow), zu Beginn des Stücks zehn und elf Jahre alt. An einem Strand spielen sie ihre toten Eltern und imitieren das Glück, das sie von früher kannten. Das Spiel wird immer brüchiger und durchlässiger für die Trauer der Kinder, die in den weiteren Episoden erwachsen werden und altern.

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Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
Ein Orang-Utan (Andre Jung), eine jugendliche Stabhochspringerin (Ursina Lardi), ein Teenager auf der Suche (Devid Striesow) und eine Schildkröte (Sebastian Blomberg)
Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
Blomberg und die Häutung des Tauchers
Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
Lardi und Striesow als Waisenkinder
Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
Baby Dennis (Striesow)
Szene aus Verrückt nach Trost
SF/Armin Smailovic
Die Verwandlung in einen Affen (Jung)

Das Leben, ein Traum

Die Zeitsprünge vermischen sich mit Träumen – was soll „echt“ sein, was Wahn, Vision, Realitätsflucht? Auf der von einer überdimensionalen, horizontalen Industriewalze dominierten Bühne (Bühnenbild: Gordian Blumenthal und Ramun Capaul) darf das Publikum dem Ensemble zusehen, wie es die Rollen wechselt und dabei keinen Unterschied macht, ob Tiere oder Menschen dargestellt werden. Die Kostüme von Anette Guther sind dazu dezent und stimmig: Zur Verwandlung braucht dieses Ensemble nicht viel.

Er schaue Tieren unheimlich gern zu, erklärt Regisseur und Autor Lensing im Interview vorab. „Wir lieben Tiere, ohne sie zu verstehen, oder besser weil wir sie nicht verstehen.“ Seine Faszination zieht sich durch das Stück – in Begegnungen mit unterschiedlichen Tieren.

Hinweis

„Verrückt nach Trost“ ist bei den Salzburger Festspielen noch am 8., 9., 10., 12., 13., 16. und 17. August jeweils um 19.00 Uhr in der Universität Mozarteum Salzburg zu sehen.

Ausführliche Berichte über „Verrückt nach Trost“ und andere Festspielproduktionen sind in „kulturMontag“ am Montag ab 22.30 Uhr in ORF2 zu sehen.

Lardi, die schon vor zwei Jahren in „Everywoman“ bei den Salzburger Festspielen für große Begeisterung sorgte, verwandelt sich von der verwaisten Charlotte, die nicht mehr getröstet werden möchte, unter anderem in einen Oktopus, das rätselhaft-faszinierende Wesen, für das es nur die Gegenwart gibt. Im Dialog mit der tragischen Figur des einsamen Tauchers (Blomberg), der die Stille sucht, verdichtet sich die existenzielle Verzweiflung zum Maximum.

Letzterer ist die vielleicht rätselhafteste Rolle, die sich durch den Abend zieht. Mitten ins Spiel von Charlotte und Felix rutscht Blomberg über die Walze an den Strand, wo er Gedichte rezitiert und schließlich ins Koma fällt. Sein Abtauchen ist mehr als nur konkret gemeint, soviel wird klar, wenn er erklärt, dass seine Frau einfach vergessen habe, ihn zu verlassen. Es ist ein schwerer Spagat, der Blomberg hier gelingt – über die Melancholie des Tauchers wird viel gelacht, lächerlich ist er dabei aber nie. In weiterer Verwandlung wird Blomberg zur grandiosen Schildkröte, die in unendlicher Langsamkeit über die Bühne kriecht und in den Zuschauerraum fällt.

Szene aus „Verrückt nach Trost“
Salzburger Festspiele/Armin Smailovic
Der Oktopus (Lardi) und der Taucher (Blomberg)

Treffen sich eine Schildkröte und ein Orang-Utan …

Genauso intensiv fällt die Verwandlung Jungs in einen Orang-Utan aus. Völlig ohne Outrage und ohne Klischees zu bedienen, wird er zum Affen, keine Sekunde wirkt das dabei eigenartig. „Der Spaß am Spielen ist immer primär, und das ist etwas, das ich mir auch nie nehmen lassen wollte“, beschrieb der Schauspieler seinen Antrieb vor der Premiere – und nichts weniger zeigt der mehrfach ausgezeichnete Theater-, Film- und Fernsehschauspieler. Als älterer Liebhaber von Felix überzeugt er auch in menschlicher Rolle, bevor er ein Gastspiel als Seestern im Tauchervideovortrag und den Abend schließlich als liebenswerter Pflegeroboter mit Empathievermögen gibt.

Ex-Tatort-Kommissar Striesow, erstmals in Salzburg zu sehen, ist als Charlottes älterer Bruder Felix seit dem Tod der Eltern unfähig, etwas zu fühlen – körperlich wie seelisch. Im jugendlichen Traum begegnet ihm Maxima, die Stabhochspringerin, die als Leistungssportlerin (Lardi) permanenten Schmerz kennt, und mit der er versucht, über die Beschreibung von Wetterlagen zu seinen Gefühlen vorzudringen, was ihm aber auch später als Erwachsener nicht gelingen kann. Zwischendurch wird Striesow zum vernachlässigten Baby Dennis, das eigentlich Denise hätte werden sollen, und macht als bunter Kugelfisch auch in der Diashow des Tauchers gute Figur.

Premiere bei den Salzburger Festspielen

Bei den Salzburger Festspielen hat „Verrückt nach Trost“ im Salzburger Mozarteum Premiere gefeiert.

Blindes Vertrauen

Lensing betont, er habe das Stück für genau dieses Ensemble geschrieben – und dass das Team von „Verrückt nach Trost“ hier nicht zum ersten Mal zusammenarbeiten durfte, wird spürbar in dem offenkundigen Grundvertrauen, mit dem sich Lardi, Striesow, Jung und Blomberg gegenseitig Raum geben, zuspielen, auffangen.

Er halte, so Lensing im Programmheft des Abends, den Glauben an Regiekonzepte für oberflächlich, habe kein Bedürfnis, seine Arbeit zu erklären. Und obwohl nun „Verrückt nach Trost“ viele Fragen aufwirft und offen lässt, drängt es gleichzeitig keinen Wunsch nach Antworten auf. Trotz aller charmanter Ideen und viel Sprachwitzes ist es wohl deshalb trotzdem nicht unbedingt der Text, der von diesem Abend in längerer Erinnerung bleiben wird: Die „Erlösung für alle“, die Lardi mit den Schlussworten in der Rolle der 88-jährigen Charlotte verspricht, kommt vielleicht einfach durch dreieinhalb Stunden großer Schauspielkunst.