Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk
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EU-Gipfel in Salzburg

Tusk will „Brexit“-Sondergipfel im November

EU-Ratspräsident Donald Tusk will auf dem EU-Gipfel in Salzburg den EU-Staats- und -Regierungschefs einen „Brexit“-Sondergipfel im November vorschlagen. Das gab Tusk am Mittwoch im Rahmen eines Pressestatements vor dem offiziellen Auftakt des informellen EU-Gipfels in Salzburg bekannt. Erklärtes Ziel bleibt damit eine rechtzeitige Einigung auf einen Austrittsvertrag. Bleibt eine Einigung aus, sei das laut Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) „eine Situation, in der jeder verliert“.

Tusk bestätigte mit seinem Ruf nach einem „Brexit“-Sondergipfel entsprechende Medienberichte der vergangenen Tage. Nun liegt es an den Staats- und Regierungschefs, dem Vorhaben zuzustimmen. „Die ‚Brexit‘-Gespräche kommen in die entscheidende Phase“, sagte Tusk in Salzburg. Es gebe mittlerweile zwar „mehr Hoffnung“ auf eine Einigung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, „aber die Zeit läuft uns davon“.

Festspielgelände in Salzburg
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Höhepunkt der EU-Ratspräsidentschaft von Österreich: Am Mittwochabend treffen sich die EU-Spitzen zu einem Arbeitsessen in der Felsenreitschule im Salzburger Festspielbezirk

In Salzburg steht am Abend in der Felsenreitschule ein erstes Arbeitsessen auf dem Programm. Neben dem Thema Migration geht es dabei auch um den EU-Austritt Großbritanniens. Die britische Regierungschefin Theresa May wird den in der EU verbleibenden Ländern über ihre Sicht der Dinge berichten. Ohne May wird am Donnerstag zum Gipfelfinale erneut über die nächsten EU-„Brexit“-Schritte beraten.

Angesichts der bei einer Einigung noch ausstehenden Ratifizierung des Ausstiegsvertrags durch das Parlament in London und bei den EU-Mitgliedsländern galt lange der Oktober als der Monat, in dem eine Einigung spätestens stehen müsse. Zuletzt zeichnete sich aber bereits eine Verzögerung ab – bei einer Einigung im November werde es demnach zwar knapp, ein Scheidung im Guten könne sich aus Beobachtersicht aber durchaus ausgehen.

Tusk fordert von London Kompromisse

Tusk sieht den Ball bei den „Brexit“-Verhandlungen vor allem bei der britischen Regierung, von der er in Salzburg Zugeständnisse forderte. Laut Tusk gibt es durchaus „eine positive Entwicklung“ auf britischer Seite, etwa bei der Bereitschaft, nach dem EU-Austritt „eng im Bereich von Sicherheit und Außenpolitik“ zusammenzuarbeiten. In anderen Fragen wie der künftigen Grenze zu Irland und der Wirtschaftszusammenarbeit müsse London seine Pläne aber „überarbeiten“.

Für Theresa May ist das ein Rückschlag in den Verhandlungen über den für 2019 geplanten EU-Austritt. Sie hatte ihre Vision für die Zeit nach dem „Brexit“ im Frühsommer dargelegt.

Einigung für Kurz „Notwendigkeit“

Gipfelgastgeber Kurz zeigte sich zum Gipfelauftakt weiter optimistisch, dass die EU mit Großbritannien eine Einigung erzielt. Diese bezeichnete er aber auch als „Notwendigkeit“. Ein harter „Brexit“ ohne Abkommen wäre Kurz zufolge „für Europa schwierig, aber für Großbritannien wäre es schrecklich“. Kurz verwies zudem auf die Kompromissangebote von EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Nun sei Großbritannien am Zug, weswegen Kurz die Briten aufforderte, in den „Brexit“-Verhandlungen flexibler zu sein.

„Substanzielle Differenzen“

Bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU war zuletzt von „substanziellen Differenzen“ die Rede gewesen. Auch Barnier glaubt zwar weiterhin an eine rechtzeitige Einigung über den Austrittsvertrag – der EU-„Brexit“-Unterhändler verwies wie Tusk zuletzt aber darauf, dass auch ein „No Deal“-Szenario noch immer möglich sei.

Die Erwartungen vom Gipfel

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Salzburg, was vom Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs zu erwarten ist.

Sondergipfel auch zu Thema Migration

Zum Dauerstreit über die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union wiederholte Tusk in seinem Statement die bereits in seinem Einladungsschreiben erwähnten Forderungen. Unter anderem äußerte Tusk darin die Hoffnung, „dass wir in Salzburg die gegenseitigen Verstimmungen beenden und zu einem konstruktiven Ansatz zurückkehren können“.

„Nicht länger gespalten sein“

Er rief dazu auf, die „Schuldzuweisungen zu beenden“. „Anstatt politisches Kapital aus der Lage zu schlagen, sollten wir uns darauf konzentrieren, was funktioniert“, sagte Tusk. Er nannte dabei den Grenzschutz und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten.

„Wir können nicht länger in diejenigen gespalten sein, die das Problem illegaler Migrationsströme lösen wollen, und in diejenigen, die sie für ein politisches Spiel benutzen“, sagte Tusk. Denn tatsächlich gingen „trotz aggressiver Rhetorik“ aus einigen europäischen Hauptstädten die Dinge „in die richtige Richtung“.

„Verweis auf gesunkene Zahlen“

Tusk forderte eine intensivere Zusammenarbeit mit Nordafrika. Zudem werde er den Staats- und Regierungschefs vorschlagen, gemeinsam mit den Staaten der Arabischen Liga im Februar kommenden Jahres einen Sondergipfel in Ägypten abzuhalten.

Er verwies ferner darauf, dass die Flüchtlingszahlen in Europa massiv gesunken seien: Von fast zwei Millionen auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 auf nun weniger als 100.000 in diesem Jahr. Dies sei weniger als vor der Krise.

Migration als zentrales Thema

Mit Migration und „Brexit“ stehen nach Angaben von Kurz auch jene Themen auf der Salzburger Gipfeltagesordnung, welche die EU derzeit am meisten bewegen. Österreich will sich in Salzburg als „Brückenbauer“ in Szene setzen – inwieweit das gelingt, wird sich vor allem beim Thema Migration weisen.

„Das Treffen in Salzburg ist zwar ein informeller Gipfel, er ist aber ein wichtiger Zwischenschritt in Hinblick auf die nächsten EU-Räte. Es wird viel Überzeugungsarbeit notwendig sein“, sagte Kurz am Dienstag in Rom auf der letzten Etappe seiner „Tour des capitales“, bei der er sich mit „gutem Gefühl“ auf den Gipfel vorbereitete. Am Tag zuvor beklagte Kurz bei seinem Besuch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, dass es in der EU derzeit „zu viele Spannungen zwischen Osten, Westen, Norden und Süden“ gebe.

Als gemeinsamer Nenner erscheint bisher beim Thema Migration ein verstärkter Schutz der EU-Außengrenze. Vorgesehen ist Zusammenhang unter anderem eine Aufstockung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex auf 10.000 Beamte bis 2020. Kurz äußerte zum Gipfelauftakt die Hoffnung, dass in Salzburg nun ein Beschluss für das neue Frontex-Mandat vorbereitet und dieser dann im Dezember abgesegnet werden könnte.

Bei einigen Staaten gebe es allerdings noch Souveränitätsbedenken, sagte Kurz am Mittwoch nach einem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP), die am Mittwoch in Salzburg tagte. Das gelte vor allem für Spanien, Italien und Griechenland, kaum jedoch für Ungarn.

Fokus weiter auf Außengrenzen

Als weit komplizierter als die anvisierte Frontex-Reform erscheint die Suche nach einer Lösung in Sachen Flüchtlingsverteilung. „Große Zurückhaltung“ gibt es unter Brüssels Diplomaten zudem rund um die an sich bereits im Juni in Brüssel beschlossenen und unter anderem in nordafrikanischen Ländern angedachten „Anlande-“ bzw. „Ausschiffungsplattformen“.

Mozarteum in Salzburg
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Am zweiten Gipfeltag treffen sich die EU-Staats- und Regierungschefs in der Universität Mozarteum

Kurz zufolge gebe es unter den EU-Staaten seit Jahren einen Kampf um die Verteilung von Flüchtlingen, doch werde die Verteilung das Migrationsproblem nicht lösen. Das gehe nur an den Außengrenzen. Diese Position sei Kurz zufolge mittlerweile auch mehrheitsfähig. Der Fokus müsse demnach auch auf einer Ausweitung von Frontex und der Zusammenarbeit mit Transitländern liegen.

Kurz will die Gespräche mit Ägypten und anderen nordafrikanischen Staaten vertiefen. Menschen müssten dort daran gehindert werden, in Boote zu steigen, und dürften nicht automatisch nach Europa gebracht werden. Die Schlepperei sei „ein grausames Geschäft auf Kosten der Ärmsten der Armen“. Die Ankünfte seien aber massiv zurückgegangen, auch die Zahl der Toten, „die Richtung stimmt“, sagte Kurz.

Innere Sicherheit als Gipfelschwerpunkt

Was die weiteren Gipfelthemen betrifft, geht es am Donnerstag unter anderem um Fragen der inneren Sicherheit. Auch die Ankündigung von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, dass terroristische Propaganda binnen einer Stunde vom Netz genommen werden soll, dürfte, wie auch die weitere Polizei- und Justizzusammenarbeit, in die Sicherheitsdebatte hineinspielen – mehr dazu in fm4.ORF.at.

May will auf dem Gipfel zudem über die jüngsten britischen Geheimdiensterkenntnisse zur Skripal-Affäre berichten. Nicht auf der offiziellen Gipfelagenda steht dagegen das Thema Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und in Polen. Eine Abschlusserklärung wird es – wie bei informellen Gipfeltreffen üblich – in Salzburg weder zu Migration noch „Brexit“ noch anderen Themen geben.

Großeinsatz für Sicherheitskräfte

Nach einem Arbeitsessen am Mittwochabend in der Felsenreitschule tagen die EU-Staats- und -Regierungschefs am Donnerstag in der Univerität Mozarteum – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Der Gipfel wird von großangelegten Sicherheitsvorkehrungen begleitet. 1.750 Polizisten sollen für die Sicherheit der 28 Staats- und Regierungschefs, mehr als 850 Soldaten mit zwölf Flächenflugzeugen und zwölf Hubschraubern für Schutz aus der Luft sorgen. Für die Bevölkerung wird es insbesondere am Donnerstag zu Beeinträchtigungen kommen. Mehrere Protestaktionen sind geplant – mehr dazu in salzburg.ORF.at.

Portestplakat auf einem Haus
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Der Gipfel wird auch von Protesten begleitet

Ersatzlos gestrichen wird an diesem Tag auch der traditionelle Wochenmarkt „Schranne“. Bereits seit 17. September (bis einschließlich 21. September) ist das Schengen-Abkommen in Sachen Grenzkontrollen ausgesetzt. Begleitet wird der Salzburger Gipfel von mehreren Protestkundgebungen, eine mit Schwimmern in der Salzach geplante Demo dürfte es entgegen ersten Ankündigen aber nicht mehr geben – mehr dazu in salzburg.ORF.at.