Rush-hour in Frankfurt am Main
picturedesk.com/Silas Stein
Drohende Fahrverbote

Deutschland sucht den Dieselumstieg

In einer Woche will Deutschland eine befriedigende Antwort für Millionen von verunsicherten Autofahrerinnen und Autofahrern gefunden haben. Sollen alte Diesel nachgerüstet werden? Oder gibt es finanzielle Anreize für den Kauf modernerer Fahrzeuge? In der Berliner Regierung gibt es jedenfalls erneut Stoff für dicke Luft.

Am Sonntag gab es nach einem Spitzengespräch zwischen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Chefs der deutschen Autokonzerne noch keinen weißen Rauch. Doch eine Lösung zur Beantwortung der Frage „Wie weiter mit dem Diesel?“ soll in einer Woche gefunden werden.

Millionen Dieselbesitzer sollen bald Klarheit über neue Maßnahmen gegen Fahrverbote wegen zu stark belasteter Luft in deutschen Städten bekommen. Das Problem beim Diesel: vor allem der Stickstoffausstoß, der umso mehr zu Buche schlägt, je älter ein Fahrzeug ist. In Sachen Feinstaub sind Dieselmodelle, die mit einem Feinstaubkatalysator ausgerüstet sind, ein geringeres Problem. Doch bei NOx helfen nur Lösungen der jüngsten Dieselmotorentwicklung.

„Zeitnahe Entscheidung“ soll kommen

Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) versprach jedenfalls eine „zeitnahe Entscheidung“ – und gab eine recht autoherstellerfreundliche Lösung vor: Oberste Priorität habe die Flottenerneuerung – also Anreize, damit mehr Besitzerinnen und Besitzer alte Dieselfahrzeuge abgeben und sich ein saubereres Auto kaufen.

Für Lieferdienste und Handwerker soll es ein Förderangebot für Umbauten an Motoren geben. Die SPD beharrt auf solchen Hardwarenachrüstungen auch für Pkws. Allerdings: Eine wirklich effiziente NOx-Filterung, die mehr ist als Augenauswischerei, ließe sich mit älteren Modellen nur schwer bzw. sehr kostspielig erreichen.

Scheuer sprach nach dem Treffen mit der Autobranche vom „gemeinsamen Willen“, eine Lösung für den Diesel und die Mobilität in Innenstädten zu erarbeiten. Auch über Hardwarenachrüstung sei geredet worden. Nun werde es weitere Gespräche in der Bundesregierung und mit den deutschen Herstellern geben.

Der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer
AP/Markus Schreiber
Der deutsche Verkehrsminister Scheuer sucht eine Lösung, die nicht zuletzt auch die Autokonzerne zufriedenstellen könnte.

SPD will Nachrüstung für alle

Bis Ende der Woche sind dann „eine Konkretisierung der Maßnahmen und Pläne über die Gesamtthematik“ vorgesehen. Am 1. Oktober soll sich der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD unter anderem mit diesem Thema befassen, wie die dpa aus Koalitionskreisen erfuhr.

Die SPD drängt dafür weiter auf Hardwarenachrüstung für Pkws. „Ich hoffe, es haben jetzt alle Beteiligten bei der Union und in den Chefetagen der Automobilhersteller verstanden, dass die technische Nachrüstung von Euro-5- und Euro-6-Dieselfahrzeugen kommen muss“, sagte Fraktionsvize Sören Bartol. Sonst drohten Fahrverbote, das Vertrauen in den Diesel sinke weiter, Arbeitsplätze seien in Gefahr. Wer nur auf den Verkauf von Neuwagen und die technische Nachrüstung von Fahrzeugen von Handwerkern und Lieferdiensten setze, greife zu kurz. „Wir dürfen die vielen Pendler nicht vergessen.“

Sinnloses Nachrüsten

Die Frage, wie sinnvoll die Nachrüstung eines Dieselmotors ist, beantwortete der Wiener Motorenexperte Hermann Geringer von der TU Wien im Gespräch mit ORF.at zuletzt skeptisch: Die Nachrüstung sei zwar technisch in vielen Fällen denkbar, allerdings bewege man sich schon bei den notwendigen Zusatzteilen (wie NOx-Katalysator, Steuergerät und Sensorik) im Bereich von 1.500 bis 3.000 Euro – und dann habe man den Einbau nicht mitgerechnet und keine Garantie, dass ein neues Verfahren mit den Gewährleistungsansprüchen eines älteren Fahrzeuges in Einklang zu bringen ist.

In den monatelangen deutschen Koalitionsstreit war nach dem jüngsten Urteil zu Fahrverboten in Frankfurt am Main im nächsten Jahr Bewegung gekommen. Merkel, die lange gegen Umbauten an Motoren argumentiert hatte, öffnete sich angesichts dessen dafür. In Hessen ist am 28. Oktober Landtagswahl.

Die Position der Autokonzerne

Die Autohersteller lehnen Hardwarenachrüstungen als zu aufwendig ab und warnen vor technischen Nachteilen. Auch Scheuer hat weiterhin Bedenken. Er drängt vor allem auf verlockendere Umstiegsangebote für Besitzer alter Diesel, da bisherige Kaufprämien „offenbar nicht attraktiv genug“ seien. Nach dem Dieselgipfel 2017 hatten die deutschen Hersteller Prämien gezahlt. Sie wurden von mehr als 200.000 Kundinnen und Kunden in Anspruch genommen, wie es im Juli hieß.

Die Grünen warfen der Regierung nach dem Spitzentreffen mangelndes Durchgreifen gegenüber der Autobranche vor. „Dass zum x-ten Mal ein Dieselgipfel ohne substanzielle Ergebnisse zu Ende geht, ist der finale Offenbarungseid der Bundesregierung vor den Interessen der Autobosse“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer der dpa. Merkel und Scheuer wollten den deutschen und ausländischen Konzernen nicht die Daumenschrauben anlegen. Dabei könnten sie Bußgelder für Pkws mit illegaler Abgasreinigung verhängen. „Diese Drohung dürfte ganz schnell zu einer Kooperation der Hersteller führen, weil dies noch teurer als eine Hardwarenachrüstung werden würde.“